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Eschenau
Neue Ausstellung in Maria Bildhausen: herman de vries, der Künstler mit der ganz besonderen Freude am Zufall
Ein würdiger Ausstellungsort: In der ehemaligen Residenz des letzten Abts von Maria Bildhausen sind Werke aus 60 Jahren künstlerischen Denkens und Schaffens zu sehen.
Recherche für das nächste Projekt: herman de vries in seiner Bibliothek in Eschenau (Lkr. Haßberge).
Foto: Mathias Wiedemann | Recherche für das nächste Projekt: herman de vries in seiner Bibliothek in Eschenau (Lkr. Haßberge).
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:46 Uhr

Im Grunde ist jeder Satz, den herman de vries sagt, eine Lebensweisheit. Wenn man nicht aufpasst, verpasst man eine. Zum Beispiel diese: "Die Natur ist ein großes experimentelles Labor, und wir vergessen, dass wir dazugehören." herman de vries doziert nicht. Er spricht mit der gelassenen Ruhe eines Menschen, der seit vielen Jahren seine innere Mitte gefunden hat.

Und seine äußere auch: Seit über 50 Jahren leben der Künstler und seine Frau Susanne in Eschenau (Lkr. Haßberge) am Fuße des Steigerwalds. Nach einigen Zwischenstationen innerhalb des Orts dauerhaft im alten Schulhaus, einem großen Bau aus dunklem Stein, der innen erstaunlich verwinkelt wirkt, denkt man an modernere Bildungsanstalten.

Galerist Thomas Pfarr und Marion Reißner, Mitarbeiterin von herman de vries, vor Haus Nivard.
Foto: Mathias Wiedemann | Galerist Thomas Pfarr und Marion Reißner, Mitarbeiterin von herman de vries, vor Haus Nivard.

herman de vries ist im Juli 91 geworden. Während eine Ausstellung läuft (in Schloss Oberschwappach) und zwei weitere aufgebaut beziehungsweise vorbereitet werden (in Maria Bildhausen und in Berlin), arbeitet er schon an seinem nächsten Projekt: Einst hatte er eine 4000 Quadratmeter große Wiese am Waldrand gekauft, die von der Flurbereinigung ("Ein schreckliches Wort", herman de vries) leergeräumt worden war, und sie mit Hecken und Obstbäumen in ihren vorherigen Zustand zurückversetzt. Nun, nach 25 Jahren, will er sie der Natur ganz zurückgeben und komplett verwildern lassen. "Auch das ist eine künstlerische Entscheidung", sagt er.

Keine künstlerische Entscheidung ohne eingehende Recherche

Doch die Entscheidung als solche ist nur Beginn des Prozesses. Immer geht es darum, Bezüge zu Kultur- oder Zivilisationsgeschichte herzustellen. Und dafür ist Recherche nötig. Auf einem Stein soll später die Inschrift "et in arcadia ego" stehen (auch ich in Arkadien). Also stapeln sich auf einer der Arbeitsplatten in der großen - ebenfalls verwinkelten - Bibliothek Bücher über dieses Arkadien, den von der Romantik verklärten griechischen Landstrich, in dem glückliche Hirten bedürfnislos im Einklang mit der Natur leben.

Fundstücke aus dem Wald: die Arbeit 'in transit' (Ausschnitt).
Foto: Mathias Wiedemann | Fundstücke aus dem Wald: die Arbeit "in transit" (Ausschnitt).

herman de vries liebt die Verbindung von Poesie und Sachlichkeit. Die Poesie der Natur und die Sachlichkeit der Prozesse, die darin ablaufen. Und deren Unvorhersehbarkeit. Zufälle faszinieren ihn, Unwiederholbarkeiten, die etwas aussagen über die eine große Konstante: den Wandel. Immer wieder hat er mit programmierten Zufällen gearbeitet. Hat etwa Zahlen oder Farben nach bestimmten Regeln sortiert. So entstanden Muster, die ihm vor allem deshalb gefielen, weil er keinen Einfluss darauf genommen hatte. Weil seine Persönlichkeit nicht eingeflossen war, wie er sagt. 

herman de vries, 1931 geboren in Alkmaar in den Niederlanden, schreibt seit vielen Jahren seinen Namen und alles andere nur in Kleinbuchstaben. "Weil ich gegen Hierarchien bin. Das ist ein Relikt aus meiner anarchistischen Zeit", sagt er und grinst. Natürlich wird das in Zeitungen und sonstigen Medien immer wieder ignoriert. "Susanne ärgert sich dann, ich lache darüber."

Die Ausstellung bespielt alle Geschosse, vom Keller (im Bild) bis in die Dachböden.
Foto: Mathias Wiedemann | Die Ausstellung bespielt alle Geschosse, vom Keller (im Bild) bis in die Dachböden.

