Seit zwei Jahren erforschen Studenten in der Stadt der deutschen Klassik die Kino-Sammlung des Marktheidenfelder Sparkassenangestellten Heimo Bachstein. Auf jeden Fall ein originelles Forschungsobjekt. Und ein großes. 65 Regalmeter mit Kino-Souvenirs hatte der kleinwüchsige Filmenthusiast Heimo Bachstein seit den 1960er Jahren gesammelt. Der Mann, der vor sechs Jahren starb, war selbst eine einprägsame Erscheinung, etwa beim Internationalen Filmwochenende Würzburg. Was dessen Stammgäste weniger wissen: Bachstein saß auch in der Jury anderer Filmfestivals.
Standfotos, Aushangbilder, Plakate, Pressemappen
Denn das war für ihn eine gute Gelegenheit, Leute kennenzulernen, die ihm weiteres Material verschafften. Der Löwenanteil des „Filmkunstarchivs Bachstein“ stammt nämlich von Verleihfirmen: Standfotos, Aushangbilder, Plakate, Pressemappen. Dazu kam eine große Bibliothek, aber auch richtige Filmstreifen aus den Schneideräumen. Heimo Bachstein hatte hervorragende Beziehungen, bis in die USA. Und er korrespondierte mit einem französischen Regisseur und seiner Frau.
Dennoch muss niemand neidisch werden beim Gedanken an Mappen voller Hollywoodstar-Autogramme. Die gab es im Filmkunstarchiv nicht. Der US-Verleih, den der Marktheidenfelder um Material anschnorrte, war alles andere als ein Blockbuster-Produzent, sondern die führende Firma für Experimentalfilme. Deren berühmtester, Andy Warhols „Sleep“, zeigt acht Stunden lang einen Mann beim Schlafen. Und die Franzosen in Bachsteins Adressbuch hießen Jean-Marie Straub und Daniele Huillet, die Miterfinder des deutschen Autorenfilms.
Zwei Fahrten waren für den Transport nötig
Das klärt die Frage, warum das schillernde Erbe Heimo Bachsteins an die Bibliothek der Bauhaus-Universität Weimar ging. Denn Dokumente des avantgardistischen Kinos sind an dieser Zentrale des ästhetischen Fortschritts schlichtweg gut aufgehoben.
Volker Pantenburg lehrt hier Bildtheorie, insbesondere die Theorie bewegter Bilder. Er hat sich des Marktheidenfelder Bestands besonders angenommen. Der sei „aufgrund günstiger Zufälle“ nach Weimar gekommen.
Immerhin fuhr die Stellvertretende Bibliotheksdirektorin Katrin Richter zweimal, einmal bei besonders widrigen Umständen, persönlich von der Ilm an den Main, um die „Schenkung Heimo Bachstein“ sicher an ihren neuen Forschungsstandort zu bringen. Denn, wie Richter erklärt: Ihre Bibliothek baut seit den 1990er Jahren den Schwerpunkt Film aus. Daher passt diese Schenkung aus Franken gut nach Thüringen.
Die Sammlung füllt Lücken der Uni-Bestände
„Auch durch die Ergänzung seltener Filmbücher von Sergej Eisenstein und Federico Fellini, von Korrespondenzen, Originalfotografien, Filmplakaten sowie akribisch zusammengetragenen, thematischen Sammlungen von Experimentalfilm bis zu Andy Warhol ist es möglich, eine große Lücke in der verfügbaren Filmliteratur der Universitätsbibliothek zu schließen“, heißt es auf der Internetseite der Universität.
Jetzt sichten Weimarer Medienwissenschaftler die Tausende Textmappen, Programmhefte und Korrespondenzen, 3500 Plakate, 2000 Aushangbilder und fast 30 000 Fotos.
Und sie machen sich Gedanken: Was gehört wozu? Welche Schwerpunkte pflegte Bachstein? Sie kamen zu dem Schluss: Wer sich für deutsche, amerikanische und für die französischen Experimentalfilme interessiert, der kann hier mit großem Gewinn weiterforschen. Aber auch die Geschichte des Kinowesens in flachen deutschen Landen lässt sich mit den mainfränkischen Schubern gut illustrieren.
Nicht gerade nach der reinen Archivlehre sortiert
Die Bedeutung seiner Schätze war dem Sammler selbst durchaus klar. Seine Stempel und Briefköpfe trugen solch bezeichnende Namen wie „Eisenstein-Archiv“ oder eben auch „Filmwissenschaftliche Sammlung“. Allerdings hatte er seine Besitztümer nicht gerade nach den exakten Prinzipien der Archivlehre geordnet.
Bildtheorie-Professor Volker Pantenburg fasst den Nutzen des Forschungsobjekts aus Main-Spessart zusammen: „Allgemein lässt sich am Beispiel Bachsteins über die Differenzen von Sammlung und Archiv nachdenken, über das Verhältnis paraakademischer Praktiken zum akademischen Diskurs oder die Spannung zwischen den expansiven affektiven, libidinösen Aspekten und den bürokratischen Einhegungen durch Mappen, Listen, Verzeichnisse und andere Ordnungs- und Sortiermechanismen.“
Nicht immer hat Heimo Bachstein den letztgenannten Mechanismen zum Sieg verholfen. Aber auch dafür hat Pantenburg eine Erklärung: Das „Undisziplinierte, Regel- und Maßlose der Sammelleidenschaft“ sei untrennbar von einem sogenannten „cinephilen Impuls“.
Wer das Kino liebt, will in Mengen wühlen
Einfach ausgedrückt: Wer das Kino liebt, will in Mengen wühlen. Laut Pantenburg war Bachstein jemand, der sich für „das ganze Kino“ interessierte: kubanische Filmplakate ebenso wie Presseinformationen zu anlaufenden Unterhaltungsfilmen und in Kleinstauflage gedruckte Publikationen des amerikanischen Experimentalfilms.
Anhand der Sammlung lässt sich zudem die Geschichte des Kinowesens in der Provinz aufzeigen. So trieb Bachstein die Jugendfilmclub-Bewegung voran, später gemeinsam mit Horst Köhler das Filmforum der Volkshochschule Marktheidenfeld. Im Archiv liegen ihre Notizen für mündliche Filmeinführungen und Fotos mit Kinomachern, die an solchen Abenden gastierten.
Eine erste Ausstellung hat es schon gegeben
Das Material ist so fruchtbar, dass die Weimarer schon eine Ausstellung damit gestalteten. Dazu lief eine Reihe mit Filmen, die Heimo Bachstein besonders wichtig waren.
Zum 80. Geburtstag Heimo Bachsteins, der am 7. Juni gewesen wäre, hat die Weimarer Unibibliothek das wunderschöne Buch „Kino-Enthusiasmus. Die Schenkung Heimo Bachstein“ ins Internet gestellt.