Achtung: Dieser Artikel befasst sich mit "Game of Thrones", Spoiler lassen sich nicht ausschließen. Fans, die nicht auf dem aktuellen Stand sind (S08E03), sollten ihn nicht lesen.
Redaktionskonferenz. Der Kulturredakteur kündigt an, einen Text zum Thema "Game of Thrones" machen zu wollen. Schließlich ist gerade Halbzeit der letzten Staffel der Kultserie, drei von sechs Folgen sind durch. Bergfest, könnte man sagen, aber nach den letzten Ereignissen dürfte in Winterfell, dem Ort der jüngsten dramatischen Entwicklungen, niemandem so richtig nach Feiern zumute sein.
War das jetzt schon zuviel verraten? Die Kollegin vom Sport hat die neuesten Folgen noch nicht gesehen und verbittet sich jeglichen Spoiler. Sie meint damit mitnichten Motorsport, sondern Indiskretion und Verrat. Sie will mit eigenen Augen sehen, wie das Mammut-Epos endet. Sie will auf keinen Fall einen Satz hören (oder lesen) wie "Also, dass Arya erstochen wird, ist ja krass!"
Keine Angst, das war jetzt nur ein fiktives Beispiel. Oder vielleicht nicht?
Der Kulturredakteur ist in der Zwickmühle: Da wird man Zeuge des größten Fernsehereignisses der vergangenen zehn Jahre, darf in einem Artikel darüber aber nicht auf die Handlung eingehen? Wobei das wohl noch tiefgestapelt ist, eine andere Zeitung war sogar der Meinung, die soeben gesendete Folge 3 sei das größte Spektakel der gesamten Fernsehgeschichte gewesen.
Spoiler sind kein Kavaliersdelikt, da verstehen die Fans keinen Spaß
Wie auch immer: Millionen Fans in aller Welt debattieren nach jeder Folge im Netz über Plausibilität oder Symbolwert jedes Details, über jede vermeintliche oder tatsächliche Andeutung, jede denkbare Fortsetzung der Handlung. Theorien und Parodien, Nachrufe auf gefallene Helden und Zuspruch für die, die noch dabei sind, schießen ins Kraut. Aber bloß nichts verraten! Wie soll das denn gehen?
Spoiler sind offenbar kein Kavaliersdelikt, auch außerhalb der "Game of Thrones"-Blase nicht. Wie sonst würde sich eine solche Schlagzeile (aus der Magdeburger "Volksstimme") erklären: "US-Football-Star McCoy soll Details über den Superhelden-Film ,Avengers: Endgame' verraten haben. Eine Petition fordert seine Kündigung." Es sind schon Promis über geringere Verfehlungen gestolpert.
Es geht um verdorbene Vorfreude, um verpatzte Spannung, ja entgangene Lebensqualität. Wobei dieses Beispiel nicht ganz vergleichbar ist: McCoy hat offenbar Handlungsdetails ausgeplaudert, bevor irgendjemand die Chance hatte, den "Avengers"-Film zu sehen. Die Spoiler trafen also ausschließlich unverschuldet Unwissende. Aber wie ist es mit den Serien-Neulingen, Serien-Nachzüglern und Serien-Trödlern, die mit ein wenig Engagement längst auf dem Laufenden sein könnten?
Mit Neueinsteigern wird über absehbare Zeit kein vernünftiges Gespräch möglich sein
"Man muss die Frage hier schon stellen: Wie lange gilt eigentlich der Kükenschutz?", meldet sich ein Kollege in der Redaktionskonferenz. Tage? Wochen? Monate? Für immer? Nehmen wir doch den Extremfall eines Neueinsteigers, der eben erst seine Begeisterung für "Game of Thrones" entdeckt hat und ab jetzt ein, zwei Folgen pro Woche schaut. Mit dem wird über absehbare Zeit kein vernünftiges Gespräch möglich sein.
