
Was für ein Abend! Als stünde man gleich neben der kleinen Partygesellschaft auf der Terrasse eines Hauses in einem noblen Pariser Vorort. Als würde einen die Runde, die gerade mit dem ersten Glas Bordeaux auf die Freundschaft anstößt, fragen: "Gefallen wir dir?"
Maßbacher Premiere von "Der Vorname", der bitterbösen, zweifach verfilmten französischen Komödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière. Die Verfilmungen sollte man an diesem Abend im Intimen Theater vergessen. Die Inszenierung von Rolf Heiermann spricht für sich. Sanfte Salonmusik kommentiert ironisch die zunehmende Gereiztheit der kleinen Gesellschaft, der Regisseur persönlich führt als Erzähler aus dem Off in die Geschichte ein.
Wie kann man nur ein Kind nach einem Menschheitsverbrecher benennen?
Die fünf Figuren reiben sich aufs Feinste aneinander. Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon mal im Freundes- oder Familienkreis verbale Eskalationen erlebt, die die Stimmung bedrohlich kippen ließen? In der Konstellation auf der Terrasse (Bühnenbild: Peter Picciani, Kostüme: Jutta Reinhard) entzündet sich der Streit zwischen zwei verschwägerten Paaren und einem Hausfreund an einem einzigen Satz. Immobilienmakler Vincent (Maßbach-Debütant Simon Brader), der gerne mal provoziert, tut kund, seine Partnerin Anna (Anna Schindlbeck) bekomme ein Kind, das beide Adolphe oder Adolf nennen wollten.
Schwager Pierre (Jens Eulenberger), ein kopfgesteuerter Literaturprofessor, der sich gerne als moralisch-intellektuelle Instanz sieht, ist entsetzt von der Idee, einem Kind den Vornamen eines Menschheitsverbrechers zu geben. Die folgende Kontroverse offenbart viel mehr an schwelenden Konflikten zwischen den Kontrahenten, als ihnen lieb ist. Der Zwist aus gegenseitigen Vorwürfen gerät außer Rand und Band, selbst als sich die Sache mit dem Vornamen als schlechter Witz entpuppt.
Wenn die progressive Lebensführung an den Ungereimtheiten der Wirklichkeit scheitert
Den Autoren und ihrem Übersetzer Georg Holzer gelingt ein kleines Meisterwerk der Beobachtung des Mikrokosmos eines Familien- und Freundeskreises. Unterm Mikroskop liegt ein linksliberales, intellektuelles Milieu, dessen selbstgewählte progressive Lebensführung ständig an den Ungereimtheiten zwischen Dichtung und Wahrheit zu scheitern droht.
Die Unterschiedlichkeit der Charaktere, ihr Facettenreichtum, kommt in dieser Inszenierung erstaunlich wirklichkeitsnah zur Geltung: Die brüchige Intellektualität des Gastgebers, die Ego-Spielchen des Möchtegern-Provokateurs. Die Ängstlichkeit des sanftmütigen Hausfreundes Claude, eines Orchestermusikers (Tobias Wollschläger). Der Unmut der Gastgeberin Elisabeth, einer Lehrerin (Anna Katharina Fleck), über die Arbeitsteilung im Haushalt und bei der Kindererziehung. Und die meist souveräne Distanz, mit der Vincents Partnerin Anna (Anna Schindlbeck) die Szene begleitet.
Die argumentativen Vorteile liegen jedenfalls mehr auf der Seite der Frauen. Und trotzdem geraten alle in den Sog, den ein einziger schlechter Witz auslöst. Satz für Satz schreitet die Demaskierung voran. Bei einem gnadenlosen Analytiker wie Ingmar Bergman würden die Personen am Ende kläglich scheitern. Die Autoren dieses Stücks jedoch scheinen ihre Antihelden zu lieben und geben ihnen eine zweite Chance. Bis zur nächsten Versuchung. Und der Zaungast Publikum freut sich, heil und heiter dem Ungemach auf der Terrasse entronnen zu sein. Salut und Küsschen auf die Wange!
Vorstellungen im Intimen Theater und auf Gastspielen bis 13. November. Infotelefon: (09735) 235, www.theater-massbach.de