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WÜRZBURG
Das Schweigen über Großvater Wladislaus
Eva Brönner, Konzertcellistin, mit Dokumenten und Fotos über ihren Großvater Wladislaus von Krajewski. Sie wurden von ihrem Vater in dem alten Koffer aufbewahrt.
Foto: Christine Jeske | Eva Brönner, Konzertcellistin, mit Dokumenten und Fotos über ihren Großvater Wladislaus von Krajewski. Sie wurden von ihrem Vater in dem alten Koffer aufbewahrt.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:43 Uhr

Eines Tages tauchten die Fragen auf. Sie kamen Eva Brönner in den Sinn, als ihre Familie größer wurde. Bei Familienfeiern sitzen Oma und Opa ihrer Kinder mit am Tisch. Als die Konzertcellistin klein war, hat sie das nie erlebt. Ihre Großeltern waren nicht da.

„Das ist mir erst so richtig bewusst geworden, als ich selbst eine Familie hatte. Zuvor war ich einfach viel zu sehr mit meinem Leben beschäftigt“ – mit dem Studium, der Leidenschaft für die Musik, für das Cello und mit dem Entschluss, in Deutschland zu bleiben, in der Heimat ihres Mannes, erzählt die Musikern.

Ein alter Koffer voller Dokumente und Fotos

Eva Brönner kommt aus Prag. Dort lebt ihr Vater. Vor fünf Jahren fragte sie ihn nach seinen Eltern und wo deren Grab sei. Ihr Vater gab ihr keine langen Erklärungen, sondern einen alten Koffer. Darin bewahrte er Dokumente und Fotos auf. Eva Brönner hatte nichts von diesen Unterlagen gewusst.

Von da an hatte ihr Großvater ein Gesicht – aber noch keine Lebensgeschichte. Die ist kurz. Als Eva Brönner sich näher mit dem Inhalt des Koffers beschäftigte, war sie geschockt: Ihr Großvater Wladislaus von Krajewski ist im Konzentrationslager Dachau gestorben. Das war genau vor 75 Jahren – am 23. April 1943. Er wurde nur 28 Jahre alt.

Das KZ Dachau bestand bereits ab März 1933

Kein anderes KZ bestand länger als das in Dachau. Bereits ab 22. März 1933 wurden dort politische Gegner der Nationalsozialisten inhaftiert, später auch Kriegsgefangene, Juden, Priester, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Emigranten. Obwohl es kein Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka war, wurden dort tausende Menschen getötet – durch medizinische Experimente, katastrophale Lebens- und Arbeitsbedingungen oder willkürliches Erschießen. Das KZ-Gelände war rechtsfreier Raum.

Der zweite Kommandant war ab Juni 1933 Theodor Eicke. Er entwickelte Dachau zu einem Musterlager, ließ dort SS-Männer zu Mördern ausbilden. Dass der Nazi dort überhaupt sein Unwesen treiben konnte, hatte er einem Würzburger Psychiater zu verdanken.

Ins KZ wegen der Verbindung zu einer Deutschen

Als Eicke wegen Querelen mit einem Vorgesetzten im März 33 in die Würzburger Nervenklinik eingewiesen wurde, bescheinigte ihm der Arzt Werner Heyde, dass er seelisch gesund sei und keine abnorme Persönlichkeitsveranlagung habe. Beide Männer machten daraufhin Karriere: Eicke in Dachau und kurz darauf als Inspekteur aller Konzentrationslager; Heyde, der schnell in die SS eintrat, in Würzburg im Rassenpolitischen Amt und später in Berlin als Obergutachter der NS-„Euthanasie“-Aktion T4. Über 100 000 Menschen soll der Psychiater in den „Gnadentod“ geschickt haben.

Eva Brönner vermutet, dass ihr Großvater ins KZ kam, weil er als Pole auch mit einer Deutschen ein Kind hatte. Das galt als „Rassenschande“. Er lebte ab den späten 1930er Jahren in Berlin. Auf einem Dokument vom Mai 1940 hat ein Sippenforscher des Reichssicherhauptamtes die Staatsangehörigkeit von Wladislaus Krajewski geprüft. Im Februar 1941 kam er nach Sachsenhausen, im November 1942 nach Dachau.

