- Worum geht es? Ein niederländisches Künstlerpaar hat in den Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima mehrfach die entvölkerte Sperrzone bereist und dort dokumentiert, wie die Natur sich ihren Platz zurückerobert.
- Was ist zu sehen? Fotografien und Videos, die in der Sperrzone entstanden, kombiniert mit traditioneller japanischer Kunst und Darstellungen aus der Sammlung des Würzburger Japanforschers Philipp Franz von Siebold.
- Was bringt mir die Ausstellung? Zunächst einmal ist die Ausstellung ein Ort der Ruhe. Menschen kommen in den Fotografien nicht vor, sondern nur das, was sie hinterlassen haben. Straßen, Häuser, eine Tankstelle, alles nach und nach überwuchert, ja aufgesprengt von Pflanzen, die sich ihren Raum zurückerobern. Eine stille und deshalb umso eindrucksvollere Erinnerung daran, dass die Natur uns nicht braucht. Wir sie aber sehr wohl.
Als wäre Corona nicht schon genug: "Wir haben uns noch ein anderes schweres Thema ausgesucht. Fukushima", sagt Luisa Heese, Leiterin des Museums im Würzburger Kulturspeicher. Tatsächlich war es das niederländische Künstlerpaar Robert Knoth und Antoinette de Jong, das sich Würzburg, die Stadt des bis heute in Japan hochverehrten Reisenden und Forschers Philipp Franz von Siebold (1796-1866), ausgesucht beziehungsweise sich dort mit einer Ausstellung beworben hat.
Das Museum griff zu und zeigt nun, zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima, die Ausstellung "Tree and Soil" – Baum und Boden. Boden ist hier im Sinne von Erde zu verstehen, von kontaminierter Erde. Robert Knoth und Antoinette de Jong (Jahrgang 1963 und 1964) bereisten in den Jahren seit dem Unglück mehrfach das verseuchte Sperrgebiet, fotografierten, filmten, sprachen mit ehemaligen Bewohnern der evakuierten Dörfer.
Oft sind kaum noch Reste menschlicher Ordnung zu erkennen
Ihre Fotografien und eine Videoinstallation zeigen, wie sich die Natur unaufhaltsam ihre angestammten Räume zurückerobert. Wie Gärten aus der Form geraten, Asphaltwege unter dem Druck von unten aufplatzen, zurückgelassene Autos oder leere Häuser ihren Sinn verlieren. Oft muss man gut hinschauen, um überhaupt noch Reste einstiger Ordnungen auszumachen. Besonders eindrucksvoll: eine verlassene Tankstelle im Abendrot. Büsche überwuchern allmählich die Werbeschilder, aber die Getränkeautomaten haben kurioserweise noch Strom.
Knoth und de Jong kombinieren ihre Aufnahmen mit japanischer Kunst des 19. Jahrhunderts und mit Beispielen aus der im frühen 19. Jahrhundert zusammengetragenen Sammlung Siebolds. Der Würzburger Arzt lebte als einer von sehr wenigen Europäern von 1823 bis 1829 und von 1859 bis 1862 in Japan und erforschte dort die Natur im Auftrag der Niederlande, die damals als einzige ausländische Macht Zugang zu dem ansonsten vollkommen isolierten Inselkaiserreich hatten. Bis heute künden etliche wissenschaftliche Bezeichnungen von Siebolds Bemühungen, Flora und Fauna zu katalogisieren, eine Libelle (antonogaster sieboldii) und eine Primel (primula sieboldii) zum Beispiel.
Die japanischen Bilder atmen eine tiefe Verbundenheit mit der Natur
Auf den ersten Blick scheinen die sieboldschen Fundobjekte, ob gezeichnet oder abgeheftet, und die japanischen Kunst durchaus verwandt. Auf einer formalen Ebene, in Sachen Klarheit und Akkuratesse sind sie es auch. Aber da, wo bei Siebold Aneignung und Kategorisierung Zweck der Übung sind, atmen die japanischen Bilder eine tiefe Verbundenheit mit der Natur und zu den Geistern, die sie nach traditionellem Verständnis beseelen.
Beispielhaft dafür steht das Monster Yamamaze, das sich aus toten Blättern formt. "Wenn man bedenkt, dass die Radioaktivität vor allem in den Blättern gespeichert ist, bekommt es eine neue, besondere Bedeutung", sagt Henrike Holsing, stellvertretende Leiterin des Museums und Kuratorin der Ausstellung. "Tree and Soil" zeigt in jedem Bild mehrere Perspektiven. Sie alle aber führen zu einer unausweichlichen Erkenntnis: Die Natur braucht den Menschen nicht. Der Mensch die Natur aber sehr wohl.
Museum im Kulturspeicher, Würzburg: Ausstellung "Tree and Soil", bis 24. Mai.
Di. 13-18 Uhr, Mi. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr, Fr.-So. 11-18 Uhr
Momentan ist eine Anmeldung nötig, Tel. (0931) 32225-14 oder kasse.kulturspeicher@stadt.wuerzburg.de
Digitale Vernissage: 26. März, 18.30 Uhr, mit dem Künstlerpaar. Link dazu und Informationen zum Begleitprogramm unter www.kulturspeicher.de
In Kooperation mit dem Kulturspeicher findet im Siebold-Museum die Ausstellung "Never Forget Tohoku 2011" statt, u.a. mit Fotos des damaligen Kameramanns im ZDF-Studio Tokyo, Toby Marshall.