Herman de Vries ist Künstler von internationalem Rang. Er hat zum Beispiel 2015 auf der Biennale in Venedig den niederländischen Pavillon gestaltet. Und gerade läuft noch bis 1. August seine Einzelausstellung im Kasseler Museum für Sepulkralkultur mit Fragmenten über die Vergänglichkeit des Daseins. Natur, Pflanzen, Steine, gefundene Objekte (objets trouvés) und Vergänglichkeit haben in den vergangenen Jahren eine große Rolle in seinem Schaffen gespielt. Liebhaber seiner Werke gibt es nicht nur in Deutschland - die Sammler kommen auch aus Italien, Holland, Japan oder Bahrain.
Freundlicher Empfang mit Melissentee und Himbeeren
Herman de Vries empfängt Besucher in seinem Haus in Eschenau (Lkr. Haßberge) am liebsten im liebevoll verwilderten Garten. Selbstgepflückte Himbeeren und Melissentee stehen auf dem verwitterten Holztisch. Zu seinen Füßen räkelt sich eine Katze, die „Kater“ heißt.
Auch an seinem Geburtstag wird er dieses liebgewonnene Ritual einhalten: Mit wenigen guten Freunden bei einer Tasse Tee beisammensitzen. „Nichts Großes, ich mag die Ruhe“, sagt Herman de Vries. Die Pandemie hat er gut überstanden. Regelmäßig ist er durch den nahen Steigerwald, seinem selbsternannten Atelier, gewandert und hat dabei mehr Spaziergänger getroffen als vorher. „Die Menschen hatten Zeit und Muße, in die Natur zu gehen.“
Auffallend sei, dass es wieder mehr Schmetterlinge gebe als vor einigen Dekaden. De Vries ist ein sehr genauer Beobachter. Er erzählt von kleinen Freuden des Alltags wie seinem ständigen Sammeln im Wald: „Totholz, das mit hunderten von Insektenarten lebendig ist, zum Beispiel.“ Mit Tierknochen auf weißen Platten zusammen ist es zurzeit in Kassel zu sehen.
Der Künstler blickt auf "Kater" und erzählt vom Vorgänger, Willi, dem er im Sterben die grünen und blauen Fliegen vom Leib hielt: „Er war noch nicht tot, aber die Mücken kamen, um das Leben fortzusetzen.“ Aspekte der Vergangenheit finden sich wiederholt in seinem Schaffen, gleich ob es um verwelkte Blätter eines Apfelbaums, fixiert auf weißem Papier, goldene Kleinbuchstaben auf Findlingen, verbrannte Holzkohle zum Schreiben oder die plastische Form von Steinen geht.
Nackt im Wald und als Drohung eine Ladung Schrot
Seine Ruhe und Inspiration findet er draußen, „in diesem fantastischen Laubwald“, der gleich hinter dem Haus beginnt. Weil er die Natur „als direkte Beziehung zum Raum“ bedingungslos zu spüren will, treffen Spaziergänger den in Alkmaar Geborenen schon mal splitterfasernackt an. De Vries lacht, als er von jenem anonymen Briefes erzählt, der an ihn gerichtet war: „Wenn du das noch mal machst, kriegst du eine Ladung Schrot in den Hintern!“ Passiert sei nichts, „doch meine Frau Susanne hat einen großen Schreck gekriegt".
Die Frankfurterin und Tochter eines Kollegen ist seine zweite Frau, mit ihr lebt er seit Anfang der 1970er Jahre zusammen. Damals wollte sich de Vries eigentlich in den Weiten von Irland niederlassen, doch der Besuch beim befreundeten Bildhauer in Eschenau änderte plötzlich alles. „Ich fragte eine Bäuerin am Gartenzaun, ob ich hier eine Wohnung mieten könnte, und sie sagte ja. Eine Woche später war ich in Eschenau.“ Seitdem lebt er hier, der liebenswerte Einzelgänger, Menschenscheue und Waldschrat.
Ein Kompliment für seine Wahlheimat Eschenau
Mittlerweile hat er sein fünftes Domizil bezogen, ein altes Sandsteinhaus mitten im Ort. Ihm gefällt der schöne Dialekt im Steigerwald, „obwohl ich am Anfang nichts verstanden habe!“ Er wird akzeptiert und respektiert in seinem geliebten Dorf. Und in Ruhe gelassen: „Das ist mir am wichtigsten." Was die Leute über ihn denken würden - "ich weiß es nicht, das ist mir auch egal". Weise Worte eines 90-Jährigen, der sagt: „Holland ist mein Geburtsland, aber meine Heimat ist hier.“
Er bedauert den Schwund der bäuerlichen Bevölkerung, ihrer Erfahrungen und Traditionen, die heute so wertvoll wären: „Früher lebten 16 Landwirte hier, heute sind es nur noch zwei.“ De Vries setzt auf Biolandwirtschaft für die Zukunft, „weg von den Giftspritzen und Pestiziden“.
Der Künstler mit dem langen, weißen Haar schenkt sich Tee nach, denkt zurück an vergangene Zeiten und ist dankbar für ein reiches gelebtes Dasein. Er erzählt von der Lehre in der Gartenbauschule im nordholländischen Hoorn, vom Gesellenstück, der selbst angelegten Obstplantage mit Drainage. Und von der Zeit als Assistent am wissenschaftlichen Institut in Arnhem, von den Wintern im Süden, dem Unterwegssein auf dem Hippie-Trail nach Indien oder der Rucksackreise durch Laos während des Vietnamkriegs.
De Vries weiß um die Vielseitigkeit seines Tuns auch im hohen Alter - und wünscht sich noch ein paar gute aktive Jahre. Seine Frau, sagt er voller Wertschätzung, sei seine beste Kritikerin. "Wir essen und schlafen nicht nur zusammen, sondern wir denken auch zusammen."
Auf Gavdos in die Ewigkeit
Herman de Vries plant gerne, spricht über programmierte Zufälle, Methodik, systematisches Arbeiten - und die Zeit nach dem Tod. Seinen Körper will er später in Holland verbrennen lassen. Die Asche erhalten seine drei Kinder. „Ich werde sie bitten, diese auf der Insel Gavdos südlich von Kreta zu verteilen. Auf dem Land, nicht auf dem Wasser." Auf Gavdos sei er zweimal gewesen, 1978 und 2015. Eine "wundervolle Erfahrung", auch wenn die Insel "recht langweilig" sei.
Und wenn es dort mit der Asche nicht klappt: "Dann wird der Steigerwald mein letzter Ruheplatz werden."