Im steinernen Türsturz des Schulhauses steht in Gold ein Satz von Michelangelo: "ancora imparo" (ich lerne noch). Ohne Lernen kann herman de vries sich das Leben nicht vorstellen. Anders gesagt: Wer nicht lernt, lebt nicht. Mit Stillstand kann der Künstler nichts anfangen. "Ich zeige die dynamischen Prozesse, mit denen wir alle beschäftigt sind", sagt er und meint damit vor allem die Kräfte von Zeit und Natur. Und damit natürlich auch die Vergänglichkeit. 

herman de vries arbeitet mit Fundstücken aus dem Wald aber auch aus Industriebrachen

Vergänglichkeit ist gut und wichtig, sagt herman de vries. Denn nur so entsteht Raum für Neues. Auf die Frage, ob der Begriff für ihn im Alter eine tiefere Bedeutung bekommen hat, lacht er kurz auf. "Ich bin jetzt 91, ich weiß nicht, wie lange das noch dauert. Aber jeder Tag ist wertvoll. Sterben kann unangenehm sein, aber vor dem Ende habe ich keine Angst. Mit dem Tod hört es einfach auf."

Hinterlassenschaften früherer Nutzungen werden ganz selbstverständlich Teil der Präsentation.
Foto: Mathias Wiedemann | Hinterlassenschaften früherer Nutzungen werden ganz selbstverständlich Teil der Präsentation.

herman de vries arbeitet mit Fundstücken wie Knochen oder Totholz aus dem Wald aber auch Zivilisationsmüll aus Industriebrachen und macht daraus Installationen, Reihungen, Assemblagen. Er sammelt (und lässt sammeln) Erden aus der ganzen Welt, deren unendliche Farbvielfalt er mit sogenannten Ausreibungen sichtbar macht. Um die 8000 sind es inzwischen, sie sind im Musée des Terres (Museum der Erden) im Musée Gassendi in Dignes in der Provence untergebracht. herman de vries' Arbeiten sind in bedeutenden Museen weltweit zu sehen, im Centre Georges Pompidou in Paris ebenso wie im MoMa in New York oder im Victoria and Albert Museum in London. 2015 hat er den niederländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltet.

Am Sonntag, 25. September, wird um 14 Uhr die nächste große Ausstellung eröffnet: Auf dem Gelände des Golfclubs Maria Bildhausen, dessen historische Gebäude einst zum Kloster gehörten. Thomas Pfarr, der in Münnerstadt die Galerie im Heimatspielhaus betreibt, bespielt hier seit zwei Jahren das Haus Nivard, ehemalige Residenz Nivards, des letztens Abts des Klosters.

Galerist Thomas Pfarr mit kleineren Arbeiten von herman de vries.
Foto: Mathias Wiedemann | Galerist Thomas Pfarr mit kleineren Arbeiten von herman de vries.

Das einst prunkvolle klassizistische Haus war nach der Säkularisation 1802 - allen Stucks beraubt - zwischenzeitlich Arbeitshaus des Dominikus-Ringeisen-Werks für behinderte Menschen und stand zuletzt viele Jahre leer. Es ist, wenn man so will, selbst ein Fundstück, das alle Spuren der Vergänglichkeit aufweist.

Ein Zimmer in Haus Nivard hat der Künstler selbst zum Kunstwerk erklärt

Unter dem Titel "sein & vergehen" werden in über 20 Räumen zentrale Arbeiten von herman de vries aus über 60 Jahren zu sehen sein. Ein großer Kreis duftender Rosenknospen. Die fünf Ausgaben einer Lokalzeitung, die der Künstler in den 1980er Jahren unterschiedlich langen Verwitterungsprozessen ausgesetzt hat. Die großen Schriftbilder, auf die herman de vries die Namen aller schottischen Wälder geschrieben hat, die dem Kahlschlag zum Opfer gefallen sind.

herman de vries macht Schönheit sichtbar, wie sie alle Menschen wahrnehmen könnten, wenn sie denn könnten.
Foto: Mathias Wiedemann | herman de vries macht Schönheit sichtbar, wie sie alle Menschen wahrnehmen könnten, wenn sie denn könnten.

Den sich auflösenden Boden eines kleinen Zimmers hat der Künstler kurzerhand zum eigenen Kunstwerk erklärt. "Da sollte man gar nichts mehr verändern", sagt er. Allen Arbeiten ist eines gemein: Sie sind von purer, schlichter Schönheit. Ein Wort, das herman de vries selbst im Gespräch übrigens nicht ein einziges Mal gebraucht.

Die Ausstellung war zuvor im Museum für Sepulkralkultur Kassel und dann in Amsterdam zu sehen. Nun reist das erheblich erweiterte Konvolut nach Maria Bildhausen an. Dabei sein wird diesmal auch eine große Außenplastik aus Totholz, die damals nicht von Kassel nach Amsterdam transportiert werden konnte: Es nistete eine Amsel darin. herman de vries erzählt die Geschichte mit großem Vergnügen. Einer jener Zufälle, die ihm ganz besondere Freude machen.

herman des vries: "sein & vergehen". Ausstellung in Haus Nivard, Rindhof (Gelände des Golfsclubs Maria Bildhausen, Lkr. Bad Kissingen). Eröffnung 25. September, 14 Uhr, bis 1. November. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 14 bis 17 Uhr.

 
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