Schon der Name ist sperrig: Kulturgutschutzgesetz. 42 Seiten umfasst der Text des„Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts“, den im Juni und Juli Bundestag und Bundesrat abgesegnet haben – gegen den erbitterten Widerstand von Kunsthandel, Künstlern und Sammlern.
Das Gesetz bündelt und regelt drei Bereiche neu, die zuvor in einzelnen Gesetzen festgehalten waren. Es stellt Bedingungen, welche Kunstwerke künftig ins Land gebracht werden dürfen – das soll vor allem dem illegalen Handel mit antiken Artefakten etwa aus Raubgrabungen das Wasser abgraben.
Der Handel mit Raubkunst soll unterbunden werden
Es benennt die Voraussetzungen, unter denen Kunstwerke in die Liste national wertvollen Kulturguts eingetragen werden sollen. Daraus wiederum ergibt sich, unter welchen Umständen Kunstwerke das Land verlassen dürfen oder eben nicht.
Es war und ist vor allem dieser dritte Punkt, an dem sich die Kontroverse entzündet: Ein Kunstwerk, das auf der Liste national wertvollen Kulturguts steht, darf nicht mehr ins Ausland verkauft werden. Das bedeutet, so die Kritiker, dass es massiv an Wert verliert, weil erfahrungsgemäß in London oder Basel weit höhere Preise erzielt werden. Von „kalter Enteignung“ war sogar die Rede.
Verunsicherte Leihgeber
Der Gesetzgeber wiederum will verhindern, dass Kunstwerke, die von Bedeutung für das kulturelle Selbstverständnis Deutschlands sind, im Ausland und dort womöglich auf Nimmerwiedersehen in den Tresoren irgendwelcher Spekulanten landen.
Doch was bedeutet „national wertvoll“? Der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer merkte in der „Süddeutschen Zeitung“ an: „Die moderne, die aktuelle Kunst agiert längst global, der Versuch, sie sozusagen ,völkisch' einzukäfigen, erinnert an Zeiten, in denen die Frage ,Was ist deutsch an der deutschen Kunst‘ den ästhetischen Diskurs beherrschte.“
Der nationale Aspekt lässt sich aus mehreren Perspektiven betrachten. So waren es in der Vergangenheit oft ausländische, meist amerikanische Sammler und Mäzene, die in Zeiten von Ignoranz und Kriegen europäische Kunst vor Verfall oder Zerstörung retteten.
Ein Beispiel aus der Region: Der Schweinfurter Industrielle und Sammler Wilhelm Sattler (1784–1859)und seine Frau Catharina gelten heute als Wiederentdecker des Genies von Tilman Riemenschneider. Als 1901 in Berlin ihre unschätzbare Kunstsammlung versteigert wurde, bot die Stadt Schweinfurt gar nicht erst mit. Würzburg bekam unter anderem für zwei Leuchterengel und die Figurengruppe Anna Selbdritt von Riemenschneider den Zuschlag. Der Rest wurde in alle Welt verstreut.
Das wäre heute unmöglich: Die Riemenschneider-Figuren aus dem Mainfränkischen Museum in Würzburg stehen ebenso auf der Liste national wertvollen Kulturguts wie etliche Gemälde aus der Schweinfurter Sammlung Georg Schäfer.
Wie weit das neue Gesetz das unübersichtliche Nebeneinander von Landes- und Bundeslisten beseitigen kann, muss sich erst noch zeigen. Als Ende 2014 der Schweinfurter Otto G. Schäfer ein bedeutendes Konvolut wertvoller Büchern des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Sammlung Otto Schäfer in die Schweiz verkaufte , hatte der Einspruch der Freien und Hansestadt Hamburg, die das Paket in ihre Kulturgutliste aufnahm, nur aufschiebende Wirkung – sehr zum Bedauern nicht nur der Fachwelt.
Kritiker äußerten sogar verfassungsrechtliche Bedenken
Seit erste Inhalte des Gesetzesentwurfs durchgesickert waren, hatte es Proteste gehagelt. Das Gesetz bedeute eine Einschränkung des Eigentumsrechts und der Handelsfreiheit, Juristen äußerten verfassungsrechtliche Bedenken.
Verunsicherte Leihgeber zogen Werke aus Museen ab. Für Aufsehen sorgte der Maler Georg Baselitz, der aus Protest Leihgaben eigener Werke in Museen abhängen ließ. Eine rein symbolische Aktion, denn im Gesetz steht der eindeutige Satz „Werke lebender Urheber oder Hersteller dürfen nur mit deren Zustimmung [in die Liste] eingetragen werden.“
Im Juli 2015 hatte es zwar eine Teilentwarnung gegeben: „Künstler und Sammler müssen nicht um ihr Eigentum fürchten, der Staat wird keine Wohnungen kontrollieren“, hieß es etwa in der „Süddeutschen Zeitung“. Dennoch berichtete „Die Zeit“ noch im vergangenen Juni: „Bedeutende Sammler halten ihre Stücke bereits in sogenannten Grütters-Lagern im Ausland versteckt.“
Kulturstaatsministerin im Fokus der Gegner des Gesetzes
Der Begriff „Grütters-Lager“ bezieht sich auf Kulturstaatsministerin Monika Grütters, treibende Kraft hinter dem Gesetz. Sie war es auch, die über ein Jahr lang im Zentrum des erbitterten Streits stand. Wobei die Kritiker durchaus nicht nur aus dem Kunsthandel kamen und kommen, wie das Grütters' Vorgänger Michael Naumann in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ andeutete, als er von einer „tüchtigen, geradezu herzensguten Lobby von Galeristen und Kunsthändlern“ sprach.