Wollen wir es wirklich so weit kommen lassen, dass wir bei jeder Begegnung, bei jedem Kneipentreff, bei jedem Mittagessen in der Kantine erstmal abfragen müssen, wer wovon welche Folge gesehen, oder – viel wichtiger – noch nicht gesehen hat? Welche Themen also unbedingt zu meiden sind? "Dann redet halt über was anderes", wirft ein "Game of Thrones"-Verweigerer ein. Niemand würdigt ihn einer Antwort.
Ab hier gilt: Vorsicht Spoiler!
Also: Im Folgenden wird hier so wenig wie irgend möglich, aber so viel wie unbedingt nötig gespoilert. Wer mehr als eine Folge hintendran ist, sollte nicht weiterlesen.
Es ist also, wie absehbar, zur großen Schlacht um Winterfell gekommen. Der Nachtkönig, sein Führungszirkel, die Weißen Wanderer, und ihre unerschöpflichen Kohorten an Zombie-Kriegern haben die große Mauer im Norden überrannt und schicken sich nun an, das gleiche mit Winterfell, der Burg der Starks zu tun. Was genau in dieser Schlacht passiert, darüber gehen inzwischen die Meinungen auseinander, denn weite Teile des kolossalen Gemetzels sind so dunkel inszeniert, dass nicht allzu viel zu erkennen ist.
Auch soviel muss erlaubt sein zu verraten, schließlich wäre jeder andere Ausgang in Folge 3 von 6 eher kontraproduktiv gewesen: Es gelingt dem Nachtkönig nicht, den Laden zu übernehmen und die Menschheit auszulöschen. Wovon sollten dann die Folgen 4 bis 6 handeln?
Nur zur Erinnerung: Der Nachtkönig, ehemals selbst Mensch, ist ein Geschöpf der Kinder des Waldes, der Ureinwohner von Westeros, die sich mit dieser neuen Daseinsform eine Waffe gegen die in ihre Heimat einfallenden Menschen basteln wollten. Blöderweise waren der Nachtkönig und seinesgleichen, also die Weißen Wanderer, nicht gewillt, sich von den Kindern des Waldes herumkommandieren zu lassen.
Jetzt wird es mangels Masse vor allem auf taktische Finesse ankommen
Das wiederum ließen sich die Kinder des Waldes nicht gefallen, sie verbündeten sich mit den Menschen, trieben die frostige blauäugige Brut in den Norden und bauten die große Mauer. Verständlich also, dass der Nachtkönig noch ein paar Rechnungen mit den Menschen offen hat. Was aus den Kindern des Waldes wurde, wissen Hardcore-Fans bestimmt, zum Grundwissen "Game of Thrones" gehört das nicht unbedingt – oder kommt da noch was?
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Jedenfalls: Eine solch epochale Schlacht geht an niemandem spurlos vorüber. Von einigen Personen wissen wir, dass sie überlebt haben, von anderen wissen wir das Gegenteil. Und von einigen wissen wir es nicht wirklich – wie gesagt, das war alles ganz schön dunkel. Manche werden wir vermissen, andere vielleicht weniger. Jetzt kommen wohl erstmal Aufräumarbeiten gigantischen Ausmaßes. Und die Bestandsaufnahme: Wo stehen wir? Welche Ressourcen haben wir noch?
Zeit, etwaige posttraumatische Stresssyndrome zu therapieren (Auslöser dafür gäbe es massenhaft), wird wohl kaum bleiben. Im Süden sitzt schließlich die böse Cersei mit ihrem Söldnerheer und einem ziemlich unsympathischen Verehrer und wartet nur darauf, den Norden einzunehmen. Jetzt wird es mangels Masse also wohl vor allem auf taktische Finesse ankommen. Bislang, mit Verlaub, nicht gerade die Stärke der Guten in dieser Serie. Wäre aber mal eine ganz nette Abwechslung nach all dem Waffengetümmel.
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