Lange hat das Würzburger Theaterpublikum auf ein Stück von Sibylle Berg warten müssen. Doch jetzt hat die Schauspielsparte des Mainfranken Theaters mit "Und jetzt: Die Welt" die neue Spielzeit 2021/2022 eröffnet. Und zugleich mit dem Keller Z 87 auf dem Bürgerbräugelände eine neue und für diese Produktion geradezu ideale Ausweichspielstätte in Betrieb genommen. Bis zur endgültigen Fertigstellung des Kleinen Hauses soll dieser Gewölbekeller als weitere Interimsspielstätte insbesondere für Schauspielproduktionen dienen.
In ihrem "Text für eine Person und mehrere Stimmen", der 2013 in Berlin uraufgeführt wurde, porträtiert Sibylle Berg das Leben von drei jungen Frauen in ihren Zwanzigern. Es ist das Stücke einer vierteiligen Reihe, die im Oktober 2020 mit "Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden" ihren preisgekrönten Abschluss fand.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind zu Gast in einer WG -Wohnung in einer namenlosen Stadt, bewohnt von einer namenlosen "Erzählerin" und deren Freundinnen Gemma und Minna. Womit die Komplikationen schon beginnen: Gemma und Minna sind lediglich per SMS, per E-Mail, Voice-Nachricht oder Skype präsent, während der Text der Erzählerin in Catja Baumanns Würzburger Inszenierung auf drei Darstellerinnen aufgeteilt ist.
Die Darstellerinnen sprechen weite Textpassagen chorisch
Schon äußerlich zeigen Anouk Elias, Klara Pfeiffer und Jojo Rösler, dass sie eine Person, genauer: emotionale Varianten ein- und derselben Person sind. Ausstatterin Feng Li hat das Trio einheitlich in graue Boots und Leggings, lila Hoodies über freakigen Blumenkinder-Shirts gekleidet und mit rosa Brillen und Bajazzo-Hütchen versehen. Und sie sprechen weite Textpassagen chorisch mit synchroner Gestik und Mimik, reagieren aber in ihren Einzel-Texten emotional unterschiedlich.
In einer Art Lecture-Performance, gerichtet an einen ebenfalls imaginären Paul, zeigen sie Facetten eines weiblichen Ich, das sich im permanenten Überlebenskampf befindet: "Ich muss überleben – Sieger sein!" Diese Selbstbehauptung erstreckt sich auf alle Lebensbereiche: auf Körperlichkeit, psychische Erkrankungen, Beziehungen, Sex, Lifestyle, aufs Konsumverhalten, auf die Ernährung und nicht zuletzt das Wichtigste, auf ein glückliches Gefühlsleben. Lina heißt die Frau des Herzens der namenlosen Protagonistin, auch sie nicht materiell anwesend, sondern eine Person im virtuellen Raum, die, wenn sie anruft, plötzlich in Konkurrenz tritt zur Mutter, die gleichzeitig gerade auf dem Festnetz spricht.
Der ausschichtslose Kampf gegen einen undefinierbaren Feind da draußen
Es ist ein beinahe aussichtsloser Kampf, den diese Frau(en) führt(en), gegen ein unbekanntes und undefiniertes Äußeres, gegen den unablässigen Druck zu funktionieren, mitzuhalten in einer Welt, die sich fast nur noch über Äußerlichkeiten definiert.
Catja Baumann setzt dieses Dilemma mit hohem Tempo und viel Witz in Szene. Die glänzenden Darstellerinnen leben sich mit großer Spielfreude immer weiter hinein in diesen unaufhörlichen Widerspruch zwischen dem Sinn des Lebens und dem Wahnsinn einer kaputten Gesellschaft. Sie zaubern aus den 70 Bühnen-Minuten einen heftig beklatschten und lange nachwirkenden Sibylle-Berg-Theaterabend, der ein eher junges Publikum im Fokus hat.
Nächste Vorstellungen: 13., 14., 20. und 26. Oktober. Karten-Tel. (0931) 3908-124 oder www.mainfrankentheater.de