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Würzburg
Der Würzburger Kulturspeicher wagt die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der städtischen Sammlung
Der Künstler und Kurator Michael Müller will das Böse in seiner ganzen Banalität entlarven. Nicht, um es zu verharmlosen, sondern um zu zeigen: Das Monster steckt in uns.
Der Künstler und Kurator Michael Müller in einem der - noch unfertigen - Räume seiner Ausstellungen, umgeben von Skulpturen der französischen Bildhauerin Elsa Sahal.
Foto: Benjamin Brückner | Der Künstler und Kurator Michael Müller in einem der - noch unfertigen - Räume seiner Ausstellungen, umgeben von Skulpturen der französischen Bildhauerin Elsa Sahal.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:42 Uhr
  • Was ist das für eine Ausstellung? Es sind zwei Ausstellungen mit den Titeln "Die Errettung des Bösen" und "Mögliche und unmögliche Bilder". In der ersten setzt sich der Künstler und Kurator Michael Müller mit der Gründung der städtischen Kunstsammlung Würzburgs in der NS-Zeit auseinander. In der zweiten geht er der Frage nach, was Kunst kann und was nicht.
  • Was ist zu sehen? Werke aus der städtischen Sammlung, von den toxischen Hinterlassenschaften der NS-Propaganda über die einst als "entartet" verfemte Emy Roeder bis hin zu Werken von Andy Warhol, Elsa Sahal oder Fabio Mauri und etliche Arbeiten von Michael Müller selbst. Zentrales Thema: das Menschenbild.
  • Welchen Eindruck hinterlässt die Ausstellung? Zunächst fällt ein enormer Reichtum an Ideen und Positionen auf. Es gibt viel zu erkunden und nachzudenken. Die Ausstellung spielt mit der (Selbst-)Wahrnehmung des Betrachters und eröffnet so immer wieder neue Perspektiven.

Es sollte eigentlich nur eine "Intervention" werden. Also ein wie auch immer gearteter störender künstlerischer Eingriff aus Anlass des 20-jährigen Bestehens der Museums im Kulturspeicher. Doch als Direktorin Luisa Heese und der Künstler Michael Müller während der Corona-Schließung, als ihnen das ganze Haus allein gehörte, alle Räume durchstreiften, inklusive Depot, zeichnete sich ab: Michael Müller würde eine eigene Ausstellung entwickeln. Nun sind es zwei geworden.

Der deutsch-britische Künstler Michael Müller, geboren 1970, Maler, Bildhauer und zunehmend auch Kurator, liebt es, Kunstwerke verschiedener Epochen und Stile in direkten Kontext zu stellen und so ganz neue Spannungsfelder zu erzeugen. In Würzburg hat er Werke aus dem Fundus ausgewählt und eigene Arbeiten plus Leihgaben hinzugefügt. Herausgekommen ist ein intensives Spiel mit Perspektiven, Assoziationen und Provokationen, die sich in immer neuen Wendungen mit dem Thema Menschenbild befassen.

Michael Müller: 'Es gibt keine Monster'. Hitler mit und ohne Schnurrbart. Ein Hinweis darauf, wie sehr auch kleine Merkmale zum Symbol werden können. In diesem Fall ein Schnurrbart als Symbol für das personifizierte Böse.
Foto: Studio Michael Müller | Michael Müller: "Es gibt keine Monster". Hitler mit und ohne Schnurrbart. Ein Hinweis darauf, wie sehr auch kleine Merkmale zum Symbol werden können.

Was aber hat es mit dem Titel "Errettung des Bösen" auf sich? Müller will nicht das Böse als solches erretten, sondern die Anerkennung von dessen Existenz. Die Möglichkeit, Böses als solches zu benennen und es nicht zu versachlichen, etwa durch juristische Strafenkataloge. "Ich will etwas erhalten, das droht, verlorenzugehen", sagt er. "Es gibt keine Monster. Das Böse ist in uns allen. Und ohne das Böse würden wir auch das Gute nicht erkennen."

Unser Bild des Bösen ist entscheidend vom Grauen der NS-Verbrechen geprägt

Wie prägend der Nationalsozialismus für unser Bild des Bösen ist, zeigt sich in der Ausstellung an vielen Stellen. Michael Müller hat einige Werke dieser Zeit aus dem Dunkel des Depots geholt, um sie in einem bewusst unausgeleuchteten, abgetrennten Bereich zu zeigen. Im Zwielicht sozusagen. Die Arbeiten, etwa der stählerne Hitler-Kopf von Hedwig Maria Ley, ein Exemplar von vielen, wie sie in Büros und Behörden standen, oder die gestählten Heldinnen und Helden in den Zeichnungen von Ferdinand Spiegel, befinden sich im selben Raum wie die Skulpturen von Emy Roeder, die den NS-Kunstzensoren als "entartet" galten. Allerdings: Hinter einer Wand.

