Der Oberst lacht. Und lacht. Und kriegt sich gar nicht mehr ein. Ein Häufchen Elend, das mal Unteroffizier war, ist zu ihm gekommen und will die Verantwortung zurückgeben? Für den Oberst ist der Traum, den ihm dieser Versehrte gerade erzählt hat, nicht mehr als ein Witz. Was soll das auch: Knochenxylophon.
Gepeinigt vom Alptraum, geschüttelt vom Lachen
Ein fetter und blutüberströmter General spiele darauf Märsche, mit Prothesen aus Handgranaten-Stiele statt Armen. Und Millionen toter Soldaten erhebten sich aus den Gräbern und ihre Skelette brüllten in Sprechchören den Namen Beckmann, wieder und wieder? Jetzt steht dieser albtraumgepeinigte Beckmann vor ihm und will nun, nach dem Krieg, die Verantwortung für 20 Mann zurückgeben, die ihm der Oberst einst in Russland übertrug. Nur weil elf Soldaten bei dem Einsatz gefallen waren. Den Oberst schüttelt es vor Lachen. Und erheitert, verwundert, angewidert ruft er dem Versehrten zu: „Werden sie erst mal wieder ein Mensch.“
Wie nach Hause kommen, wenn kein Zuhause mehr ist?
Ein Mensch. Was ist das, ein Mensch? Und wie kann man noch Mensch sein – oder wieder Mensch werden – wenn man getötet hat und Schuld trägt? Wenn man Befehle erhalten und gehorcht hat, wenn man nach Hause kommt und doch nicht zurückkehrt, weil es kein Zuhause mehr gibt?
Kaum einer hat diese Fragen so nachdrücklich und nackt gestellt wie Wolfgang Borchert im Kriegsheimkehrer-Drama „Draußen vor der Tür“, einem der wichtigsten Werke der deutschen Nachkriegszeit. Es ist die Geschichte des Unteroffiziers Beckmann, der mit zerschossenem Knie in seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrt – und vor dem Nichts steht. Seine Frau hat einen anderen, sein kleiner Sohn kam im Bombenhagel um, die Eltern haben sich selbst entnazifiziert und umgebracht. Und für Anfänger im Zivilleben gibt's keinen Platz. Selbst die Elbe will ihn nicht, diesen Beckmann. Sie wirft den Traumatisierten nass zurück an den Strand.
Reduzierte, konzentrierte und überzeugende Fassung
„Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ hatte Borchert 1947 als Untertitel unter sein Drama geschrieben. Aber er irrte, die Geschichte des Beckmann wurde berühmt, viel gelesen und oft gespielt. Am Samstag hatte „Draußen vor der Tür“ nun am Würzburger Mainfranken Theater Premiere – in einer bestechenden eigenen Fassung von Dirk Diekmann und Katharina Nay.
Diekmann, der am Mainfranken Theater in der vergangenen Spielzeit das Erfolgsstück „Terror“ inszenierte, führt auch Regie – und er spielt den Beckmann.
Gebeugt, mit hängenden Schultern, Gasmaskenbrille und erschrockenem Blick, mehr Gespenst als Mensch. „Verantwortung, das ist doch kein leeres Wort“, ruft er verzweifelt dem Oberst zu. „Man kann doch Menschen nicht für ein leeres Wort sterben lassen.“
Stalingrad, Srebrenica, Kabul, Aleppo. Es ist das Verdienst von Diekmann und Nay, dass sie Borcherts Drama aus Ort und Zeit holen, dass sie sich im abstrakten Raum auf den Zustand einer Seele konzentrieren, die keine Ruhe findet und für die es keinen Platz gibt.
Wenig Mittel, verblüffender Raum
Bühnenbildner Heinz Hauser hat mit reduzierten Mitteln und einfachen Effekten einen klugen, erstaunlichen Raum geschaffen. Schwarzlichtleuchtende Gummischnüre symbolisieren den Fluss, der den Todessehnsüchtigen wieder ausspuckt. Und für die Kabarettbühne, an der es Beckmann versuchen will, oder das Haus der Eltern, an dessen Tür er abgewiesen wird, genügt eine große gelbe Glühbirne von oben. Die Alpträume, die Pein, die Schuld – dafür stehen im großen leeren Bühnenraum beklemmende Gitterprojektionen und wenige, doch intensive Klänge von Sounddesigner Adrian Sieber.
Der Andere sind hier zwei
Die Schauspieler: überzeugend. Statt einem „Anderen“ wie in der Originalfassung, gibt es in Diekmanns Inszenierung zwei „Andere“, die Beckmann folgen. Martin Liema und Cedric von Borries sind in starkem Zusammenspiel diese Gegengestalten, die Optimisten, die ja sagen, wenn Beckmann nein sagt. Ihn aufrichten, wenn er am Boden liegt. Und die selbst doch auch grau sind (in den angemessen zeitlosen Kostümen von Wiebke Horn), nur nüchtern kommentieren – „einer von denen, die ein bisschen sensibel sind, unangebracht“ – und die Schultern zucken. „So empfindlich sind wir ja nicht.“
Meinolf Steiner tanzt als Zirkusdirektor über die Bühne und rülpst sich heiter als überfressener Tod durch das Stück. Eberhard Peiker gibt den traurigen Gott, auf den keiner mehr hört. Den Offizier spielt souverän bis ins Lachen Georg Zeies. Dann ist da noch das Mädchen, gespielt von Hannah Walther. Die einzige, die Mitleid hat mit Beckmann. Eine Hoffnungsfigur, die dem Versehrten den Mantel ihres vermissten Mannes überlegt. Doch für Beckmann sind die zu weiten Kleider des fremden Mannes eine zu große Last.
Seltsam und befremdlich mutet allein die Figur der Frau Kramer an. Barbara Schöller spielt diese Frau, die jetzt in der Wohnung der Eltern wohnt und Beckmann schnippisch abweist, mit derbem Dialekt. Als sei sie noch die fränkische Verwandte des Brandner Kaspars und mal schnell aus jener anderen Inszenierung dieser Spielzeit herübergekommen.
Prädikat sehenswert
Am Ende . . . kein Ausweg, keine Antworten auf alles Flehen. Schiere Sinnlosigkeit. „Schade, dass das Publikum so etwas nicht sehen will“, sagen die beiden Anderen. Wer diese Inszenierung, höchst geglückt, erlebt hat, muss widersprechen. Prädikat: wertvoll und unbedingt sehenswert.
Weitere Vorstellungen von „Draußen vor der Tür“ am Mainfranken Theater am 17. und 22. Februar, 3., 9., 16. und 28. März, jeweils 19.30 Uhr. Karten: Tel. (0931) 3908-124