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Würzburg
Sehr komisch und leider sehr aktuell: "Rufen Sie Herrn Plim!"
Witzig, fetzig und beklemmend zeitlos: Das Mainfranken Theater nimmt ab 29. Dezember die Kabarettoper aus dem Jahr 1932 wieder auf. Das schrieb unser Autor zur Premiere im Mai:
Wenn man seinen Willen nicht sofort bekommt, muss man als Kundin schonmal effektvoll in Ohnmacht fallen. Von links: Mathew Habib, Akiho Tsujii, Daniel Fiolka
Foto: Nik Schölzel | Wenn man seinen Willen nicht sofort bekommt, muss man als Kundin schonmal effektvoll in Ohnmacht fallen. Von links: Mathew Habib, Akiho Tsujii, Daniel Fiolka
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:16 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Rufen Sie Herrn Plim!" ist eine einaktige Kabarettoper von Mischa Spoliansky (Musik), Kurt Robitschek und Marcellus Schiffer (Text) aus dem Jahr 1932. In dieser letzten gemeinsamen Arbeit persiflieren sie die neue Glitzerwelt der edlen Kaufhäuser im Berlin der Weimarer Republik, mit witzigen Dialogen, Schnulzen und jazzigem Schmiss.
  • Worum geht es? Herr Plim ist der professionelle Sündenbock des Warenhauses Wertheim. Er wird gerufen, wenn Kundinnen und Kunden Beschwerden haben, muss die Verantwortung übernehmen und wird dann effektvoll gefeuert. Immer und immer wieder. Eigentlich ein sehr cleveres Arrangement, doch Plim macht seine Sache ein bisschen zu gut. . .
  • Was ist das Besondere daran? Das Stück strotzt vor listigen Anspielungen auf die heraufziehende NS-Diktatur. Die Produktion des Mainfranken Theaters ist kurzweilig, komisch, ausgezeichnet musiziert und zum Schluss auch noch richtig ergreifend. 

Wenn man dem Kunden einredet, er sei König, wird er sich auch so benehmen. Er oder sie wird seinen oder ihren niedersten Instinkten freien Lauf lassen. Und die haben meist mit Eitelkeit, Machthunger und hin und wieder mit Sadismus  zu tun. Diese – offensichtlich zeitlose – Erkenntnis ist sozusagen Ausgangssituation der Kabarettoper "Rufen Sie Herrn Plim!", die am Pfingstsonntag Premiere in der Theaterfabrik Blaue Halle feierte.

Schauplatz für Durchgeknalltheiten unterschiedlichster Schwere

Und damit passt das Stück – leider – sehr gut in die Gegenwart. Herr Plim, den die Kippa als Juden ausweist, ist von Berufs wegen an allem schuld. In einer Zeit, in der der Antisemitismus widerliche Urständ feiert, ist das weit mehr als eine historische Randnotiz. Dass das Stück dennoch nicht als moralisierende Politparabel daherkommt, liegt einerseits am frechen Witz der Autoren, andererseits an der Regie von Annika Nitsch, die das Kaufhaus (Bühne und Kostüme: Feng Li) zum Schauplatz für Durchgeknalltheiten unterschiedlichster Schwere macht.

Der listige Herr Plim: Mathew Habib in seiner ersten Titelrolle.
Foto: Nik Schölzel | Der listige Herr Plim: Mathew Habib in seiner ersten Titelrolle.

Und damit zur lang vermissten Spielwiese für ein Ensemble, das mit größter Lust endlich wieder vor Publikum auftreten darf. Daniel Fiolka als tapsiger Frühstücksdirektor, Hinrich Horn als durchtriebener Strippenzieher, Silke Evers als sadistische Reichshausfrauenbund-Funktionärin, die erkennbar an der Schwelle zur NS-Karriere steht. Kosma Ranuer und Roberto Ortiz als Kunden mit absurden Beschwerden, etwa dem Selbstbinder, der sich eben nicht selbst bindet.

Herrlich Scherhezada Cruz als Sekretärin, die aus jedem "Jawohl, Herr Chef" eine kleine Koloraturenorgie macht. Akiho Tsujiis Ankunft als überkandidelte Pseudokosmopolitin wird mit "Sie kommt, sie naht, sie kommt, sie naht" verkündet. Spricht man die Silben schnell hintereinander weg, entsteht ein vielsagendes Wort. . .

Die Reichshausfrauenfunktionärin an der Schwelle zur NS-Karriere: Silke Evers (mit Hinrich Horn).
Foto: Nik Schölzel | Die Reichshausfrauenfunktionärin an der Schwelle zur NS-Karriere: Silke Evers (mit Hinrich Horn).

Plim ist der anfangs eilfertige Watschenmann, der schnell erkennt, dass man Anweisungen nur möglichst wörtlich ausführen muss, um sie ad absurdum zu führen. Fügt er sich als Entlassender zu bereitwillig, bleibt die Kundin auf ihrem Blutdurst sitzen, heult er zu melodramatisch auf, geht der Kunde auf seine vermeintlich herzlosen Vorgesetzten los. Auch das eine schöne Entlarvung deutscher Autoritätsgläubigkeit.

Mathew Habib macht den Plim zum Mittelpunkt der Würde

Für den Tenorbuffo Mathew Habib passt seine erste Titelrolle mit den vielen Chanson- und Musicalanteilen ideal. Inmitten all der grellen Narzissten macht er diesen kleinen, schwarz gekleideten Mann zum Mittelpunkt der Würde und damit zur echten Identifikationsfigur. Und dass er auch Schnulze kann, zeigt er mit der schönen Nummer "Ich kenn dich nicht".

Gábor Hontvári dirigiert hinter dem Fotovorhang ein bestens aufgelegtes Orchester mit echten Bigband-Qualitäten – mit süffigen Streichern, lyrischem Holz und schmissigem Blech. Je leichter die Musik, je spritziger die Dialoge, je überdrehter die Wendungen, desto schmerzlicher wird klar, welch gigantischen Schaden der völkische Gleichschaltungswahn der Nazis der Kultur nicht nur dieses Landes zugefügt hat. Man sollte denken, dass es da die jähe Aktualisierung zum Schluss mit Transparenten wie "Kein Mensch ist illegal" nicht braucht. Aber wahrscheinlich leider doch.

Die  Vorstellungen: 29., 31. Dezember; 4., 5., 6. Januar. Karten: im Webshop unter www.mainfrankentheater.de, per E-Mail karten@mainfrankentheater.de und Tel. (0931) 3908-124. Bei einer Inzidenz in der Stadt Würzburg zwischen 50 und 100, benötigen Gäste einen bescheinigten Corona-Schnelltest (nicht älter als 24 Stunden) oder PCR-Test (nicht älter als 48 Stunden). Eine Testmöglichkeit vor Ort gibt es nicht.

 
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