Wenige Tage nach der Abstimmung im Bundesrat meldete das Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, eine Sonderausstellung müsse vorzeitig schließen, viele private Leihgeber seien stark verunsichert und hätten sich „zum Schutz ihrer Sammlungen entschlossen, ihre Leihgaben zurückzuziehen“. Kurz darauf die Auflösung: Die Schau könne wie geplant bis Januar gezeigt werden, die Politik habe klargestellt, dass die Exponate nicht unter das neue Gesetz fielen.
Private Leihgeber müssen Wertgutachten vorlegen
Auch die vorübergehende Ausfuhr von Kunstwerken oberhalb bestimmter Alters- und Wertgrenzen, etwa für Ausstellungen, muss genehmigt werden. Dies gilt etwa für Gemälde, die älter als 75 Jahre und über 300 000 Euro wert sind.
Marlene Lauter, Leiterin des Museums im Würzburger Kulturspeicher, Erich Schneider, Gründungsdirektor des Fränkischen Landesmuseums, und Jürgen Lenßen, Leiter des Kunstreferats der Diözese, befürchten kaum Auswirkungen auf ihre Arbeit – ihren Einrichtungen ist gemein, dass sie wenig mit Leihgaben aus dem Ausland arbeiten oder welche ins Ausland schicken. Zudem sei der Status der Dauerleihgaben in ihrem Bestand langfristig vertraglich geregelt.
„Gesetz ohne Praxisbezug“
Die Einhaltung der Wertgrenzen kontrolliert der Zoll. Und hier setzt Wolf Eiermann, Leiter des Museums Georg Schäfer in Schweinfurt, mit seiner Kritik an. Dem Gesetz fehle der Praxisbezug: „Woher weiß der deutsche Zoll, was die Sachen wert sind?“ Der Eigentümer als Leihgeber müsse also in jedem Fall dem Zoll ein Wertgutachten vorlegen.
„Bisher konnte eine Ausstellung von Schweinfurt an ein Museum im Ausland unproblematisch komplett weitergegeben werden. Nun sind die privaten Leihgeber – die übrigens nur ein Dankeschön für ihre Leihgaben erhalten – aufgerufen, Genehmigungen einzuholen und diesen Teil ihres Vermögens damit zugleich offenzulegen.“
Das habe bereits im Winter 2015 dazu geführt, dass die Ausstellung „Die Drahtseilkünstlerin Germania“ wegen ihres Anteils von 40 Prozent an privaten Leihgaben nicht mehr weitergegeben werden konnte, weil zwei der sechs Leihgeber dieses Prozedere von vornherein ausschlossen.
„Langfristig“, so Eiermann, „wird die Folge sein, dass Kooperationen mit ausländischen Häusern komplizierter und nicht mehr mit so vielen Leihgaben aus Privatbesitz wie bisher bestückt sein werden. Der Rückgriff auf fremde Museumsbestände ist preislich aber wegen der höheren Transportkosten nicht so interessant wie Leihgaben aus Privatbesitz.“
Was tatsächlich im Gesetz steht
Das Gesetz zur Neuregelung des Kulturschutzrechts umfasst 91 Paragrafen. Hier Beispiele aus dem Inhalt.
Ein Kunstwerk, das auf der Liste national wertvollen Kulturguts steht, darf nicht mehr ins Ausland verkauft werden. Ferner muss die – auch vorübergehende – Ausfuhr von Kunstwerken oberhalb bestimmter Alters- und Wertgrenzen, etwa als Leihgaben für Ausstellungen, genehmigt werden. Dies gilt zum Beispiel für Gemälde, die älter als 75 Jahre und über 300 000 Euro wert sind. Geplant ist ein zentrales Internetportal zum Kulturgutschutz.
„Kulturgut ist von der obersten Landesbehörde in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes ein-
zutragen, wenn 1. es besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe Deutschlands, der Länder oder einer seiner historischen Regionen und damit identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands ist, und 2. seine Abwanderung einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde und deshalb sein Verbleib im Bundesgebiet im herausragenden kulturellen öffentlichen Interesse liegt.“
„Werke lebender Urheber oder Hersteller dürfen nur mit deren Zustimmung eingetragen werden.“ „Nur mit Zustimmung des Verleihers ... gilt Kulturgut in einer öffentlich-rechtlichen Kulturgut bewahrenden Einrichtung ... für die Dauer des Leih- oder Depositalvertrages vorübergehend ebenfalls als nationales Kulturgut. Der Verleiher ... kann seine Zustimmung jederzeit widerrufen.“ maw