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Sommerhausen
Interview mit Torturmtheater-Regisseur: Herr Zimmer, wie inszeniert man ein Stück zur Transgender-Thematik?
Muss ein transgender Mann im Theater auch von einem transgender Mann gespielt werden? Interview mit  Oliver Zimmer, Regisseur des Stücks, das derzeit in Sommerhausen läuft.
Die Christin Frieda (Maria Gruber) und der transgender Mann Victor (Bruno-Mirco Marcov) kommen sich im Stück 'Das Wort war Gott' überraschend nahe.
Foto: Thomas Obermeier | Die Christin Frieda (Maria Gruber) und der transgender Mann Victor (Bruno-Mirco Marcov) kommen sich im Stück "Das Wort war Gott" überraschend nahe.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:37 Uhr

Oliver Zimmer gehört zu den Regisseurinnen und Regisseuren, die regelmäßig am Torturmtheater Sommerhausen (Lkr. Würzburg) inszenieren. Derzeit läuft dort das Zwei-Personen Stück "Und das Wort war Gott": Der transgender Mann Victor möchte sein Telefon-Konto kündigen, doch Frieda von der Hotline, eine gläubige Christin, kann ihm nicht helfen, weil das Konto noch auf den Namen Victoria läuft. Oliver Zimmer hat das Stück von Kit Redstone aus dem Englischen übersetzt, es läuft in deutschsprachiger Erstaufführung. Er legt es nicht als Lehrstück über das Thema Transgender an, sondern als Begegnung zweier unterschiedlicher Menschen mit überraschenden Gemeinsamkeiten.

Frage: Die Frieda im Stück, eine Hotline-Angestellte, ist mit ihrem einfachen Satz "Ich verstehe das nicht" die ideale Gesprächspartnerin für einen trans Menschen: Sie hat ein echtes Interesse. 

Oliver Zimmer: Das stimmt. Sie ist ein neugieriger, naiver und vor allem offener Mensch. Und damit ist sie einen Schritt weiter als die Gesellschaft, wer auch immer das sein mag.

Ist das auch eine Ermutigung, die Befangenheit abzulegen und einen trans Menschen einfach zu bitten: Erklär mir doch mal, was da passiert?

Zimmer: Absolut. Dafür spricht vieles. Die Unwissenheit in der Mehrheitsgesellschaft ist tatsächlich das Hauptthema. Es wird viel angenommen und unterstellt und selten mit den Leuten gesprochen, die es tatsächlich betrifft.

Der Regisseur Oliver Zimmer
Foto: Oliver Zimmer | Der Regisseur Oliver Zimmer
Das Stück nimmt eine überraschende Wendung: Zum Schluss hat man den Eindruck, dass nicht der transgender Mann Victor das schwerwiegendere Problem hat, sondern Frieda, weil sie sich zu groß findet und Schwierigkeiten in ihrer christlichen Community hat. Der Autor, Kit Redstone, ist selbst tansgender Mann - was bezweckt er mit diesem Perspektivwechsel?

Zimmer: Das ist ein wichtiges Motiv des Stücks. Kit Redstone zeigt, dass ähnliche Entwicklungen in ganz vielen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen passieren. So wird beim Telefongespräch schnell erreicht, dass man sich mit Victor, dem trans Mann, identifiziert, und nicht mit der cis Frau, von der man zumindest am Anfang meint, sie gehöre zur Mehrheitsgesellschaft. Außerdem haben Friedas Themen wie Feminismus und Glaubensfreiheit auch ganz viel mit trans Identität zu tun.

So wird Victors Thema zu einer Art Mainstream-Problematik.

Zimmer: Könnte man so sehen. Ich habe den Autor persönlich kennengelernt. Er hat ein sehr hohes Cis-Passing als Mann, wie man sagt. Das heißt, dass man überhaupt nicht bemerkt, dass er trans ist. Das ist eine spezielle Art von Trans-Identität, die nicht auf jeden zutrifft. Ich glaube, er möchte nicht ein Bild aller Facetten des Themas zeigen, sondern seine ganz spezielle. Und damit ist er zumindest äußerlich näher am Mainstream dran als etwa eine trans Frau wie die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer, die in der Öffentlichkeit sofort als trans Mensch gelesen wird.

"Schablonen bei dem Thema gibt es genügend, da braucht man nur auf Twitter gehen."
Oliver Zimmer zur Transgender-Thematik
Redstone zeichnet die Figur des Victor als echtes Individuum, nicht als Schablone.

Zimmer: Absolut. Das ist etwas, was mich sofort an dem Stück interessiert hat, denn Schablonen bei dem Thema gibt es genügend, da braucht man nur auf Twitter gehen.

Der Autor ist Engländer, lebt jetzt in den USA. Gibt es im angelsächsischen Raum eine unterschiedliche Wahrnehmung der Thematik als bei uns?

Zimmer: Ja, aber hauptsächlich im Sinne einer zeitlichen Verschiebung. In England und teilweise den USA haben einige Entwicklungen bereits stattgefunden: Mit wachsender Sichtbarkeit der Community werden ähnliche Kämpfe ausgefochten. Es werden mehr Rechte gefordert, in Deutschland etwa das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Demnach können transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen künftig ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung ändern lassen. Damit werden auch die Stimmen derer lauter, die darin eine Gefahr sehen. Und somit sind die Polemiken hier ganz ähnlich denen, die schon vor ein paar Jahren in Großbritannien zu lesen waren. Es hat schon einen Grund, warum die Fronten etwa um eine Joanne K. Rowling so verhärtet sind.