 Michael Müller vor einer Arbeit, die eine barocke Skulptur des Heiligen Michael mit einem Zitat der frühverstorbenen Künstlerin Ana Mendieta kombiniert: 'Da ist ein Teufel in mir.' St. Michael und der Drache werden so zum Symbol für das Böse, das in uns allen steckt.
Foto: Benjamin Brückner |  Michael Müller vor einer Arbeit, die eine barocke Skulptur des Heiligen Michael mit einem Zitat der frühverstorbenen Künstlerin Ana Mendieta kombiniert: "Da ist ein Teufel in mir." St.

Diesseits der Wand: richtige Kunst. Die reduzierten, stilisierten, immer Natürlichkeit ausstrahlenden Plastiken von Emy Roeder. Oder die von Elsa Sahal. Die französische Bildhauerin nimmt menschliche Körper auseinander und setzt sie neu zusammen. Der heldischen Gewalt im Halbdunkel stehen im Licht Verletzlichkeit und Zweifel gegenüber.

Neuschwanstein – einmal dargestellt von Andy Warhol, einmal von Adolf Hitler

Ein Raum weiter, Michael Müller hat ihn "Vergleichen, >, =" überschrieben: Hier sind die Assoziationsketten vollends entfesselt. In der gleichnamigen Arbeit hat Müller die 54 mathematischen Zeichen für Vergleiche abgehandelt (so viele gibt es tatsächlich) – allerdings in eigener Systematik. Der Künstler hat sieben Jahre daran gearbeitet, der Betrachter sollte ruhig auch ein bisschen Zeit einplanen, um den wilden Bilderritt durch die Zivilisationsgeschichte in über 200 quadratischen Stationen zu erkunden. 

Noch ein Vergleich: Schloss Neuschwanstein in zwei Versionen – als buntfarbiger Siebdruck von Andy Warhol und gezeichnet von Adolf Hitler, zu sehen in einer Reproduktion des Werkverzeichnisses seiner künstlerischen Erzeugnisse. Zwei Werke höchst unterschiedlichen Charakters, geschaffen von zwei höchst unterschiedlichen Menschen, beide allerdings auf kommerzielle Verwertbarkeit angelegt. "Wer weiß, wie die Geschichte verlaufen wäre, hätte Hitler als Künstler Erfolg gehabt", sagt Müller.

 Simon Fujiwara:  'Anne Frank's Birthday Cake'. Die Installation zeigt, dass sich auch Tragödien wie das Schicksal von Anne Frank inszenieren und kommerziell nutzen lassen.
Foto: Courtesy the artist and Esther Schippe, Berlin |  Simon Fujiwara:  "Anne Frank's Birthday Cake". Die Installation zeigt, dass sich auch Tragödien wie das Schicksal von Anne Frank inszenieren und kommerziell nutzen lassen.

Gleich gegenüber: Landschaftsgemälde des Marktheidenfelder Ehrenbürgers Hermann Gradl, der im NS-Staat höchstes Ansehen genoss und nicht nur auf der "Gottbegnadeten"- Liste stand, sondern sogar auf der "Sonderliste" der von Hitler besonders Geschätzten. Der Gag: Die Bilder sind ausgerahmt und hängen denkbar schmucklos an einer durchgehenden Leiste. Direktorin Luisa Heese versichert, dass sie dadurch keinen Schaden nehmen werden. 

Auf einem langen Kassenzettel, aufgelistet wie konsumierte Speisen und Getränke im Restaurant, die Namen von Menschen, die als Hexen hingerichtet wurden, basierend auf einer historischen Quelle. Etwa: "Die Brüglerin, eine Beckin, ist lebendig verbrannt worden." Das Böse, in diesem Fall die mörderische Bigotterie der Kirche, wird hier in ihrer ganzen kleingeistigen Banalität entlarvt.

Auseinandersetzung mit Gerhard Richter: Was Bilder können und was nicht

An der unfassbaren Grausamkeit des Holocaust hat die Kunst sich immer wieder abgearbeitet. Der Maler Gerhard Richter etwa hatte vier Fotografien fotorealistisch nachgemalt, die ein Häftling, Mitglied des sogenannten "Sonderkommandos", unter Todesgefahr in Auschwitz-Birkenau von der Verbrennung vergaster Menschen gemacht hatte. Richter übermalte sie dann aber mit abstrakten Farbschichten. Begründung: Birkenau sei unmalbar. 

Michael Müller widerspricht und wagt die Gegenposition: In der Abteilung "Mögliche und unmögliche Bilder" hat er den Birkenau-Zyklus sozusagen nachgeschaffen und rekonstruiert, also die übermalten Bilder, aber auch die ursprünglich abgemalten Fotografien. Nicht, um zu zeigen, dass das Grauen eben doch malbar ist. Sondern, um zu zeigen, dass Richter von einer falschen Prämisse ausgegangen war. "Kunst kann keinen Ersatz für Leiden schaffen. Wir können immer nur Verhältnisse herstellen", sagt Michael Müller.

Museum im Kulturspeicher: Zwei Ausstellungen von Michael Müller, "Die Errettung des Bösen" und "Mögliche und unmögliche Bilder", bis 19. März. Öffnungszeiten: Di. 13-18 Uhr, Mi.-Sa. 11-18 Uhr, Do. bis 19 Uhr.

 
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