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Bad Kissingen
„Palastrevolution“ beim Kissinger Sommer
Kissinger Sommer 2017: Der neue Intendant Tilman Schlömp stellt das Festival erstmals unter ein thematisches Motto, die Jahreszahl 1830, die in vielfacher Hinsicht für eine Zeit des Umbruchs steht.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:42 Uhr

Die gute Nachricht für alle Gewohnheitstiere: Auch beim Kissinger Sommer 2017 gibt es ein Beethoven-Klavierkonzert zu hören. Aber eben nur eines statt drei oder vier. Denn es tut sich was in der ersten Festival-Ausgabe vom 16. Juni bis 16. Juli, die der neue Intendant Tilman Schlömp verantwortet. Natürlich bietet das Programm, das am Donnerstag im Kissinger Rathaus vorgestellt wurde, weiterhin jede Menge Hits aus dem Standardrepertoire, Schlömp stellt diese aber in einen kulturhistorischen Zusammenhang und erkundet außerdem immer wieder die Grenzgebiete zu anderen Genres.

Erstmals gibt es, im Gegensatz zu den bislang üblichen Ländermottos, einen thematischen Schwerpunkt: „1830 – romantische Revolution“. Das Jahr 1830 steht für eine Zeit der Umbrüche in der Politik wie in der Musik. 1830, drei Jahre nach Beethovens und zwei Jahre nach Schuberts Tod, schreibt Hector Berlioz die „Symphonie fantastique“ (zu hören am 21. Juni mit dem HR-Sinfonieorchester) und stellt damit eine ganze Gattung auf den Kopf.

Schumann und Paganini

1830 entstehen die beiden Klavierkonzerte Chopins, und 1830 hört der junge Robert Schumann einen Geiger, der zur Symbolfigur des reisenden Virtuosen schlechthin werden wird: Niccolo Paganini.

Somit ist ein Raum vorgegeben für die Auseinandersetzung mit den künstlerischen und weltanschaulichen Äußerungen der Romantik, etwa in Rezitationskonzerten mit Hannelore Elsner (18. Juni) und Rufus Beck (5. Juli). Und für den Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen wie das Entstehen eines gebildeten und kunstsinnigen Bürgertums, die erst den Klassikbetrieb hervorbrachten, wie er uns heute vertraut ist.

Aus diesem Wissen heraus will der Intendant wiederum einen Schritt weitergehen und erkunden, wie sich dieser Betrieb in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickeln muss, will er nicht vollends den Anschluss an ein jüngeres Publikum verlieren: „Wo wollen wir unser Publikum hinlocken?“

Für den 32. Kissinger Sommer bedeutet das zunächst einmal neue Konzertformate, Konzerteinführungen und Gespräche, ein pädagogisches Zukunftslabor und Künstlerinnen und Künstler, die sich mit ihren Programmen auch mal abseits der konventionellen Genres und Repertoires bewegen. Schlömp nennt das so: „Revolutionäre Musik in verschiedenen Facetten.“

Ein Festivalorchester aus Bremen

Erstmals gibt es mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ein Festivalorchester, das drei Konzerte (darunter das Eröffnungskonzert mit der Geigerin Hilary Hahn) bestreiten und zudem Know-how und Personal für das Zukunftslabor beisteuern wird. In zwei Konzertprojekten sollen Schülerinnen und Schüler auf unterschiedlichsten Ebenen eingebunden werden. „Bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen sind die Musiker auch Gesellschafter“, sagt Tilman Schlömp, „das sorgt für ein ganz besonderes Engagement.“ Wertvoll für den Kissinger Sommer sei auch das Netzwerk des Bremer Chefdirigenten Paavo Järvi.

Neu sind außerdem die beiden Artists in Residence – es sind diesmal zwei Künstlerinnen, die jeweils drei Konzerte spielen und für ein Publikumsgespräch zur Verfügung stehen werden: die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova.

Die Vokalmusik drängt sich auf

Beim Motto 1830, das sich in 25 der über 70 Konzerte niederschlagen wird, drängt sich auch die Vokalmusik auf – einerseits in Form des Belcanto, der um diese Zeit in voller Blüte steht (Rossini hat sich übrigens in Bad Kissingen von den Strapazen des Komponierens erholt), andererseits in Form des Kunstlieds, das mehrfach im Programm vorkommt, am 22. Juni etwa mit Schumann-Liedern und dem fabelhaften Bariton Christian Gerhaher.

Bewährte Formate wie das Wandelkonzert und die LiederWerkstatt behält Tilman Schlömp bei, auch die Teilnehmer des Klavierolymp haben an zwei Abenden Gelegenheit, sich zu präsentieren. Neu ist die „Palastrevolution“ am 8.

Juli: Einen ganzen Tag lang wird das historische Ensemble aus Regentenbau, Kurgarten und Wandelhalle mit elf Konzerten bespielt, es gibt Rockmusik auf dem Cembalo, allerhand Konzertantes, ungewöhnliche Streichquartettklänge mit dem Turtle Island Quartet oder das satirische Musiktheaterstück „Der Tribun“ von Mauricio Kagel, das unter Mitwirkung des Jugendmusikkorps Bad Kissingen einen Diktator der Lächerlichkeit preisgibt.

Mit der „Palastrevolution“ verfolgt Tilman Schlömp ein weiteres Ziel: Mit den Konzerten sollen auch die außergewöhnlichen Spielstätten inszeniert werden. Schlömp: „Wir haben hier wunderbare Säle, toll erhalten oder renoviert mit toller Akustik. Das ist bundesweit noch zu wenig bekannt.“

Jeweils ein „Jazz Breakfast“ bestreiten die Pianistin Younee und der Pianist Omer Klein. Eigens für das Festival finden sich zwei Trios zusammen, die so noch nicht miteinander musiziert haben: Der Geiger Pekka Kuusisto, der Pianist Hauschka und der Perkussionist Samuli Kosminen bilden selbstbewusst „The Trio“ (30. Juni). Und mit Julia Fischer (Geige), Daniel Müller-Schott (Cello) und Herbert Schuch (Klavier) steigen am 13. Juli drei Ausnahmebegabungen mit Beethoven und Tschaikowsky in die gemeinsame Arbeit ein.

Neues Programm, neues Design

Zum neuen Programm kommen ein neues Design und eine neue Homepage: Das Logo des Kissinger Sommers ist künftig der Namensschriftzug des Festivals selbst. Die teilweise in Linien aufgelösten Buchstaben spielen auf das neue Logo der Stadt an, das wiederum von der Decke des Grünen Saals im Regentenbau inspiriert ist.

Neben dem deutlich modernisierten Programmbuch, in dem die Künstlerbiografien Hintergrundtexten gewichen sind, wird es zusätzliche Abendprogramme mit vertiefenden Informationen geben. Nun läuft erst eine dreiwöchige Frist, in der nur die Mitglieder des Fördervereins Karten vorbestellen können, der allgemeine Vorverkauf beginnt am 28. November.

Weitere Informationen im Netz unter www.kissingersommer.de

Artist in Residence II: die Geigerin Patricia Kopatchinskaja.
Foto: SKS Russ | Artist in Residence II: die Geigerin Patricia Kopatchinskaja.
Neuer Intendant, neuer optischer Auftritt: Tilman Schlömp stellte das Programm des Kissinger Sommers 2017 vor.
Foto: Ursula Lippold | Neuer Intendant, neuer optischer Auftritt: Tilman Schlömp stellte das Programm des Kissinger Sommers 2017 vor.
 
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