Ist die Kunst der Nachkriegszeit schwer zugänglich? Maler und Bildhauer suchten nach neuen Ausdrucksformen und verwarfen alles Vertraute. Die Kunsthalle hat zehn Jahre nach Eröffnung eine komplette Neuhängung im Erdgeschoss und Untergeschoss vorgenommen. Ein völlig neuer Blick auf eine Ausstellung, die im Jahr 2020 die Besucher mit neuen Impulsen und Ansätzen an eine durchaus schwierige Kunst heranführen möchte.
Es ist eine schwierige Kunst. Eine, die sich dem Betrachter nicht auf Anhieb erschließt. Wenig Vertrautes, wenig Erkennbares. Man muss sich einlassen auf diese Bilder und Skulpturen, die da in der Kunsthalle hängen beziehungsweise stehen. Muss versuchen, auf neue Art zu schauen. Oder: Man darf auf neue Art schauen. Voraussetzungslos und möglichst offen. Farbe, Formen, Strukturen, Bewegung, Material, Oberflächen wahrnehmen und sich dabei beobachten.
Wie wirkt das auf mich? Was fällt mir dazu ein? Die Kunsthalle will die wesentlichen Entwicklungsstränge der deutschen Kunst nach 1945 zeigen. Die Neuhängung der Sammlung zum zehnjährigen Bestehen des Hauses macht diese Stränge noch stärker nachvollziehbar – chronologisch wie künstlerisch. Deshalb sind zwei Flügel im Erdgeschoss der Kunst der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg gewidmet – einer uneinheitlichen, zerrissenen Zeit der Neuorientierung, des Wiederaufbaus und des Bruchs mit überkommenen Regeln.
Deshalb führt der Rundgang nach dem ersten Raum, der mit gegenständlicher Kunst der Zwischenkriegsjahre die Verbindung zum Museum Georg Schäfer herstellt, direkt ins Informel. Also abstrakte, genauer gesagt: nichtgegenständliche Bilder. Die Kunsthistoriker nennen das „gegenstandsentbundene Ausdrucksform“. Die Bewegung des Informel entstand im Frankreich der 1940er und 1950er Jahre. Namensgeber war der Kunstkritiker Michel Tapié, der den Namen „art informel“ für eine Pariser Ausstellung 1951 mit dem Titel „Signifiants de l'informel“ prägte. Den Titel könnte man sehr frei mit „Zeichen in einem System, in dem Zeichen nicht formal definiert sind“ übersetzen. Nach den Gräueln der NS-Zeit war es vielen unmöglich, figurativ zu malen. Genau das strebten auch deutsche Künstler wie Willi Baumeister, Max Ackermann, Fritz Winter, Ernst Wilhelm Nay, Theodor Werner, Gerhard Fietz, Rolf Cavael oder Rupprecht Geiger an, die sich in der Nachkriegszeit der Bewegung oder eher dem Gedankengut anschlossen und zu Gruppen wie ZEN49 oder Quadriga zusammenfanden: Es ging darum, neue Zeichen zu (er-)finden. Die Kunsthalle dokumentiert diese Suche mit nahezu allen wichtigen Vertretern des deutschen Informel – mit Werken aus der eigenen Sammlung und bedeutenden Leihgaben aus der Sammlung zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik.
Die Neukonzeption ist bewusst völlig anders ist als die gewohnte bisherige Hängung mit der Sammlung Hierling und Sonderschauen im Untergeschoss. Die Sammlung Hierling wurde nach zehn Jahren und dem Auslaufen des Vertrages wieder an den Sammler zurückgegeben, auch um Raum für Weiterentwicklung zu schaffen.
„Entschleunigung“, so nennt Kunsthallen-Chefin Brandl das Konzept, das mit einer großzügigen, dennoch sehr stringenten Hängung in allen Räumen einhergeht. Schon lange wird in der Museumspädagogik diskutiert, wie man die Besucher dazu bringt, sich in einem Museum in Ruhe auf die gezeigte Kunst einzulassen, sie auf sich wirken zu lassen und nicht vorbeizuhuschen mit einem kurzen Scan der Bilder, als wären sie Fotos auf dem Smartphone und der Museumsbesuch nur lästige Pflichterfüllung.
Brandl hat das geschafft, indem sie konsequent auf die in den eigenen Beständen, den Leihgaben des Kunstvereins und der Sammlung der BRD vorhandenen Kunstwerke setzt und so die Kunsthalle auch endgültig in der Kunst des 21. Jahrhunderts ankommt. Sie sagt: „Die Neukonzeption des Hauses soll vor allem die Erwerbungen der vergangenen zehn Jahre im Bereich Skulptur, Malerei, Videokunst, Fotografie oder Mixed Media widerspiegeln.“ Zukünftig werde sich die Kunsthalle auch nicht nur auf deutsche Kunst beschränken, sondern mit Blick auf die internationale Herkunft der Künstler, die gesellschaftlichen Veränderungen und die Lehrtätigkeit europäischer Professoren an den Akademien neu ausrichten.
Kunsthalle Schweinfurt: geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr. www.kunsthalle-schweinfurt.de