Fertig geprobte, für die neue Bühne konzipierte Stücke liegen auf Halde, weil das neue Kleine Haus noch für einige Monate nicht zur Verfügung stehen wird. Deshalb müssen die neue Schauspieldirektorin Barbara Bily und Intendant Markus Trabusch reagieren – mit neuen Stücken an neuen Aufführungsorten. Und dabei etwas machen, was Theaterleute sonst unbedingt vermeiden wollen: während der Saison einen Spielplan für die laufende Saison.
Barbara Bily: Großartig! Der Abend ist ganz toll geworden, und ich bin wahnsinnig froh, dass wir so kurzfristig eine Spielstätte aufgetan haben. Das Stück war ja für die Probebühne im Neubau gedacht. Dass wir es im Z87 realisieren konnten, war eine Punktlandung. Das Bürgerbräu-Gelände mit dem Programmkino, dem Off-Theater und den ganzen anderen Läden ist als Kulturstandort super. Indem wir in verschiedene Stadtviertel gehen und geeignete Räume suchen, tun wir jetzt genau das, was man vom Theater immer fordert: Raus aus der eigenen "Blase", rein in die Stadt!
Bily: Wir sind mit "Klamms Krieg" in Schulen unterwegs. Und wir sind mit der Kirche St. Andreas in der Sanderau im Gespräch. Ein sehr beeindruckender Betonbau von 1968, der sich sehr gut eignet, um dort Brechts "Kaukasischer Kreidekreis" zu machen. Premiere wird am 4. Dezember sein.
Markus Trabusch: Wir werden zudem versuchen, "Klamms Krieg", das ja ein Klassenzimmer-Stück ist, auch im Abendspielplan anzubieten. In einem Klassenzimmer: im Röntgen-Gymnasium.
Bily: Absolut. Es ist wirklich aufregend, während der Saison einen Spielplan für die laufende Saison zu machen. Denn die Projekte, die für den Theaterraum konzipiert und geprobt sind, werden nur verschoben. Die können wir nicht irgendwo spielen. Also müssen wir Lücken füllen. Der Brecht zum Beispiel ist eine komplette Neuerfindung.
Bily: Weiterhin in der Mischung der Klassiker, der modernen Klassiker und der Gegenwartsdramatik. Die ständige Befragung der Klassiker nach ihrer Gültigkeit heute bleibt ein wichtiger Punkt. Wäre der Spielplan so gekommen, wie wir uns das gewünscht hätten, mit dem "Zerbrochnen Krug" von Kleist, einem Horváth und einer Jelinek, dann wäre das genau die Linie gewesen, die ich verfolgen will.
Bily: Ja, manche Stücke müssen erst noch geschrieben werden. Aber manchmal kann es helfen, aus einem gewissen Abstand heraus zu schauen, wo Teile der Gesellschaft inzwischen "abgebogen" sind. Da sind wir wieder bei der Befragung der Klassiker: Wenn man sich bestimmte Plots von Shakespeare anschaut, fragt man sich, sind wir eigentlich seit 1600 nicht weitergekommen? Stellt sich wirklich kein Lerneffekt ein? Dieses Prophetische ist tatsächlich erschreckend. Insofern ist das Spielzeitmotto "Riss durch die Welt", angelehnt an das gleichnamige Stück von Roland Schimmelpfennig, sehr gut gewählt. Wo kommen all die Risse in unserer Gesellschaft her, die sich gerade auftun?
Trabusch: Die Klimakrise zum Beispiel ist sicherlich kaum dramatisch fassbar. Sie hat zwar eine große Dramatik, aber diese Ereignisse sind auf der Bühne nicht wirklich sinnfällig umsetzbar. Das wäre eine ernsthafte Herausforderung.
Bily: Aber das passiert einem ja auch mit den zehn Geboten. Manche Dinge ändern sich nicht grundsätzlich. Habgier etwa wird immer ein Symptom der Menschheit bleiben.
Bily: Zum Theaterberuf gehört natürlich ein gewisser Idealismus. Aber die Welt zu verändern, wäre doch ein merkwürdiges Ziel. Aber wenn wahrhaftige Momente gelingen, wenn man es schafft zu berühren, zu ermutigen, wenn wir gute Diskussionen anstoßen – das sind unsere Einflussmöglichkeiten.
Bily: Das beobachten wir auch, und das geht allen so. Manche Häuser behalten deshalb die Abstände bei – um zu kaschieren, dass sie nicht ausverkauft sind. Da merkt man, wie wichtig Abo-Strukturen sind – und die sind bei allen während Corona weggebrochen. Zudem herrscht ein Überangebot, weil alle das in die Welt bringen, was im Rückstau hängt. Man könnte jeden Abend drei Veranstaltungen besuchen. Das ist, glaube ich, nach der langen Entwöhnung eine Überforderung.
Trabusch: Uns ist klargeworden, dass ein Theaterbesuch für die Menschen nicht erst losgeht, wenn es im Saal dunkel wird, sondern deutlich vorher. Wie ist die Aufenthaltsqualität? Kann ich vorher schon ein Glas Sekt trinken oder einen Espresso? Dann, ganz wichtig: die Pause, deren Bedeutung wir wieder neu gelernt haben. Weil man sich austauscht, was trinkt, mit frischem Geist in den zweiten Teil geht. Alle Künstlerinnen und Künstler auf der Bühnen wissen: Nach der Pause ist es immer viel leichter, das Publikum zu kriegen.
Barbara Bily, Jahrgang 1982, hat in ihrer Geburtsstadt Leipzig Dramaturgie studiert. Nach Stationen in Bochum und Augsburg ging sie als leitende Dramaturgin nach Münster, wo sie den Schwerpunkt Gegenwartsdramatik ausgebaut hat. Seit dieser Spielzeit ist sie Schauspieldirektorin am Mainfranken Theater.
Die nächsten Schauspiel-Premieren: "Grenzen" von Nimrod Danishman, 6. November, Keller Z87, Bürgerbräu-Gelände. "Der kaukasische Kreidekreis" von Bertolt Brecht, 4. Dezember, Kirche St. Andreas, Sanderau.