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Meiningen
Der Klassiker über die zerstörerische Macht der Macht: Schillers "Maria Stuart" am Staatstheater Meiningen
Frank Behnke zeigt in seiner Inszenierung von Schillers Trauerspiel, das sich an der Unvereinbarkeit von Macht, Moral und Menschlichkeit bis heute nichts geändert hat.
Zwei Königinnen, gefangen in ihren unveränderlichen Rollen: Elisabeth I. (Anja Lenzen) und Maria Stuart (Larissa Aimée Breidbach).
Foto: Christina Iberl | Zwei Königinnen, gefangen in ihren unveränderlichen Rollen: Elisabeth I. (Anja Lenzen) und Maria Stuart (Larissa Aimée Breidbach).
Siggi Seuß
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:27 Uhr

Schillers Trauerspiel "Maria Stuart" - seit 1884 in schöner Regelmäßigkeit auf der Meininger Theaterbühne zu sehen. Wer die historisierende Atmosphäre der Inszenierung zu Georgs II. Zeiten liebt, der kann im Theatermuseum die Kulisse der romantischen Parklandschaft bei Fotheringhay Castle bestaunen. Wer die Schillerschen Botschaften im Rohzustand vorzieht, den nimmt nun das kalte Ambiente in Frank Behnkes jüngster Inszenierung gefangen.

Die Unvereinbarkeit von Macht, Moral und Menschlichkeit, die Schiller am Beispiel der britischen Regentin Elisabeth I. (1543-1603) und ihrer Widersacherin Maria Stuart (1542-1587) aufzeigt, diese Unvereinbarkeit zieht sich durch die Jahrhunderte und verschafft sich in stets neuen Varianten Geltung, ob mit Machtgedöns in monströsen Präsidentenpalästen oder den Versuchen, eine unabhängigen Justiz auszuschalten.

Es wird eng im Palast: Unterschreibt Elisabeth I. den Vollstreckungsbefehl des Todesurteils für Maria Stuart?
Foto: Christina Iberl | Es wird eng im Palast: Unterschreibt Elisabeth I. den Vollstreckungsbefehl des Todesurteils für Maria Stuart?

Behnkes Inszenierung zeigt dies in aller Gegenwärtigkeit, ohne dass er dazu einen Deut an Schillers Sprache verändern müsste. Bei ihm durchschreitet allein Elisabeth I. die Leere der grauschwarz marmorierten Halle der Macht in historischem Kostüm. Michael Lindner (auch Kostüme) hat diese monströse Palasthülle in den Raum gesetzt. Die Regentin (Anja Lenßen) ist bereits im wahren Sinn des Wortes eingeschnürt in den staatstragenden Zwang, der ihr jede Art individueller Freiheit verbietet.

Obwohl eingekerkert, wirkt Maria Stuart als die freiere der beiden Frauen

Dagegen wirkt ihre Konkurrentin Maria Stuart (Larissa Aimée Breidbach), solange sie eingekerkert ist, in souveräner Schönheit im einfachen roten Kleid, wie die Verkörperung einer Frau, die glaubt, ihre Ketten sprengen zu können. Trotz der 19 Jahre im Gefängnis, die sie Elisabeth zu verdanken hat. Trotz des Todesurteils, das nur noch der Unterschrift der Königin bedarf. Und trotz der Wankelmütigkeiten und Gelüste der Herren am Hofe: Graf von Leicester (Stefan Willi Wang), Graf von Shrewsbury (Marcus Chiwaeze), Baron von Burleigh (Lukas Umlauft), Marias Wächter (Yannick Fischer), sein Neffe Mortimer (Leo Goldberg) und Graf Aubespine, der französische Gesandte (Pauline Gloger).

Matthias Schubert hat dezente synthetische Klänge über die Handlung gelegt. Das Publikum kann ungestört verfolgen, wie die Figuren ihr Inneres nach Außen kehren, gewollt oder ungewollt, offen oder verklausuliert. Ihr Schöpfer hat ihnen ja genügend Worte auf die Zunge gelegt. Das führt zu Beginn des Dramas gelegentlich zu einem Gefühl der Überforderung. Was bleibt vom schier endlosen Wortschwall verständlich hängen?

Einzige Auflockerung in der Tristesse: Der französische Gesandte (Pauline Gloger) überbringt den Vermählungswunsch eines Sohnes seines Königs. Vergeblich.
Foto: Christina Iberl | Einzige Auflockerung in der Tristesse: Der französische Gesandte (Pauline Gloger) überbringt den Vermählungswunsch eines Sohnes seines Königs. Vergeblich.

Man atmet auf, als Elisabeth endlich eine Minute lang schweigend einen Brief studiert. Aber im Laufe des Geschehens fügen sich die Gedankengänge zu einem Bild zusammen, und man ahnt: Die Handlung strebt einem bitteren Ende zu – für alle Seiten. Zwar wird manch erregtes Wort gemäß Regieanweisung zu offensichtlich in den Saal geschmettert, die Darstellung der Feinheiten der Charaktere jedoch sind bewundernswert: Anja Lenßens als von Ängsten bedrückte, ins Korsett gezwungene Elisabeth. Larissa Aimée Breidbachs als schöne Kämpferin, die zwischen Freiheitswillen, Gerechtigkeitssinn, Machtanspruch, Reue und Liebessehnsucht oszilliert.

Maria Stuarts Zelle erinnert an die Glaskästen putinscher Gerichtsprozesse

Nicht zu unterschätzen sind auch die Männer in ihrer Kunst, mit zwei Zungen zu sprechen, um im Machtkampf weiterhin mitzumischen. Bestes Beispiel: Leicesters Doppelspiel mit den beiden Königinnen.

Man glaubt sich im Hier und Jetzt, obwohl es in diesem Eispalast nur wenige Requisiten gibt. Die wichtigste ist Marias gläserne Gefängniszelle. Nicht von ungefähr erinnert sie an die Glaskästen putinscher Gerichtsprozesse. Der Fülle an Machtgebaren und Gefühlsproklamationen steht die absolute Abwesenheit wahrhaftiger mitmenschlicher Regungen gegenüber. Das ist die wichtigste Botschaft des Abends: Der Abgrund ist nah. Dummerweise nicht nur für die, die ihre Machtgelüste befriedigen, sondern auch für jene, die darunter leiden.

Nächste Vorstellungen im Großen Haus: 26. Januar, 4. und 25. Februar. Kartentelefon: (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de

Die Herren am Hofe - demütig vor ihrer Regentin? Von links: Leo Goldberg, Lukas Umlauft, Marcus Chiwaeze, Yannick Fischer. Im Hintergrund: Maria Stuart (Larissa Aimée Breidbach).
Foto: Christina Iberl | Die Herren am Hofe - demütig vor ihrer Regentin? Von links: Leo Goldberg, Lukas Umlauft, Marcus Chiwaeze, Yannick Fischer. Im Hintergrund: Maria Stuart (Larissa Aimée Breidbach).
 
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