Es könnte schlimm werden. Blau-weiße Guckkastenbühne mit dicklichen Kitschengeln, roter Vorhang, dahinter mal romantischer Wald, mal zünftiges Weißwurst-Idyll mit Bierbänken und Tischdecken mit viel blau-weißen Rauten. Lustspiel halt. Bauerntheater. Und ums noch drohlicher zu machen stehen das ganze Stücke über am Rand zwei fesche Musikanten mit Hackbrett und Tuba. Viel Lederhosen, viel Dirndl, wollene Wadenkleider.
Das Mainfranken Theater macht auf volkstümlich und spielt den „Brandner Kaspar“, jene urige, urbayerische G'schicht über den Wilderer, der den Tod erst unter den Tisch säuft und dann beim Karteln über selbigen zieht. Ein echter, derber Bauernschwank, der – wenn nicht wirklich gut gespielt, gemacht, inszeniert – übel ausgehen, also fad und plump werden könnte.
Wann klar ist, dass das ein Spaß ist
Wann man am Sonntagabend bei der Premiere wusste, dass dieser „Brandner Kaspar“, ganz herrliches Theater und ein uneingeschränkter Spaß ist? Vielleicht schon, wenn die Jagdgesellschaft im Schattenspiel mit viel Röhren einem kapitalen Hirsch hinterherrennt? Vielleicht nach einer Viertelstunde, wenn der schneidige Alexander Darkow als dialektuntauglicher preußischer Jagdtourist in pinkfarbenen Kniestrümpfen vor dem Vorhang Hubert von Goiserns „Brenna tuats guat“ rappt und einen Jodler versucht.
Und den echten Jodler der Mann am Hackbrett loslässt, Komalé Akakpo – ja, einer mit Migrationshintergrund und farbiger Haut.
Zwei fast Ebenbürtige, der Kirschgeist und Karten
Spätestens aber, wenn dann der Vorhang wieder aufgeht und der Brandner Kaspar in seiner düster-kärglichen Stube am Tisch sitzt, das Totenglöcklein läuten hört und der Wind eiskalt durchs ganze Theater pfeift. Spätestens, wenn dann der Boandlkramer, also der Knochenhändler, zur Tür der windschiefen Hütte hereinkommt und den widerspenstigen 72-jährigen Wilderer abholen will, ist klar: Famos! Des is a Schau!
Denn wie Tjark Bernau flattrig, zittrig, kichernd und winselnd den Boandlkramer, also den Tod, spielt: einfach herrlich samt seinem Schluckauf. Ein bisschen verschlagen, ein bisschen weltfremd und linkisch, ziemlich gutmütig und durchweg liebenswert ist dieses Einmanntransportunternehmen Richtung himmlisches Gericht. Und Eberhard Peiker bietet ihm als Brandner Kaspar aber so was von Paroli. Noch verschlagener und durchtrieben ist dieser trotzig rauchende, vor Kraft strotzende alte Schlosser. Also schenkt er dem Tod ein Glas Kirschgeist ein und noch eins und noch eins. Und schindet 18 weitere Lebensjahre raus.
Üppiger Himmel im schönsten Kitsch
Dumm nur, dass diese 18 Jahre jemand anderem abgezogen werden müssen, damit das irdische Gleichgewicht und die himmlische Ordnung wieder stimmen. Dumm nur, dass der fesche Flori (wirklich fesch: Florian Innerebner) das Wildern nicht lassen kann und seine auch sehr fesche Marai (lieb und fesch, klar: Helene Blechinger), die Enkelin des Kaspar, getroffen wird und im üppig rosarot-hellblauen Wolkenhimmel landet . . .
Ja, hier darf Theater einfach mal das reine Vergnügen sein. Vor vier Jahren haben Eberhard Peiker und Tjark Bernau schon in den gleichen Kulissen um das ewige Leben Karten gespielt – am Theater Augsburg nämlich, von da stammt das Wesentliche dieses Würzburger Bauernschwanks. Regisseur Markus Trabusch, inzwischen Intendant am Mainfranken Theater, und Bühnenbildnerin Isabella Kittnar haben sich da die schönsten Klischées des Volkstheaters geschnappt und machen ohne zu viel Faxen liebevoll eine intelligente Gaudi daraus – ohne den Ernst der Lage zu vergessen.
Hingehen. Anschauen. Freude haben. Lohnt sich.
Es gibt Gstanzl und Dreigesang, es wird geschuhplattelt und im aufgebauschten Himmel hat der rustikale Portner Petrus in seinen Badelatschen (schön abgehalftert: Anton Koelbl) keinen Bock mehr auf die Weißwurst mit Weißbier, Brezn und einen süßen Senf, die die Hosianna frohlockenden Engel seit anno 1623 täglich kredenzen. Er hält sich am Wein fest, die Brezn tunkt ein preußischer Bürokrat, der das Himmelsgeschäft effizienter machen will, in das Weißbier.
Der Würzburger Zuschauer muss halt zwei Stunden lang gut hinhören und versteht vielleicht nicht immer alles vom blau-weißen Dialekt. Aber das macht nix. Dass der Brandner Kaspar, der Zweifler und Atheist, am Ende reuig nicht mehr jahrelang auf die himmlischen Seligkeiten warten mag und selbst einen kleinen Umweg übers Fegefeuer in Kauf nehmen würde – das versteht man auch so. Prädikat sehenswert. Todsicher.
Nächste Vorstellungen:
am 21. und 28. Oktober, 4., 9., 15. und 29. November, jeweils 19.30 Uhr. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124