
Enrico Calesso, Chef der Würzburger Philharmoniker, nimmt die Corona-Sicherheitsauflagen in Deutschland sehr ernst. Doch er registriert mit Interesse, dass es in Österreich und Italien weniger streng zugeht. Calesso selbst dirigiert derzeit in Italien, beim Puccini-Festival in Torre del Lago. Die Disziplin seiner Landsleute in Sachen Pandemie beeindruckt ihn, sagt er im Ferngespräch aus Italien.
Enrico Calesso: Es geht besser als erwartet. Das ist mir beim Konzert im Rathaushof in Würzburg aufgefallen. Die Solobläser standen mit drei beziehungsweise zwei Metern Abstand zueinander, und doch hat man sich gehört. Ich finde, bei zwei, drei Meter Abstand kann man noch musizieren.
Calesso: Ich bin guter Dinge, dass die Ergebnisse der Wissenschaft bis zum Herbst noch erlauben, dass einige Regelungen gelockert werden. Dann könnten wir auch das Orchester größer besetzen. Ich gehöre zu den unheilbaren Optimisten, die glauben, dass uns sehr, sehr bald eine Impfung von diesem Alptraum befreit. Was mich aber richtig ärgert: Wir machen mit all diesen Regelungen das Theater und die Kultur dermaßen kaputt, dass ich mich frage, was ist die Rechnung am Ende des Tages? Und dann: In Diskotheken, Restaurants, Stränden, Biergärten halten sich viele nicht an die Regelungen, und es wird leider zu wenig kontrolliert.

Calesso: Ja, in Linz ist so etwas passiert: Da gab es eine Ansammlung mit einigen Ansteckungen. Da sagte die Stadt sofort: Alles zu für ein paar Tage! Das bedeutet: Ein Theater, das alles richtig gemacht hat, muss zumachen, weil jemand in einem ganz anderen Kontext nicht aufgepasst hat. Ich würde meine Hand ins Feuer legen, dass es bei unserem Rathauskonzert bei Einhaltung der Auflagen unmöglich gewesen wäre, sich zu infizieren. Man kann ein klassisches Konzert doch nicht mit einem Rockkonzert vergleichen oder einer Ansammlung im Sportbereich. Ich finde, wir klassischen Musiker haben keine gute Lobby.
Calesso: Unsere erste Produktion in der Theaterfabrik Blaue Halle ist "Garten der Lüste" mit Auszügen aus Händels "Rinaldo". Da wird das Orchester hinter den Sängern spielen. Die Sänger sollten sechs Meter Abstand zum Orchestergraben halten - aber das wäre nicht sinnvoll. Deshalb gibt es zunächst keinen Graben. Wir sind hinten, die Sänger vorne, mit Abstand zum Publikum.
Calesso: Das ist noch nicht ganz raus. Es könnten in der Blauen Halle und im Saal der Musikhochschule jeweils etwa 100 bis 150 Plätze angeboten werden. Das kommt immer auch darauf an, wie viele Zuschauer einzeln, in Paaren oder in Gruppen kommen.
Calesso: Bei Händel kommt es nicht so sehr auf den Mischklang an, sondern darauf, dass die musikalische Rede, die Artikulation genau stimmt. Der Klang kommt aus der Präzision. Es ergibt sich für die Musiker eine neue Situation: Das Prinzip des Tuttisten, der in der Gruppe aufgeht, gibt es nicht mehr. Alle sind Solisten. Und es ist die Verantwortung jedes Einzelnen, sich zu fragen: Werde ich wirklich gehört?
Calesso: Erstmal war es mir wichtig, dass das Orchester als solches nicht verschwindet. Und: Ich will echte sinfonische Literatur anbieten und nicht in die Schiene Kammermusik rutschen. Das Jahresabschlusskonzert etwa machen wir in der Blauen Halle in Normalbesetzung. Im Saal der Hochschule müssen wir eher klein bleiben. Wir werden dort mit Besetzungen von höchstens 25 Musikern auftreten. Ich habe dennoch versucht, das Orchester mit seinen Gruppen als Ganzes darzustellen. Im ersten Sinfoniekonzert spielen wir Strawinskys Sinfonie für Bläser – genau unsere Hausbesetzung. Und dann Poulencs Orgelkonzert und eine Bearbeitung von "La Mer" von Debussy – ganz schmale Streicherbesetzung und solistische Bläser. So haben wir das Orchester komplett präsentiert.
Calesso: Ich habe mich ganz bewusst auf die Suche nach Originalliteratur gemacht. Deshalb steht auch viel 20. Jahrhundert im Programm. Aber nicht nur: Im zweiten Konzert spielen wir die Eroica von Beethoven, und zwar mit der Streicherbesetzung der Uraufführung: drei erste und drei zweite Geigen, je zwei Bratschen, Celli, Bässe. Viele andere Häuser bieten vor allem Barock an. Ich glaube, das wird zu einem Überangebot führen.
Calesso: Die Regelungen in Italien sind vergleichbar mit Österreich. Ich war in Linz zur Bauprobe für meine neue Produktion "Capuleti e Montecchi". Da sind die Abstände kleiner definiert als in Deutschland. Vor allem, was den Gesang angeht. Und bei den Bläsern gelten nicht zwei oder drei Meter, sondern nur einer. Die sechs Meter Abstand bei den Sängern in Deutschland finde ich übertrieben, aber das halten wir natürlich ein.
Calesso: Das stimmt. Man will auf jeden Fall einen neuen Lockdown verhindern. Ich dirigiere gerade "Madama Butterfly" beim Puccini-Festival in Torre del Lago. Alle sind bei den Proben extrem diszipliniert, was Masken, Hygiene und Abstände anbelangt. Wir werden Vormittag und Nachmittag gemessen, und wer auch nur etwas Temperatur hat, darf den Raum nicht betreten. Es wird übrigens auch beim Publikum gemessen. Es gibt sofort Tests, sobald jemand die leisesten Symptome zeigt. Binnen weniger Stunden hat man das Ergebnis. In Italien ist man vorbereitet, sofort zu handeln, weil man aus den Frühjahrsmonaten weiß, dass immer etwas passierten kann. In Deutschland ist man mit den Auflagen sehr streng auf Vorbeugung ausgerichtet – glücklicherweise.