Wenn man bei Richard Wagner die Sänger weglässt, bleibt Filmmusik übrig. Behaupten zumindest Wagner-Skeptiker. Natürlich ist es umgekehrt: Generationen von Filmkomponisten haben sich bei Wagner bedient – bei seiner Kunst, Menschen musikalisch zu charakterisieren, Emotionen hörbar zu machen, Spannung, Licht, Farbe. Der Regisseur Kay Metzger, Intendant am Theater Ulm, ist kein Wagner-Skeptiker. Im Gegenteil: Er hat alle zehn Bayreuth-würdigen Bühnenwerke von "Holländer" bis "Parsifal" inszeniert.
Insofern darf man das Konzept seiner Neuinszenierung des "Fliegenden Holländer" für das Staatstheater Meiningen getrost als listigen Kreisschluss interpretieren: Metzger siedelt die Oper in einer leicht miefigen Kino-Foyer-Bar an (Bühne und Kostüme: Petra Mollérus), der Holländer, Star des Films "Fluch der Meere", tritt vom Plakat herab und trifft auf Senta, seinen glühendsten Fan. Das funktioniert erstaunlich gut, vor allem liefert es eine plausible Motivation für Sentas bedingungslose Hingabe an diesen ihr unbekannten Mann – was längst nicht jeder "Holländer"-Inszenierung gelingt.
Gefaltete Papierschiffchen sind die einzigen Schiffe in dieser Inszenierung
Gleichzeitig eröffnet das Kino-Setting Metzger unendliche Möglichkeiten der Effekte, Verfremdungen, Brechungen, sobald die Leinwand-Welt in die Bühnen-Welt schwappt. Da wird Senta mit unzähligen Kopien ihrer selbst konfrontiert (die Spinnmädchen), da vervielfältigt sich der Barmann zur Gläser polierenden Spötterkolonne (der Matrosenchor).
Wie immer verwebt Kay Metzger virtuos Detail und Struktur. Wenn der Holländer singt, "dann werde ich in Nichts vergehen", lässt er Asche aus dem Kino-Aschenbecher zu Boden rieseln. Wenn Senta, die sich den Film immer und immer wieder anschaut, in der Bar sitzt, faltet sie Papierschiffchen – die einzigen Schiffe in diesem "Holländer".
Wie sähe Sentas Leben ohne Holländer aus?
Und wie so oft stellt Metzger die Frage nach der Alternative zu Rausch, Hingabe, Selbstaufopferung. Wie sähe Sentas Leben ohne Holländer aus? Spießige Abende mit Erik im Knöpfpullunder unter quastenbeschirmter Stehlampe? Als Holländer, Daland und Senta plötzlich friedlich "Mensch ärgere dich nicht" spielen und man sich fragt, wie der Regisseur das hier zu Ende bringen will, wird es der Barmänner-Gang und dem düpierten Erik zu viel – die Lage eskaliert. Senta wird dem Holländer dennoch treu sein bis in den Tod – in dieser Inszenierung aber eben auf ganz andere Art. . .
Musikalisch besteht dieser "Holländer" aus Licht und Schatten. Während auf der Bühne alle mindestens überzeugen, ist davor, also im Graben, Luft nach oben. Technische Unschärfen werden sich bestimmt in späteren Vorstellungen geben. Schwerer wiegt, dass Generalmusikdirektor Philippe Bach nicht so recht an die Magie der Partitur zu glauben scheint. Er lässt klassizistisch musizieren, äußerer und innerer Aufruhr sind lediglich dargestellt, nicht ausgelebt. Denkt man an die Urgewalten, die Oksana Lyniv diesen Sommer in Bayreuth entfesselte, bleibt dieser "Holländer" hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Shin Taniguchi ist ein wunderbar herrischer Holländer, sein Bariton mächtig und glasklar. Lena Kutzners Senta bildet den warmen, verbindlichen Gegenpol, hochdifferenziert setzt sie ihren ausgesprochen flexiblen Sopran ein. Tomasz Wijas Daland ist angemessen korrupt, Rafael Helbig-Kostkas Steuermann unterhaltsam wuselig. Und Michael Siemon gibt mit unheldischem, dennoch durchsetzungfähigem Tenor einen egozentrischen Erik am Rande des Nervenzusammenbruchs.
Weitere Vorstellungen: 23. Oktober, 1. und 6. November, 29. Dezember, 10. März. Kartentelefon (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de