zurück
SÖMMERSDORF
Passionsspiele als Parabel: Wenn besorgte Bürger Blut sehen wollen
Immer wieder bricht er unter Prügeln zusammen: Jesus auf dem Weg zu Richtstätte.
Foto: Anand Anders | Immer wieder bricht er unter Prügeln zusammen: Jesus auf dem Weg zu Richtstätte.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:52 Uhr

Passionsspiele? In einem Dorf hinter Schweinfurt? „Nicht mein Thema.“ – „Was soll das bringen, das Leben von Jesus nachzuerzählen?“ – „Das sind doch Laien, die da spielen.“ – „Sind die vielen Berichte nicht ein bisschen übertrieben?“ – „Gefällt euch das wirklich?“ Alle fünf Jahre kann viel über die Macht des Vorurteils erfahren. Und über fehlende Bereitschaft, sich mal auf etwas Neues einzulassen. Ein Passionsspiel zum Beispiel.

 

Fotoserie

Was die Sömmersdorfer zeigen, ist mitnichten das Abarbeiten der Lebensgeschichte Jesu. Keine heile Heiland-Welt. Keine Bibelstunde. Kein Religionsunterricht mit anderen Mitteln. Was die hochmotivierte Truppe um das Regisseursduo Marion Bayer und Hermann J. Vief auf der idyllisch gelegenen Passionsbühne zeigt, ist eher ein Lehrstück. Eine Parabel über Manipulier- und Verführbarkeit, oder Borniertheit, Rückgratlosigkeit und Sadismus. Faszinierend aufgearbeitet, mitreißend erzählt. Und voller Gänsehaut-Momente.

Massenszenen, die unter die Haut gehen

Das zeigt sich besonders gut in den Massenszenen, die – unterstützt von Live-Musik und vom beeindruckenden Bühnenbild – unter die Haut gehen. Als die Ehebrecherin gesteinigt werden soll und die Masse kaum erwarten kann, dass sie der erste Stein trifft. Oder die Begeisterung der besorgten Bürger von Jerusalem, die Jesus gerade erst mit Hosianna-Rufen begrüßt haben. Und es jetzt genießen, zuzusehen, wie er, immer wieder brutal geprügelt, unter der Last des Kreuzes auf dem Weg zur Richtstätte zusammenbricht. Jeder Schlag, jede Boshaftigkeit, freut die gaffende Menge. Wie es die Darsteller schaffen, diese kollektive Gemeinheit dazustellen, ist eine Leistung.

Die Geschichte nimmt den Zuschauer von Anfang an mit. Denn es gibt ja auch das Gute – das Stück ist eben auch eine Parabel über Aufrichtigkeit, Treue, Verlässlichkeit, Selbstlosigkeit. Zum Beispiel die Menschen, die zu Jesus halten, auch nachdem klar ist, dass das Konsequenzen für den einzelnen haben kann. Als Freund eines Staatsfeindes hat man's schließlich nicht leicht. Dennoch muss Maria nicht allein am Kreuz stehen – Josef von Arimathäa kümmert sich um eine ordentliche Bestattung, Frauen nehmen das Risiko auf sich, den Leichnam zu waschen. Kleine Gesten, die viel Mut erfordern. Mehr Mut jedenfalls, als „Kreuzigt ihn!“ zu schreien.

Ein Hauch Fränkisch macht das Ganze nur noch lebendiger

Was das Stück auch so schön macht: So lebendig und nah die Geschichte erzählt wird, so lebendig und nah wirken die Schauspieler. Und dass ab und an ein Hauch Fränkisch reinkommt, macht das Ganze um so ehrlicher. Hier geht es um Leidenschaft, Begeisterung, Gemeinsamkeit. Schließlich ist fast das Ganze Dorf eingebunden – auf und hinter der Bühne oder im Drumherum.

Bei der Premiere zeigen die Darsteller eine beeindruckende Leistung: Allen voran Tobias Selzam als Jesus, Maria Mergenthal als Maria, Norbert Mergenthal als Kajaphas und Frank Greubel als Verräter Judas. Jeder, der auf der Bühne steht, ist mit ganzem Herzen dabei, und wenn er nur einen Esel von links nach rechts führen muss oder als Legionär seinen Schild schief halten muss, damit der Hauptmann was zu richten hat. So kommt auch ein bisschen Witz in die Sache. Und spätestens wenn sich Herodes Antipas (Thomas Schmitt) genüsslich die leicht bekleideten Tänzerinnen anschaut, die ihn bei seiner Heimkehr begrüßen, kommt keiner auf die Idee, hier werde eine dröge Bibelstunde abgehalten.

Die Passionsspiele Sömmersdorf enden am 19. August. Infos unter www.passionsspiele-soemmersdorf.de

 
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Sömmersdorf
Susanne Wiedemann
Altruismus
Jesús María
Passionsspiele
Thomas Schmitt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen