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SCHWEINFURT
Stadt befürchtet Bedeutungsverlust
Das Museum Otto Schäfer in der Judithstraße: Die Lage abseits der Innenstadt trägt nicht gerade zu größerer Publikumsfrequenz bei.
Foto: Martina Müller | Das Museum Otto Schäfer in der Judithstraße: Die Lage abseits der Innenstadt trägt nicht gerade zu größerer Publikumsfrequenz bei.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 09.10.2016 16:55 Uhr

Das Klima zwischen Otto G. Schäfer und der Stadt Schweinfurt wird kühler. Schäfer, Sohn des Sammlers Otto Schäfer (1912–2000), hatte ein größeres Konvolut an seltenen Handschriften und Drucken des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem Bestand des Museums Otto Schäfer (MOS) via Hamburg an einen in der Schweiz ansässigen Händler verkauft. Und das, ohne die Stadt zu informieren, die einerseits Mitglied im Trägerverein des Museums ist und andererseits auf vielen Ebenen mit dem Museum zusammenarbeitet.

„Wir beobachten den Vorgang mit großer Sorge, insbesondere angesichts der Gefahr der Aushöhlung der Sammlung und deren damit einhergehenden Bedeutungsverlusts“, nimmt die Stadt auf Anfrage Stellung.

Der Vorgang war nur publik geworden, weil die Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg die Auslieferung gestoppt hatte, was wiederum der Historiker und Archivar Klaus Graf auf mehreren Internetplattformen für Historiker und Bibliothekare veröffentlichte. Nach Prüfung des Ausfuhrantrags war das Konvolut in die Hamburger Liste national wertvollen Kulturguts aufgenommen worden und darf das Gebiet der EU nicht verlassen – zumindest nicht von Hamburg aus.

Inzwischen sind die Bücher wieder zurück in Schweinfurt. Das bayerische Kultusministerium lässt nun seinerseits eine fünfköpfige Expertenkommission prüfen, ob sie in die Kulturgut-Schutzliste des Freistaats aufgenommen werden. Eine Entscheidung soll bis Anfang März fallen, so Pressesprecher Ludwig Unger. Der Verkauf als solcher wäre damit freilich nicht gestoppt.

Wie die Stadt bestätigt, hat inzwischen ein Gespräch zwischen Oberbürgermeister Sebastian Remelé und Otto G. Schäfer stattgefunden, über dessen Ergebnis aber Stillschweigen vereinbart worden sei. Die Stadt, so die Stellungnahme weiter, sei nur einfaches Mitglied im Verein und damit nicht im Vorstand vertreten, der die Geschicke des Vereins maßgeblich bestimme. „Der Vorstand kann laut Satzung auch über Vereinsvermögen eigenständig entscheiden.“

Über den Verkauf habe die Stadt bei einer Mitgliederversammlung im November lediglich Kenntnis erhalten – nach dessen Abschluss. „Dies erfolgte aber ohne Hinweise auf die Beweggründe sowie die Bedeutung der Veräußerung.“ Die Dimension des Verkaufs sei erst später durch eigene Recherche und schließlich über die Medien bekannt geworden. Laut Pressesprecherin Anna Barbara Keck will man nun unter Einbeziehung der politischen Gremien über einen weiteren Verbleib der Stadt im Trägerverein entscheiden.

Im Gegensatz zur Sammlung Georg Schäfer, die in eine echte Stiftung überführt wurde, ist der eingetragene Verein „Dr. Otto Schäfer Stiftung e.V.“ Eigentümer der Sammlung Otto Schäfer, mit Ausnahme eines bedeutenden Konvoluts von Dürer-Grafik. Vorsitzender und Geschäftsführer ist Otto G. Schäfer. Diese Rechtsform macht es, anders als die der Stiftung, grundsätzlich leichter, in das Vereinsvermögen einzugreifen.

Was Beobachter wie Klaus Graf vehement bedauern. Im Fokus der Fachleute stehen besonders die knapp 70 Inkunabeln oder Wiegendrucke des Verkaufspakets. Unter Inkunabeln (lateinisch incunabula – Windeln, Wiege) versteht man Drucke aus der Frühzeit (der Wiege) dieser Technik, also Arbeiten, die in den ersten 50 Jahren nach der Gutenberg-Bibel von 1454 entstanden.

Falk Eisermann von der Staatsbibliothek zu Berlin hat eine Stellungnahme zum Eintrag der 194 Posten in die Hamburger Liste verfasst: „Die große Mehrzahl der aufgeführten Inkunabeln lässt sich ohne Weiteres als besonders bedeutsam erkennen, zum Teil ist den Stücken ein herausragender wissenschaftlich-kultureller Rang zuzumessen.“ Die Bibliothek, so Eisermann weiter, habe bereits seit langem den „Ausverkauf“ ihrer Inkunabeln betrieben. Dennoch habe selbst dieser „Restbestand“ unschätzbaren kulturellen Wert und müsse als einzigartiges Ensemble dringend geschlossen in Deutschland verbleiben.

1987 und 1988 hatte Otto Schäfer in Ausstellungen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und in der Bayerischen Staatsbibliothek seine Schätze vorgestellt. Titel: „Fünf Jahrhunderte Buchillustration – Meisterwerke der Buchgraphik aus der Bibliothek Otto Schäfer“. 1992/1993 folgte „Europäische Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten“ in Schweinfurt, zu sehen im Museum, das damals noch Bibliothek Otto Schäfer hieß. Zu beiden Ausstellungen kamen opulente Kataloge heraus. Vergleicht man nun die Verkaufsliste mit den Katalogen, finden sich rund 40 Übereinstimmungen. Unter den verkauften Büchern ist etwa eine Ausgabe der Fabeln des Aesop, gedruckt von Johann Zainer in Ulm um 1476. Über dieses Buch schrieb Otto Schäfer 1976 selbst: „Dieses Buch gehört zu der Art . . ., die man nehmen muss, auch wenn einige Seiten fehlen. Meines Wissens gibt es nur noch zehn Exemplare des Ulmer Aesop, und es ist unwahrscheinlich, daß mir jemals noch ein Exemplar angeboten wird. (Es gibt nur ein einziges in den Vereinigten Staaten).“

Ein weiteres Spitzenstück ist das Beutelbuch der Katharina Röder von Rodeneck, eine Gebetbuch-Handschrift nach 1540, deren Einband in einen Beutel mündet, den man am Gürtel befestigen konnte. Im Katalog steht dazu: „1982 von Frau Ida Schäfer für ihren Mann zum 70. Geburtstag erworben“.

Otto G. Schäfer will sich bislang nicht äußern – weder über die Gründe des Verkaufs noch über eine mögliche neue Ausrichtung des Museums. Bekannt ist, dass der 1989 gegründete Verein immer wieder Verkäufe getätigt hat, um andere Sammlungsteile halten beziehungsweise den Museumsbetrieb weiterführen zu können.

1994, drei Jahre nach ihrer Eröffnung, musste die damalige Bibliothek Otto Schäfer wegen finanzieller Probleme schließen. Im Fabian-Handbuch der historischen Buchbestände heißt es dazu: „Im Herbst 1994 wurde zusammen mit der Stadt Schweinfurt ein neues Konzept für die Bibliothek erarbeitet. Es sah zur Schaffung von weiterem Stiftungskapital den Verkauf aller nicht im deutschen Sprachgebiet gedruckten Werke der Illustrata-Sammlung . . . vor.“ Dieser Verkauf fand mit vier Auktionen bei Sotheby's statt. Im Juli 1995 konnte der Bibliotheksbetrieb wieder aufgenommen und im Dezember der Ausstellungsbereich wieder eröffnet werden.

2011 machte Otto G. Schäfer den Vorschlag, die Immobilie des Museums in der Judithstraße der Stadt zu übertragen. Das MOS wäre als Mieter geblieben. Zusätzlich sollte das Stadtarchiv, das bereits jetzt Teile seiner Bestände im Museum Otto Schäfer lagert, aus dem Friedrich-Rückert-Bau in der Innenstadt ganz in die Judithstraße umziehen – in einen noch zu bauenden eigenen Trakt im Innenhof des Museumsbaus.

Doch dann kam seitens der Stadt die Idee auf, das Museum aus seiner ungünstigen Randlage in den – freilich komplett zu sanierenden – Friedrich-Rückert-Bau zu verlegen. Oberbürgermeister Sebastian Remelé sah Stadtarchiv und MOS an dieser Stelle als Teil eines „geistigen Zentrums der Stadt“ im Umfeld von Museum Georg Schäfer, Kunsthalle, Gunnar-Wester-Haus und Altem Gymnasium. Bei einem Ortstermin im Friedrich-Rückert-Bau wurden erste Planskizzen für einen möglichen Umbau präsentiert.

Otto G. Schäfer winkte daraufhin ab: Ein Umzug in das Gebäude komme nicht in Frage.

Die Sammlung

Die Büchersammlung Otto Schäfers (1912–2000) zählt zu den bedeutendsten europäischen Privatbibliotheken des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung illustrierter Bücher – Illustrata genannt – verwahrt knapp 1000 Titel. Das Schwergewicht liegt – bisher – bei den Frühdrucken: Das 16. Jahrhundert ist mit über 500 Ausgaben vertreten, das 15. Jahrhundert mit weit über 200 Drucken, darunter auch einige Blockbücher und Einblattdrucke. Etliche Drucke gelten als Unikate. Einen Kern der Sammlung bilden die Inkunabeln oder Wiegendrucke. Unter Inkunabeln (von lateinisch incunabula – Windeln, Wiege, Ursprung) versteht man Drucke aus der Frühzeit (der Wiege) dieser Technik, also Arbeiten, die in den ersten 50 Jahren nach der Gutenberg-Bibel von 1454 entstanden.

Das Urteil des Paris: Holzschnitt aus Jacques Millets „L'histoire de la destruction de Troie“, 1490 (Die Zerstörung von Troja, Ausschnitt). Unikat aus dem Konvolut, das nun verkauft worden ist.
Foto: Museum Otto schäfer | Das Urteil des Paris: Holzschnitt aus Jacques Millets „L'histoire de la destruction de Troie“, 1490 (Die Zerstörung von Troja, Ausschnitt). Unikat aus dem Konvolut, das nun verkauft worden ist.
 
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