- Was bedeutet "Informel"? Das französische Wort bedeutet "formlos". Als kunsthistorischen Begriff geprägt hat es 1951 der französische Kunstkritiker Michel Tapié.
- Was ist informelle Kunst? Das Informel gilt inzwischen als eine der bedeutendsten Kunstrichtungen der Nachkriegszeit, vor allem in Deutschland. Sie lehnt – auch unter dem Eindruck der Verbote und Gebote der NS-Zeit – alle formalen Vorgaben ab, versteht sich als vollkommen frei und ist in aller Regel abstrakt.
- Ist informelle Kunst schwer zu verstehen? Es gibt zwar jede Menge wissenschaftliche Abhandlungen, dennoch erschließt sich diese Kunst unmittelbar. Es geht um Licht, Farbe, Bewegung, Improvisation. Die Kunstwerke entstanden ab den 1950er Jahren in spontanen Schaffensprozessen. Vorwissen ist deshalb weder nötig noch sonderlich hilfreich.
Erstaunlich, wie vielfältig diese Kunst ist. Das ist der erste Eindruck, den die neue Ausstellung in der Schweinfurter Kunsthalle macht: Reichtum und Vielfalt. Er findet sich auch im Titel wieder: "Positionen des deutschen Informel – von Ackermann bis Zangs". Diese Positionen können höchst unterschiedlich sein, in den Bildern und wenigen Skulpturen scheinen sich unmittelbar Persönlichkeiten, Lebenssituationen, Emotionen abzuzeichnen – für jeden und jede nachvollziehbar, erlebbar, genießbar.
Es gibt wilde, ausladende Formen, rund oder zackig, elegant oder schroff; magisch durchscheinende, weil aus unendlich vielen Farbschichten gebildete Flächen; düster-wuchtige Krusten, die man unter vielen Blickwinkeln betrachten muss, um – völlig überrascht – helle Farbeinschlüsse zu entdecken; heiter aufblühende Kompositionen, die tatsächlich so etwas wie Freiheit atmen, oder zumindest die Suche danach.
Der Untertitel "Ackermann bis Zangs" offenbart eine zweite Eigenschaft dieser Ausstellung: Hier sind dank 30 Jahren konsequenter Sammeltätigkeit und einer Fülle bedeutender Leihgaben alle wichtigen Namen des deutschen Informel versammelt. Joseph Fassbender, Rupprecht Geiger, Emil Schumacher, Gerhard Fietz, Otto Greis, Hans Kaiser, Heinz Kreutz, Hans Platschek, Hann Trier oder Fritz Winter, um nur einige zu nennen.
Längst ist das Informel als bedeutende Epoche der Kunstgeschichte anerkannt
Zwei der markantesten Exponate sind zwar in Schweinfurt, aber nicht in der Kunsthalle zu sehen: das riesige Kirchenfenster von Georg Meistermann in der Kirche St. Kilian und die Wandgestaltung von Karl Fred Dahmen im Theater. Christoph Zuschlag sprach in seiner Eröffnungsrede jedenfalls von der "richtigen Ausstellung zur richtigen Zeit am richtigen Ort". Zuschlag ist Professor für Kunstgeschichte der Moderne und der Gegenwart an der Uni Bonn und Leiter der dortigen Forschungsstelle Informelle Kunst.
Einst als Kunst der Nachkriegszeit mit begrenzter Ausstrahlung auf die Gegenwart verkannt oder unterschätzt, ist das Informel längst Gegenstand der Forschung. Dass es auch nach der Wiedergeburt der gegenständlichen, figurativen Malerei weiterwirkt, ist heute unumstritten. Das zeigt sich in der Schweinfurter Kunsthalle nicht nur an den Arbeiten von K. O. Götz, dem Lehrer von Gerhard Richter.
Bei Götz sind vielfach jene breiten, in Kurven gezogenen Farbbahnen zu sehen, wie sie später in Richters abstrakten Bildern andeutungsweise auftauchen. Dass letzterer seinen Lehrer auf dem Kunstmarkt in Sachen Preise und Begehrtheit weit hinter sich gelassen hat, hält Zuschlag "aus kunsthistorischer Sicht nicht für gerechtfertigt".
Andrea Brandl, Leiterin der Kunsthalle, hat die Ausstellung mit insgesamt 200 Exponaten dramaturgisch interessant gehängt – mal bewusst in jähen Kontrasten, mal wohlsortiert nach Gemeinsamkeiten. Erfahrenere Kunstfreunde können sich über die Wiederentdeckung so humorvoller Künstler wie Hubert Berke freuen. Alle anderen begeben sich am besten einfach auf eine Safari in immer wieder begeisternde Gegenden.
Die Bilder sind zwar abstrakt, aber nicht abgekoppelt von menschlichen Eindrücken
Denn obwohl die Bilder nichts Gegenständliches abbilden, so sind sie doch geschaffen von Künstlern (in diesem Fall vielen Männern und nur einer Frau, Brigitte Matschinsky-Denninghoff), die nicht abgeschottet lebten von den Eindrücken des Daseins. Die sich an Landschaften erfreuten oder von Musik (meist Jazz) und Tanz inspirieren ließen. Die sich mit innerem und äußerem Chaos auseinandersetzten und nicht zuletzt auch mit den Einflüssen mehrerer hundert Jahre Kunstgeschichte.
Insofern ist das, was vielleicht auf den ersten Blick speziell und unzugänglich wirken könnte, erstaunlich lebensnah. Denn die "Positionen des deutschen Informel" sind immer auch Positionen des Menschseins mit all seinen Freuden und Fährnissen.
Kunsthalle Schweinfurt: "Positionen des deutschen Informel – von Ackermann bis Zangs". Bis 9. Januar 2022. Öffnungszeiten: Di.-So. 10-17 Uhr, Do. 10-21 Uhr. Der Katalog soll im November erscheinen. Das Begleitprogramm findet sich unter www.kunsthalle-schweinfurt.de