Cyprien Katsaris kämpft. Nicht mit dem Klavier, nicht mit den Noten, nicht mit seinen Studenten für diesen Nachmittag. Sondern mit dem Headset an der Backe und der kleinen Funkbox, die so lästig in der Tasche seines Sakkos baumelt und ihm immer wieder in die Quere kommt. "Sie haben mir diese Atombombe gegeben..."
Katsaris, 68, in Marseille geborener Sohn zypriotischer Eltern, gehört seit Jahrzehnten zu den ganz großen Namen unter den Pianisten. Beim Kissinger Sommer gibt er heuer nicht nur zwei Konzerte mit den Pianistinnen und Pianisten des Kissinger Klavierolymps, sondern für sie alle auch einen Meisterkurs. Im ersten Durchgang im Weißen Saal des Regentenbaus sind Aris Alexander Blettenberg aus Mülheim an der Ruhr und Samira Spiegel aus Sulzthal (Lkr. Bad Kissingen), beide Jahrgang 1994, an der Reihe.
"Ich gehe davon aus, dass Sie alle Griechisch verstehen"
"Ich spreche kein Deutsch, aber ich gehe davon aus, dass Sie alle Griechisch verstehen", sagt Katsaris, als er den Saal betritt. Nur dieses Blitzen in seinen Augen verrät, dass er scherzt. Er wird das noch oft tun an diesem Nachmittag, es scheint, als habe er ein besonderes Gespür für die komische Seite der Dinge. Der blöden Funkbox eben oder dieser schorfigen Stelle an seiner Unterlippe. "Ich bin nicht krank, Cholera oder so", verkündet er und zeigt auf sein Gesicht, "aber ich hatte einen Unfall im Hotel."
Er kommt dann sehr gut mit Englisch über die Runden, nur einmal muss eine Dame im Publikum aushelfen, als ihm kein Wort für das französische "haletant" (atemlos) einfällt. Cyprien Katsaris gehört zu den Menschen, die immer zum Mittelpunkt eines Raums werden, auch wenn sie abseits auf einem Stuhl sitzen. Er gehört aber auch zu den Menschen, die Freude daran haben, wenn andere sich entfalten. Zum Beispiel so begabte und bereits sehr fortgeschrittene Künstler wie die beiden jungen Pianisten. Und er gehört zu den Menschen, die helfen, anstatt zu tadeln, die neue Möglichkeiten zeigen, anstatt alte zu verwerfen.
"Versuche nicht, einen zu schönen Klang zu machen"
Aris Alexander Blettenberg spielt die erste Klaviersonate von Robert Schumann, ein ruppiges, enorm schweres Stück in fis-Moll. Er spielt sie außerordentlich kraftvoll (technisch nahezu perfekt sowieso) und lässt den großen Flügel wuchtig durch den nicht sehr großen Raum klingen. "Du spielst wundervoll", lobt Katsaris, "dies ist keine Meisterklasse, wir sind Kollegen."
Ein paar Anmerkungen hat er dann doch, immer mit dem Hinweis, dass Blettenberg sie ja nicht umsetzten müsse. Aber: Es stehen sehr viele Sforzandi in der Partitur, kleine, harte Akzente also, nicht alle sind zu hören. Katsaris: "Spiel alle Akzente!" Als der junge Pianist es noch einmal probiert, wird der Unterschied sofort hörbar. Cyprien Katsaris holt ein wenig aus, um das Stück in den Kontext seiner Entstehungszeit einzubetten: Es waren bewegte Zeiten, in denen Schumann lebte, zerrissen von Kriegen und Konflikten. "Versuche nicht, einen zu schönen Klang zu machen. Schumann war ein exzessiver Musiker, du könntest hier ein bisschen verrückter sein."
Immer wieder sind es Details, ja Winzigkeiten, die große Veränderung bringen. Ein kleines Zögern etwa, eine maximal ausgereizte Punktierung. Cyprien Katsaris ermuntert immer wieder zu Abweichungen: "Danke, dass du hier nicht beide Hände stur zusammenspielen lässt."
Samira Spiegel ist nach der Pause etwas früher da – um die Zeit totzuschlagen, bis das Publikum wieder vollzählig im Saal ist, spielen sie und Katsaris mal eben vierhändig den fünften Ungarischen Tanz von Brahms. Dann: "Gracias Senorita. Now Liszt!" Die "Tre Sonetti del Petrarca" von Franz Liszt verbinden auf vergleichsweise kleinem Raum maximale technische Schwierigkeiten und beseelte lyrische Passagen. Samira Spiegel spielt so sensibel wie virtuos, Cyprien Katsaris, bekennender Liszt-Jünger, ist verzaubert: "Du spielt mit Liebe und Herz, du legst dein ganzes Wesen in diese Poesie. Das ist wundervoll."
"Mehr Gewicht in die Tastatur, weniger auf den Stuhl"
Aber auch hier ein Aber. Ganz viele Pianisten machen den Fehler, die stillen Momente nicht zu respektieren: "Manchmal ist Stille die schönste Musik." Und: "Bist du glücklich mit diesem Fortissimo?" Samira Spiegel ist es nicht, es klingt ihr zu hart. Katsaris rät: "Schlage nicht auf die Tasten ein. Mehr Gewicht in die Tastatur, weniger auf den Stuhl." Es funktioniert.
Nächste Stelle: Die junge Pianistin ist noch nicht mit einer Melodie zufrieden, die Liszt in vielfingrige Arabesken eingewoben hat. Spiegel: "Ich will all diese Details zeigen, ohne dabei den großen Bogen zu verlieren." Cyprien Katsaris nickt wissend. Ein altes Pianisten-Problem. "Spiel das doch mal mit einem Sänger", rät er. Aber egal, wie sie die Melodie irgendwann spielen wird, es kommt nur auf eines an: Wie sie selbst empfindet. "Das Wichtigste in der Musik ist die Übermittlung von Emotion. Klang ist nur ein physikalisches Ding."