Der Franken-"Tatort" am Sonntagabend war spannend bis zum Schluss. Ein Thriller, der mächtig unter die Haut ging. Opfer, Täter, Held: Im Laufe dieses Films vermischen sich die Rollen. Selbst die beiden Kommissare Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) sind vor Regelverstößen nicht gefeit. Der Krimi "Ein Tag wie jeder andere" erzählt die Geschichte eines jungen Paars, das durch vergiftete Milch sein ungeborenes Kind verliert, daran zerbricht und schließlich Rache an allen nimmt, die es für sein Leid verantwortlich macht. Für den Versuch eines Faktenchecks hat die Redaktion mit Drehbuchautor Erol Yesilkaya (42) gesprochen.
Frage: Herr Yesilkaya, welcher Lebensmittelskandal hat Sie zu diesem "Tatort" inspiriert?
Erol Yesilkaya: 2014, als meine Frau mit unserem Sohn hochschwanger war, habe ich mitten in der Nacht am Handy die Meldung gelesen, dass Milchwaren einer bestimmten Firma verdorben sind – Waren, die auch wir gekauft hatten. Es hieß, die Milch sei nicht genügend erhitzt worden, sodass Erreger in den Produkten überleben konnten. Diese Erreger seien für Erwachsene nicht gefährlich, aber für ungeborene Kinder könnten sie lebensbedrohlich sein. Da gehen einem die Horror-Gedanken nur so durch den Kopf. Angst, Wut und Hilflosigkeit machen sich breit. Noch in der selben Nacht fand ich jedoch heraus, dass unsere Lebensmittel nicht betroffen waren.
Jede Mutter, jeder Vater kann die Panik nachvollziehen.
Yesilkaya: Es war das erste Mal, dass ich regelrecht Hass auf den Verantwortlichen verspürt habe – auf einen Menschen, den ich nicht mal kannte. Da konnte ich zum ersten Mal emotional nachvollziehen, dass jemand, der hier betroffen ist, durchdreht. Das war der Grundstein für diese Geschichte.
Gibt es einen realen Fall, wo ein mutmaßlicher Giftmischer tatsächlich durch eine Selbstanzeige um die Strafverfolgung gekommen ist?
Yesilkaya: Das weiß ich nicht. Aber es gibt diesen Paragrafen im Lebensmittelrecht. Das kann man als Skandal betrachten. Anderseits ist es vielleicht auch gut, dass man diesen Leuten die Möglichkeit gibt, sich selbst anzuzeigen, um größeres Unheil zu verhindern. Der Film gibt hier aber kein politisches Statement ab. Regisseur Sebastian Marka und ich wollten keinen Themenfilm über Lebensmittelskandale drehen.
Der Rechtsstaat ist auch ein Thema. Felix Voss wehrt sich dagegen, Zwang gegenüber dem Unternehmer Koch anzuwenden. Auch "Arschlöcher" hätten Rechte, sagt er. Paula Ringelhahn sieht das anders. Schließlich aber kippt auch Voss um und erpresst Koch. Gibt es da eine Vorlage?
Yesilkaya: Nein, absolut nicht. Es geht darum, den Figuren emotional zu folgen. Paula ist traumatisiert, sie musste das Leben eines Mannes, der eigentlich kein klassischer Bösewicht ist, beenden. Jetzt will sie wenigstens sein Kind retten. Voss ist zuerst skeptisch, bevor er sich entschließt, der Kollegin zur Seite zu stehen, auch wenn es falsch ist. Und es ist falsch. Man merkt es ja auch, Voss hat später Alpträume, er ist gezeichnet.
Die Szene erinnert an den Fall Daschner. Der Vizechef der Frankfurter Polizei drohte einem Kindesentführer Gewalt an, damit dieser den Aufenthaltsort des Jungen preisgab. Menschlich verständlich, rechtlich bedenklich. Dieser Kommissar wurde verurteilt.
Yesilkaya: Ich kenne den Fall, habe da aber absichtlich nicht weiter recherchiert. Mir geht es nicht darum, in diesem "Tatort" eine eindeutige Haltung zu zeigen oder dem Zuschauer eine politische Message vorzuschreiben. Mich interessiert die Psychologie der Figuren.
Ist es in der Wirklichkeit denkbar, dass ein mutmaßlicher Mörder die Chance bekommt, einen Gegenspieler in einem abgeschlossenen Raum, ohne audiovisuelle Überwachung, zu treffen?
Yesilkaya: Ich hoffe doch nicht. Auch hier ist es mir nicht so wichtig, ob die Szenerie realistisch ist. In der Logik der filmischen Wirklichkeit muss der Schritt glaubhaft sein. Der Zuschauer soll sagen, ich könnte mir zumindest vorstellen, dass die Kommissare so etwas versuchen.
Am Ende stirbt der Unternehmer Koch am Nervengift "Yukon-Pulver". Wir haben ein solches Gift bei Google nicht gefunden.
Yesilkaya: Das gibt es in Wirklichkeit auch nicht. Das kenne ich aber als "Iocane Pulver" aus dem Fantasy-Roman "Die Brautprinzessin" von William Goldman. Der Name ist eine Hommage an ein großartiges Buch. Alles andere ist Fiktion.
Das Handy im Versteck des Mädchens Mira bricht nach einer Minute ab. Ist das technisch machbar?
Yesilkaya: Aber sicher. Mit dem Klingeln des Telefons wird ein Stromkreis geschlossen und eine Zeitschaltuhr ausgelöst, die diesen Kreis nach einer Minute wieder unterbricht. Techniker haben mir versichert, das ist jederzeit machbar. Schon lustig, was wir hier für ein Gespräch führen.
Warum?
Yesilkaya: Faktencheck mit einem Drehbuchautor zu machen, das ist ein wenig so, als würde man mit einem Schneemann über Sommermode reden.
Der Zuschauer stellt sich halt Fragen. Und da ist der Autor der erste Ansprechpartner.
Yesilkaya: Ist ja eigentlich auch ein gutes Zeichen, wenn gefragt wird. Dann funktioniert die Illusion. Aber Fakten schildern, das kann ein Dokumentarfilm oder ein Zeitungsbericht viel besser als ein "Tatort". Wir transportieren eher Gefühle, Ängste, Liebe, all die Dinge, die sich nicht so leicht in Worte fassen lassen.
Tatort verpasst? Die Wiederholungen im TV:
- Sonntag, 24.02.19 - 21:45 Uhr (ONE)
- Sonntag, 24.02.19 - 23:45 Uhr (ONE)
- Dienstag, 26.02.19 - 00:35 Uhr (Das Erste)