Der holländische Schriftsteller Nico Rost hat die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau vor 70 Jahren miterlebt. „Es war genau 5.28 Uhr – nach der Uhr der Kommandatur – als das große Tor sich öffnete“, schrieb er am 29. April in sein Tagebuch. Die US-Soldaten öffneten ein Tor zur Hölle. Daran konnte auch der Jubel der ausgezehrten Häftlinge über ihre Befreiung nicht hinwegtäuschen.
Etwa 30 000 haben überlebt. 6887 Gefangene wurden wenige Tage zuvor auf „Todesmärsche“ gen Süden geschickt. Viele starben unterwegs. Wer vor Erschöpfung nicht mehr laufen konnte, wurde erschossen – oder einfach am Wegesrand liegen gelassen. Über 40 000 Menschen sollen laut Schätzungen von Historikern im KZ Dachau gestorben sein.
Im Lager lösten die hygienischen Bedingungen, die ausgemergelten Überlebenden und der Anblick von rund 1000 ermordeten Menschen auf Waggons eines Zuges, der kurz zuvor aus dem KZ-Buchenwald kam, bei den Befreiern Entsetzen aus. Ein amerikanischer Unteroffizier ließ auf das noch anwesende Wachpersonal schießen. Er habe „die Nerven verloren“, sagt der Berliner Historiker Wolfgang Benz.
Erst nach und nach wurde das ganze Ausmaß der Vernichtungsmaschinerie bekannt: die Gaskammern, Foltermethoden, die bewusste Entmenschlichung. Dachau nimmt innerhalb der Konzentrationslager eine Schlüsselrolle ein. „Die Umsetzung der nationalsozialistischen Theorien in blutige Realität“ nahm dort ihren Anfang, schreiben Wolfgang Benz und die frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte, Barbara Distel, in einem geschichtlichen Abriss. Mit ausgedacht hat sich das KZ-System der fanatische Nazi Theodor Eicke, ab Ende Juni 1933 Kommandant in Dachau, kurz darauf Inspekteur der Konzentrationslager und später Führer der SS-Totenkopfverbände.
Die ersten Gefangenen kommen am 22. März 1933 nach Dachau. Am 11. April übernimmt die SS die Bewachung. Am 12. April gibt es die ersten Opfer. Zu ihnen gehört Arthur Kahn aus Gemünden, ein Würzburger Medizinstudent. Während in Dachau die ersten Morde geschehen, befindet sich SS-Oberführer Theodor Eicke aus Ludwigshafen als „Schutzhäftling“ zur Beobachtung in der Nervenklinik der Universität Würzburg in der Füchsleinstraße. Historiker Niels Weise, bis 2013 Lehrbeauftragter an der Uni Würzburg, hat die SS-Karriere Theodor Eickes in seiner Doktorarbeit erforscht, ebenso dessen Bedeutung für den Aufbau des KZ-Systems und der Waffen-SS. Auch die Patientenakte Eickes, die sich im Archiv des Würzburger Universitätsklinikums befindet, konnte Weise einsehen.
Theodor Eickes Aufenthalt in der Nervenklinik dauert vom 24. März bis zum 3. Juni. Vor seiner Einlieferung hat der als rabiat und rücksichtslos geltende Eicke Ärger mit dem Gauleiter der Pfalz, Josef Bürckel. Dieser soll im März 1933 kurzerhand Eickes Einweisung in die Würzburger Psychiatrie veranlasst haben. Dort kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung. Eicke wird von Werner Heyde betreut, der einige Jahre später als medizinischer Leiter des NS-„Euthanasie“-Programms T4 Karriere macht.
In Bittbriefen aus Würzburg an SS-Chef Heinrich Himmler versucht Eicke seinen Ruf zu retten. Heyde unterstützt ihn und informiert am 22. April 1933 Himmler, dass es bei Eicke keinerlei Anzeichen einer Geistes- oder Gehirnkrankheit oder abnormalen Persönlichkeitsveranlagung gebe. Wenige Tage später tritt Werner Heyde auf Empfehlung Eickes in die NSDAP ein. Eicke wird Kommandant des Konzentrationslagers Dachau und baut die „Mörderschule der SS“ auf.
Die Ausbildung soll aus dem künftigen KZ-Personal harte Männer machen, die kein Mitleid mit den Häftlingen kennen. Innerhalb der SS-Gruppe hält „Papa Eicke“ die „Kameradschaft“ hoch. Zu seinen Schülern zählen zum Beispiel Rudolf Höß (Kommandant von Auschwitz) und Josef Kramer (Kommandant von Birkenau). Wäre Eicke nicht am 26. Februar 1943 an der Ostfront umgekommen, hätte er auf dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher sicher eine hohe Strafe erhalten. Mit Informationen von DPA