
Fast ein Drittel des Preisgeldes ist schon weg: Die Anreise zum Festakt nach München per Bus hat 900 der 3000 Euro verschlungen, mit denen der Bayerische Staatspreis dotiert war, den der Würzburger Monteverdichor jüngst erhalten hat. Aber ums Geld geht es nicht: "Der Staatspreis ist das höchste der Gefühle. Was soll da noch drüber gehen", sagt Matthias Beckert, seit 1998 der Leiter des Chors.
Beckert und sein Ensemble könnten inzwischen routiniert sein im Entgegennehmen von Auszeichnungen: Unter anderem gab es die Kulturmedaille der Stadt und mehrere Preise beim Bayerischen und beim Deutschen Chorwettbewerb. Aber Routine ist wohl keine der prägenden Eigenschaften. So würdigt der Staatspreis das immer wieder neue, ungehörte Repertoire, das Matthias Beckert, Jahrgang 1976, einstudiert: Es reicht von der Renaissance bis zur Uraufführung und konfrontiert das Publikum – neben den Hits wie Weihnachtsoratorium, "Messias" oder Beethovens Neunter – regelmäßig mit Unbekanntem, zu Unrecht Vergessenem, zu Entdeckendem.
Das können auch Werke von Komponisten sein, die heute ob ihrer Rolle im NS-Staat umstritten sind. Immer aber müsse klar sein, dass deren Musik als solche es wert sei, und immer würden Lebensumstände, politische Zusammenhänge bei den Konzerten kontextualisiert, also eingeordnet und erläutert, so Beckert. Hermann Zilcher (1881-1948), Gründer der Würzburger Mozartfests, ist ein solcher Name.
Die Würzburger Kommission zur Überprüfung der Straßennamen hat wegen Zilchers aktiver Unterstützung des NS-Regimes empfohlen, die nach ihm benannte Straße umzubenennen. Matthias Beckert aber schätzt Zilchers Werk: "Niemand weiß, was der für unglaublich gute Musik geschrieben hat. Bei den ganz großen Namen wie Strauss oder Orff stört sich niemand an der Vergangenheit."

"Die wenigsten wissen, was sie in unseren Konzerten erwartet", sagt Julian Kammerer, Bass, Student der Medizin und Chormanager. Das Publikum erscheint dennoch meist zahlreich, was nicht am Eltern-Oma-Opa-Tanten-Onkel-Effekt liegen kann, der bei anderen Laienchören zuverlässig für volle Säle sorgt: "Die Onkel und Tanten sitzen in Hamburg oder Berlin", sagt Beckert. Denn das Ensemble besteht aus etwa 100 Studierenden aller Fakultäten der Universität Würzburg, wobei Medizinerinnen und Mediziner, wie so oft in der Musik, am stärksten vertreten sind.
Der Chor hat eine Fangemeinde, die bereit ist, sich immer wieder neu auf Experimente einzulassen. Wobei es Beckert nie um das Experiment als solches geht. "Es muss Musik sein, die mich begeistert, die den Chor begeistert, und mit der das Publikum etwas anfangen kann. Grunzen, Klopfen, sich am Boden Wälzen – es ist ja schon alles gemacht worden. Ich suche nach Stücken, die etwas Klangliches haben, die tatsächlich gesungen werden. Das muss dann nicht schön klingen, das kann ein zehnstimmiger Akkord sein oder eine Zwölfton-Fuge."

Beim Montverdichor, der als Arbeitskreis zur Katholischen Hochschulgemeinde gehört, ist vieles anders: Wer mitmachen will, muss vorsingen, muss vom Blatt singen können und bereit sein, vier bis sechs Programme pro Jahr einzustudieren, die dann in jeweils zwei Konzerten präsentiert werden. Die Mitglieder sind oft schon vom Elternhaus her musikalisch vorgebildet, spielen ein Instrument und suchen einen anspruchsvollen Ausgleich zum Studium.
"Der Zustrom ist erstaunlich, wir hatten noch nie Not", sagt Chormanager Julian Kammerer, der mit mehreren Teams aus Ensemblemitgliedern den Probenbetrieb organisiert, die Homepage pflegt (die derzeit neu gestaltet wird) und sich um Sponsoren, Mäzene, Zuschussanträge, Vorverkauf und Plakatierung kümmert. Und das, obwohl pro Jahr 15 bis 20 Mitglieder gehen und ersetzt werden müssen. Denn die wenigsten bleiben nach dem Studienabschluss in Würzburg. Matthias Beckert, der als Professor für Chorleitung an der Musikhochschule Karlsruhe lehrt, hat also alle vier Jahre einen komplett neuen Chor vor sich. Seine Hauptaufgabe sieht er folglich darin, das quasi professionelle Niveau zu halten.

Geprobt wird derzeit in der Würzburger Johanniskirche. Die fasst in normalen Zeiten etwa 800 Gäste. Wenn der Monteverdichor hier arbeitet, füllen die rund 80 Sängerinnen und Sänger, die mit zwei Metern Abstand nach allen Seiten stehen müssen, den Kirchenraum komplett aus. Man sei "ganz gut" durch den Lockdown gekommen, sagt Matthias Beckert. "Nach anfänglichen Online-Versuchen, etwa mit Zoom, haben wir es gelassen und uns lieber darauf gefreut, wenn wir wieder proben dürfen." Die Chorgemeinschaft sei allerdings ständig in Kontakt geblieben.
"Wenn sich alle an die Regeln halten würden, wäre viel mehr möglich", sagt der Chorleiter. "So könnte man zum Beispiel Geimpfte im Publikum zusammensetzen." Dass derzeit wegen unerfüllbarer Abstandsregelungen (es fehlt schlicht der Platz) keine Konzerte möglich sind, sei zu verschmerzen. "Wenn wir weiter proben dürfen, halten wir das aus." Gearbeitet wird derzeit übrigens an Bachs h-Moll-Messe. Aufführungstermin: unbekannt.