Jetzt bloß nicht loslassen. So ein Kreuz, Ursymbol christlichen Glaubens, ist erstmal vor allem eins: eine schwere Last. 20 Kilo wiegt das Kunstobjekt aus Plexiglas, das Hausmeisterin und Messnerin von St. Johannis in Schweinfurt und einige freiwillige Helfer hochziehen – vom Dachstuhl über dem Altarraum aus. Das stark reflektierende Lichtkreuz, das mystische Farbenspiele in die Kirche bringen soll, wird noch mit Muskelkraft bewegt, eine Elektrowinde ist angedacht. Zu Beginn der Fastenzeit bleibt jedenfalls die tröstliche Botschaft: In jeder Last steckt, je nach Sichtweise, auch sehr viel Licht.
Die "Himmelsleiter" wird bis Juli in der ältesten Kirche der Stadt hängen. Bis dahin ist ein ganzer Ausstellungs- und Veranstaltungsreigen der Kunsthalle Schweinfurt geplant: "Lich T raum" nennen sich die neuen Installationen von Ludger Hinse, die in Zusammenarbeit mit dem Bistum Würzburg und dem evangelisch-lutherischen Dekanat Schweinfurt gezeigt werden. Ein kleineres Lichtkonstrukt erhellt bereits eine Grabplatte an der Seitenwand.
"Im Unsichtbaren das Sichtbare finden" – darum geht es dem aus Recklinghausen stammenden Künstler: Ludger Hinse, Jahrgang 1948, ist ursprünglich Gewerkschafter. Mittlerweile bringt er es auf rund 250 deutschlandweite wie internationale Ausstellungen. Heiko Kuschel, Pfarrer der Citykirche, hatte in der Berliner Hedwigs-Kathedrale die Werke des Lichtkreuz-Künstlers gesehen und ihn, zusammen mit Ullrich Göbel von der katholischen Citypastoral, für Schweinfurt gewonnen.
Vor vier Jahren schimmerte Ludger Hinses kinetische Lichtkunst bereits in Würzburg. Danach gastierten seine Werke noch zweimal in Franken: in Coburg und in der Rhön. Die aktuelle Präsentation ist dennoch nie dagewesen. Zum einen ist die Hälfte aller Exponate neu – außer Kreuzen sind es Plexiglasscheiben und andere Reflektoren. Vor allem stimmt der bärtige und etwas bärige Ruhrpottler jedes Kunstwerk auf den jeweiligen Ausstellungsraum ab. „Schweinfurt wird anders als alles andere“, sagt der 71-Jährige.
Je nach Tageszeit und Lichteinfall erscheint das Glaubenssymbol in St. Johannis in einem anderen Licht. "In gewisser Weise ist dieses Phänomen mit dem ursprünglichen Raumeindruck in mittelalterlichen Kirchen zu vergleichen", sagt Andrea Brandl, Leiterin der Kunsthalle. "Wenn die Morgensonne durch die buntfarbigen Fenster der Apsis dringt, diesen heiligen Bereich in Licht taucht und den Betrachter Teil dieses Mysteriums werden lässt."
Sakrale Themen hätten in der Sammlung der Kunsthalle von Beginn an großen Raum eingenommen. Schon zur Zeit Julius Kardinal Döpfners, beim Wiederaufbau kriegszerstörter Gotteshäuser in Mainfranken, trafen neue Formen der Kunst auf Kirchentraditionen. Die aktuelle Ausstellung dreht sich um Wahrnehmung von Glauben, um den Kontrast zwischen historischen und modernen Sakralräumen. Um Kunst als Gleichnis und Religion als Welterklärung, die beide Antworten geben wollen, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, aber auch auf gesellschaftliche Fragen.
Mit der säkularen Kunsthalle steht ein großer, architektonisch vergleichsweise neutraler Ort zur Verfügung. Sonst beziehen Hinse-Ausstellungen ihren Reiz oft aus dem Kontrast zwischen seiner modernen Kunst und historischen Gotteshäusern. Auch diesmal verspricht sich der Bildhauer davon einiges – und auch von der Begegnung seiner Regenbogenfarben mit den Meistermann-Fenstern in der Kilianskirche.
Das Dekanat verweist auf seiner Webseite darauf, dass das 1959 von Adolf Kleemann geschaffene Altarbild von St. Johannis wohl das einzige ist, das eine Raucherin zeigt: seinerzeit Chiffre für moderne Lebenswelten. Über der "Himmelsleiter" wiederum hängt ein gotisches sogenanntes Echthaarkruzifix, das die Lehre von der Menschwerdung Gottes ebenfalls lebendiger und begreifbarer machen wollte, für Menschen des Spätmittelalters: durch echtes Haar, das dem Heiland angeklebt wurde. Eine anrührend-fremdartige "Dürerfrisur", die vermutlich schon damals den Touch des Nonkonformistischen, somit Künstlerischen, hatte.
Für die Menschen des digitalen, kühl leuchtenden 21. Jahrhunderts sind Führungen, Konzerte, Lichtbildvorträge und Gottesdienste geplant, in der Kunsthalle (Ausstellungseröffnung am 2. April, 19 Uhr), unter anderem in St. Johannis, im Krankenhaus St. Josef, +plus.punkt (Schultesstraße 21) in der Heilig-Geist-Kirche sowie in und neben St. Kilian. Ein Höhepunkt soll die Osternacht in der Kunsthalle werden, mit loderndem Feuer vor dem Museum. Dass hier inmitten seiner Exponate ein Ostergottesdienst gefeiert wird, das freut den Katholiken Hinse besonders: „Die Osternacht im Museum – das ist schon was!“
Die Übersicht der Veranstaltungen zum Projekt "Lich T raum" im Internet: www.kunsthalle-schweinfurt.de