Sie musste einst unförmige Pullis tragen, er Mädchenkleider: Frieda (Maria Gruber) und Victor (Bruno-Mirco Markov) tauschen sich über ihre Vergangenheit aus.
Foto: Thomas Obermeier | Sie musste einst unförmige Pullis tragen, er Mädchenkleider: Frieda (Maria Gruber) und Victor (Bruno-Mirco Markov) tauschen sich über ihre Vergangenheit aus.
Das war hier etwas schwer zu verstehen – man hätte ja auch einfach akzeptieren können, dass sie mit ihrer Skepsis anderer Meinung ist.

Zimmer: Jein. Joanne K. Rowling hat transidenten Menschen in ihrer Selbstwahrnehmung immer wieder das Existenzrecht abgesprochen. Deshalb gab es einen entsprechenden Shitstorm. In Deutschland und auch teilweise England wurde es aber runtergehandelt, als gehe es ihr nur um eine Frage der Sprache. Der Artikel, den sie in ihrem berühmten Tweet kritisiert hatte, wurde weitgehend verschwiegen und somit die ganze Diskussion verzerrt wiedergegeben.

Es gibt die Diskussion, dass Angehörige der Mehrheitsgesellschaft keine Angehörigen von Minderheiten spielen sollten. Wie sehen Sie das?

Zimmer: Sichtbarkeit in den Medien, im Theater, im Film ist extrem wichtig. Im Falle der trans Identität gibt es mit Recht seit einigen Jahren auch in Deutschland die Forderung, trans Rollen auch mit trans Darsteller*innen zu besetzen. Nicht, weil andere das nicht spielen könnten, wie man in unserer Produktion sehen kann, sondern, weil trans Schauspieler*innen oft immer noch nicht die Möglichkeit haben, andere Rollen zu spielen. Aber natürlich gibt es dann die Realitäten: So viele trans Schauspieler, die dann auch noch für sechs Wochen Proben und zwei Monate Vorstellungen im Torturmtheater zur Verfügung stehen, gibt es nicht. Deswegen haben wir nach einer längeren Suche in Absprache mit Mitgliedern der Community den Horizont erweitert. Denn das Wichtige ist ja, dass dieses Stück gespielt wird.

"In den 80er Jahren musste man auch erstmal lernen, dass es besser ist, ,hetero' zu sagen als ,normal'."
Oliver Zimmer zu mehr oder weniger verletzenden Bezeichnungen
Welche Fehler darf man als Regisseur nicht machen, wenn man eine trans Person auf der Bühne darstellt? Etwa, dass man "männliche" und "weibliche" Gesten einstudiert?

Zimmer: Das hängt ganz stark von der Figur im Stück ab. Natürlich ist Körpersprache durchaus ein Thema für viele trans Menschen. Aber es gibt auch genügend Betroffene, die gar nicht darauf achten, ob ihre Körpersprache dem Klischee ihres Geschlechts entspricht oder nicht. Aber als Regisseur sollte man sich natürlich mit der Thematik auseinandergesetzt haben und nicht Narrationen wiederholen, die die LGBTQ-Community ablehnt, auch wenn diese aus lauter unterschiedlichen Individuen besteht.

Wie bereitet man sich also auf so eine Arbeit vor?

Zimmer: Der Schlüssel ist natürlich, mit denen zu sprechen, die das betrifft. In meinem Fall ist das recht gut gegangen, weil ich das Stück übersetzt habe und mit dem Autor Kontakt hatte. Da konnte ich einige klärende Gespräche führen. Aber auch in meinem privaten Bekanntenkreis kenne ich einige trans Menschen. Und da lernt man schnell, was als verletzend wahrgenommen wird. In den 80er Jahren musste man auch erstmal lernen, dass es besser ist, "hetero" zu sagen als "normal". So wie der Ausdruck "cis" nicht "normal" meint, sondern eben "nicht transgender".

Infos zu Thema und Terminen

Das Adjektiv transgender, kurz trans (zusammengesetzt aus lateinisch trans für "jenseits von, darüber hinaus" und englisch gender für "soziales Geschlecht"), bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem eingetragenen Geschlecht im Geburtenregister übereinstimmt. Das Gegenteil von transgender ist cisgender (lateinisch cis "diesseits"), für Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
Trans kann gleichermaßen für transsexuell, transgender oder transident stehen. Der Begriff transsexuell wird mittlerweile von vielen trans Personen abgelehnt, da er aus dem medizinischen Kontext stammt. Außerdem wird durch die Endung "-sexuell" fälschlicherweise ein Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung nahegelegt.
Trans Männer und Frauen bezeichnen sich mit der Geschlechtsidentität, mit der sie sich identifizieren. So ist beispielsweise ein trans Mann also ein Mann, der bei der Geburt als Mädchen bezeichnet wurde. Formulierungen wie "war früher eine Frau", "fühlt sich als Mann" werden von den Betroffenen meist als verletzend angesehen.
Das Stück "Und das Wort war Gott" läuft noch bis 10. September im Torturmtheater Sommerhausen. Spieltage: Di. bis Fr., 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Karten: kartenbestellung@torturmtheater.de oder telefonisch ab 16 Uhr, (0 93 33) 268.
maw
 
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