
Kann Musik an sich aufklärerische Kraft haben? Der Pianist und Dirigent Christian Zacharias beantwortet die Frage mit einem klaren Nein. Evelyn Meining, Intendantin des Würzburger Mozartfests, hatte sie ihm aus gegebenem Anlass gestellt: Das diesjährige Motto des Festivals lautet nämlich „Aufklärung – Klärung – Verklärung“. Eine Einzelmeinung, wenn mal so will, Meining jedenfalls will nicht so ohne weiteres lockerlassen: „Musik atmet den Geist ihrer Zeit“, sagte sie in ihrer kurzen Rede vor dem Eröffnungskonzert am Freitag im Kaisersaal er Residenz. Im Falle Mozart (1756-1791) wäre das eben die Zeit der Aufklärung, die Zeit der Revolution gar.
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Und es geht ihr nicht nur um die verklärten Aspekte der Aufklärung. Es geht auch um Klärung: Um die Feststellung etwa, dass der Mensch die Welt in diesen gut 300 Jahren seit Beginn der Aufklärung kraft seiner neugewonnenen – vorgeblich vernünftigen – Fähigkeiten an den Rand der Zerstörung gebracht hat. Das Gegengewicht: Humanität. Wie steht es also mit der Humanität in der Musik?
Mozart sagt geradeheraus, was er meint
Fragen, auf die sich vielleicht im Laufe dieses Mozartfests Antworten abzeichnen. Hartmut Haenchen und die Camerata Salzburg jedenfalls haben ihre bereits gefunden: Der (möglicherweise auch humanitäre) Wert der Musik liegt in ihrer treulichen Wiederhabe.
Und die ist eigentlich wiederum ganz einfach: Man muss Mozart nur beim Wort nehmen, und schon entsteht Großartiges. Dirigenten sagen ja gerne: „Spielen Sie einfach, was dasteht.“ Vielleicht hat Haenchen ja diesen Satz gesagt, als er mit der Camerata für das Mozartfest probte. Jedenfalls klang das Eröffnungskonzert genau so: Mozart beim Wort genommen, und zwar als jemand, der geradeheraus sagt, was er meint.
So kam die „Jupiter“-Sinfonie durchaus hemdsärmelig daher – nicht ungeschlacht, nicht grob, aber ohne jene nachträglich hineininterpretierten Metaebenen, die irgendwann in Mode kamen, nachdem sich die Musikwelt endlich vom romantischen Mozart verabschiedet hatte. Vielleicht macht gerade das die Faszination Mozart aus: Er hat es nicht nötig anzudeuten oder zu verschlüsseln – der Vordergrund ist Hintergrund genug.
Haenchen entfesselt die Klänge
Haenchen bedient sich dazu vor allem eines Mittels: Er gibt schlicht und einfach die Klänge frei, und die allesamt engagiert, hochpräzise und mit viel Spaß an eben diesen Klängen musizierenden Salzburger danken es mit Witz und Verve. Klänge freigeben bedeutet auch den Bruch mit alten Gewohnheiten, Regeln Einschränkungen. Etwa dem Grundsatz, dass die Mittelstimmen immer leiser sein müssen als die ersten Geigen. Warum eigentlich? Hier jedenfalls passieren plötzlich spannende Dinge in Hörnern oder Fagotten, während die Geigen die Farbe beisteuern.
Die klassische „Begleitstimme“ gibt es plötzlich nicht mehr, alle sind gleich wichtig, das Spannende dabei ist nur, dass dabei kein Klangbrei entsteht, sondern eine vollkommen neue Form von Mehrstimmigkeit, ja vollkommen neue Musik.
Mozarts frühe Oper „Il re pastore“ ist zweifellos ein unterschätztes Schlüsselwerk. Haenchen hat dazu eine Sinfonie rekonstruiert, die es auch gegeben haben muss, deren Partitur aber nicht enthalten ist. Das dreisätzige Stück, in einem Zuge mit ansteckendem Schwung durchgespielt, zeigt Mozart zwar als genialen Themenerfinder, doch dramaturgisch wirkt es in dieser Version irgendwie unausgereift.
Feinste Sangeskunst auf der Klarinette
Doch das Werk des Abends, das möglicherweise am längsten in Erinnerung bleiben wird, ist Karl Amadeus Hartmanns (1905-1963) Kammerkonzert für Klarinette, Streichquartett und Streichorchester von 1935. Weil die fabelhafte Klarinettistin Annelien Van Wauwe ihren nahezu pausenlosen Part mit derart souveräner Sangeskunst bis ins leiseste dreifache Pianissimo gestaltet. Oder weil das Schumann-Quartett seine Einschübe mit derart viel Sinn für Struktur und Geist des Werkes beisteuert. Oder weil die Salzburger die knifflige Partitur derart begeistert und begeisternd umsetzen.
Das Werk beginnt mit atonalen Klangflächen, paraphrasiert immer wieder kunstvoll verfremdet Einflüsse von Kodály, Bartók, vielleicht auch Chatschaturjan und endet in reinem Moll. Dazwischen: Hörerfahrungen immer genau auf der Grenze zwischen Vertrautem und Unerhörtem, wie sie der Konzertalltag viel zu selten bietet.
Hartmann stellt immer die Frage nach der Humanität
Karl Amadeus Hartmanns Musik stellt im Grunde immer die Frage nach der Humanität. Immer wieder fließen Wut und Trauer über die Gewalt im NS-Staat, über Krieg und Unterdrückung in seine Werke ein. Das deutet sich in der atemberaubend intimen Einleitung zur „Fantasie“ im Kammerkonzert an und wird später in ausdrücklich politisch motivierten Werken wie dem „Concerto funebre“ von 1939 oder dem „Klagegesang für großes Orchester“ (1944/45) noch deutlicher werden.
Zur Pause und zum Schluss begeisterter Beifall von Kaisersaal und Weißem Saal und wohltuenderweise keine Zugabe – hier wurde Mozart beim Wort genommen, und wenn alles gesagt ist, ist alles gesagt.