
- Was ist das für eine Ausstellung? Luisa Heese, seit einem Jahr Direktorin des Würzburger Kulturspeichers, befasst sich mit dem Thema Ordnung. Titel der ersten von ihr gestalteten Ausstellung: "New Order – über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten".
- Worum geht es? Es geht um die Frage, wie die Kunst darauf reagiert, dass immer häufiger Ordnungen ins Wanken geraten, die bislang als sicher galten – auf globaler wie auf privater Ebene.
- Was ist zu sehen? Arbeiten aus dem 20. und 21. Jahrhundert, Bilder, Skulpturen, Videos, Installationen, die sich mit den unterschiedlichsten Aspekten von Ordnung auseinandersetzen. Mit mathematischen Phänomenen ebenso wie mit politischen oder ästhetischen. Mit Ordnungen, die auf Macht fußen, und mit Ordnungen, die die Willkür ebendieser Macht herausfordern.
"Ordnung ist das halbe Leben", sagt der Volksmund. Oder: "Ordnung muss sein!" So freudlos das klingt, zu widerlegen ist es kaum: Wir könnten ohne Ordnung als Individuen ebenso wenig überleben wie als Gesellschaft. Ordnungsprinzipien sind überdies ein wichtiges Hilfsmittel, um die Welt besser verstehen zu lernen, nicht nur für die Wissenschaft.
Umso beunruhigender, dass in den letzten Jahrzehnten viele unumstößlich geglaubte Ordnungen ins Wanken geraten sind. Die Welt wirkt seit Ende des Kalten Krieges nahezu stündlich unübersichtlicher, die Pandemie tut ein Übriges dazu. Familiäre Strukturen lösen sich auf, Demokratie und Rechtsstaat werden infrage gestellt. Weltweit sind laut UN über 80 Millionen Menschen auf der Flucht, weil die Ordnungen in ihren Heimatländern zusammengebrochen sind, oder weil ein (Über-)Leben in Würde unter den bestehenden Ordnungen nicht mehr möglich ist.
Es gibt viele Antworten: Spielerische und strenge, selbsterklärende und verschlüsselte
Luisa Heese, seit einen Jahr Direktorin im Würzburger Kulturspeicher, hat für ihren Einstand als Kuratorin nun das Thema Ordnung gewählt: "Wie kann man Ordnung ins Bild setzen", fragt sie. "Wonach wird gesucht in dieser Zeit?"

Heese hat viele Antworten auf diese Fragen zusammengetragen. Spielerische und strenge, selbsterklärende und verschlüsselte. So ist der Einstieg mit dem Gedicht "ordnung – unordnung" von Timm Ulrichs von 1961 ein vergnüglicher: Ulrichs zeigt, dass man nur die Buchstaben N und U aus "Ordnung" herausnehmen und als "Un" dem Restwort voranstellen muss, schon wendet sich der Sinn ins Gegenteil. Ein frappierend einfacher Beweis, dass es Ordnung ohne Unordnung nicht geben kann.
Zwei unterschiedlich lange Zollstöcke – das soll Ordnung sein?
Dass nicht alles Ordnung ist, wo "Ordnung" draufsteht, beweist Sophia Pompéry. Die Künstlerin zeigt zwei handelsübliche Zollstöcke, beide angeblich genau zwei Meter lang. Außer, dass einer der beiden einen deutlichen Zentimeter länger ist als der andere. . .
Mit der herkömmlichen Wahrnehmung räumlicher Ordnung spielt die Münchner Medienkünstlerin Barbara Herold: Sie hat virtuelle Skulpturen geschaffen, die nur im Netz und nur auf den Plätzen vor und hinter dem Kulturspeicher existieren. Zu sehen sind sie als AR-Installation (AR steht für Augmented Reality, etwa: ergänzte Realität) vor Ort auf Smartphone oder Tablet per App ("Vice Versa AR" für iOS und Android).

Gegen willkürliche staatliche Ordnung lehnt sich das Londoner Projekt Forensic Architecture auf, das mit enormem Rechercheaufwand etwa den Vorwurf italienischer Behörden widerlegt, die Besatzung eines Seenotrettungsschiffs habe als Schlepper von Geflüchteten gehandelt – eine beeindruckende Videoarbeit. Eine willkürliche Form geografischer Ordnung entlarvt die Künstlerin Alicja Kwade, die mit schartigen Stahlringen demonstriert, dass die Zeitzonen der Erde schlicht nach politischen Notwendigkeiten eingeteilt wurden.
Der Kalte Krieg war eine Zeit der Erstarrung – aber wenigstens eine Zeit der Ordnung
Starstück der Ausstellung ist Hanne Darbovens (1941-2009) große Arbeit "Ost-West-Demokratie". 190 Bilder, über 1500 Postkarten – eine Chronik der Erstarrung zwischen Ost und West von 1949 bis 1983, persönliche Notizen eingezwängt zwischen US- und Sowjet-Flaggen. Ein raumgreifendes Dokument des Stillstands. Was damals sicher beklemmend wirkte, mutet aus der Perspektive heutiger Verwerfungen fast nostalgisch an. Ein bleierne Zeit, eine Zeit perverser Ordnung. Aber eben eine Zeit der Ordnung.
Museum im Kulturspeicher, Würzburg: "New Order – über Kunst und Ordnung in ungewissen Zeiten". Bis 9. Januar 2022. Di. 13-18 Uhr, Mi. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Fr.-So. 11-18 Uhr.