Nach dem Tod der Eltern kam der Vater ins Waisenhaus

Warum hat ihr Vater nie von von seinem Vater erzählt? Auch nicht von seiner Mutter? „Er weiß nicht viel über seine Eltern, als sie aus seinem Leben verschwanden, war er sechs Jahre alt.“ Er kam ins Waisenhaus. Seine Großmutter, Evas Urgroßmutter Sofie, suchte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach ihm und zog ihn auf.

Sofie von Krajewski habe ihrem Enkel nur gesagt, dass seine Eltern im Krieg gestorben seien. Mehr nicht. Keine Einzelheiten. Er habe nie nachgefragt – und wohl auch die Dokumente im Koffer nicht gelesen oder deren Inhalt nicht wahrhaben wollen. Eva Brönner erinnert sich noch genau, was sie empfand, als ihr Vater ihr den Koffer in die Hand drückte. „Ich hatte das Gefühl, er hat sich von einer Last befreit.“

Holocaust-Überlebende erzählen oft ihren Kindern nichts

Wollte er nicht wissen, wie seine Eltern gestorben sind? Eva Brönner zuckt mit den Schultern. Sie weiß es nicht, ihr Vater redet nicht darüber. Vielleicht hat er das Familiengeheimnis gewusst, wollte sich aber nicht damit auseinandersetzen.

Oft herrscht in Familien, die von traumatischen Ereignissen heimgesucht worden sind, dieses Schweigen. Holocaust-Überlebende erzählen ihren Kindern nichts. Auch in Nazi-Täter-Familien wurde die Zeit vor 1945 meist ausgeklammert. Oft brechen erst Enkel das Tabu, stellen Fragen. „Meist zu spät“, bedauert Eva Brönner.

Auch die Großmutter starb jung – vermutlich als Zwangsarbeiterin

Sie sucht weiter nach Spuren ihrer Vorfahren. Mittlerweile weiß sie, dass auch ihre Großmutter nur 28 Jahre alt wurde. Sie starb ebenfalls 1943, in Kiel. „Wahrscheinlich war sie dort als Zwangsarbeiterin eingesetzt.“ Das war selbst Eva Brönners Vater nicht bekannt.

Wenn sie von ihrem Großvater erzählt, glitzern ihre Augen. Sie ist traurig, weil sie ihn nicht kennenlernen durfte. Sie vermisst ihn schmerzlich, seit sie sein Foto aus dem Koffer und seine Geschichte in ihr Leben geholt hat.

Die Angehörigen der Opfer fühlen sich wie eine große Familie

Über den Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen erfuhr sie, wo und an was er gestorben ist – angeblich an Herz-Kreislauf-Versagen bei offener Tuberkulose. Seither war sie drei Mal in der Gedenkstätte Dachau – immer am Jahrestag der Befreiung am 29. April. Eva Brönner weiß, dass in Dachau medizinische Experimente – oft mit tödlichem Ausgang – an Menschen durchgeführt wurden. Sie hofft, dass dies nicht die Todesursache ist.

Die professionelle Musikerin spielte in Dachau vor dem Krematorium, suchte dort nicht nur die Nähe zu ihrem Großvater, sondern spürte sie auch zu den anderen Angehörigen und Überlebenden. „Wir fühlen uns dort wie eine große Familie, wir weinen zusammen, nehmen uns in den Arm.“

Ein Konzert zu Ehren des ermordeten Großvaters

Eva Brönner will ihre Familiengeschichte nicht verstecken oder verschweigen. „Ich finde es wichtig, dass die Opfer nicht vergessen werden – gerade in Zeiten wie jetzt“ – wo Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wieder ihre hässliche Fratze zeigen.

Heuer spielt Eva Brönner nicht in Dachau, sondern in Würzburg. Zusammen mit dem Prager Pianisten Adam Skoumal gibt sie am 29. April im Shalom Europa ein Konzert. Beginn ist um 19 Uhr. Auf dem Programm stehen Werke von Dvoøák, Mendelssohn Bartholdy, Bruch und Grieg. Eva Brönner hat sie bewusst ausgewählt: Anton Dvoøáks „Waldesruhe“ etwa, weil dieser das Stück für sogenannte Abschiedskonzerte vorgesehen hatte, Felix Mendelssohn Bartholdys Sonate op. 45, weil die Musik des Komponisten während des Nationalsozialismus verboten war und Max Bruchs Kol Nidrei, weil das Stück hebräische Melodien aufgreift, die zu Yom Kippur erklingen, dem höchsten jüdischen Festtag.

Vorverkauf im Falkenhaus in Würzburg. Abendkasse ab etwa 18 Uhr.

 
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