
Eines der schönsten Lieder überhaupt ist "Mondnacht" von Robert Schumann zu diesem wunderbaren Gedicht von Joseph von Eichendorff: "Es war als hätt' der Himmel die Erde still geküsst ..." Thomas Quasthoff hat dieses Lied gehasst, sagt er: "Es hat mich viele Stunden meines Lebens gekostet, das vernünftig zu singen", erzählt er beim Meisterkurs im Rahmen des Festivals Lied im Würzburger Toscanasaal.
Ein solcher Spruch ist typisch für Quasthoff, der Ironie ebenso liebt wie knackige Ansagen. Und vermutlich in zweierlei Hinsicht nicht ganz wörtlich zu nehmen: Gehasst hat der große Bariton das Lied sicher nicht. Sonst hätte er es nicht so unvergleichlich schön gesungen. Und dass er "Stunden" daran gearbeitet hat, ist vermutlich untertrieben. Sonst könnte er es heute nicht so fundiert unterrichten.
Und dabei der Mezzosopranistin Nina Schumertl und ihrer Klavierpartnerin Amelie Warner so wertvolle Tipps geben: "Sie wollen jede Note gestalten, das ist ganz toll. Aber manchmal ist die Linie wichtiger." Schumertls und Warners "Mondnacht" hatte zuvor schon viel Atmosphäre gehabt, doch nun liegt die nächtliche Landschaft des Lieds tatsächlich in sanft schimmerndem Mondlicht.
Quasthoff ist beim Liedfestival n zwei Rollen zu erleben: als Lehrer und als Sprecher
Thomas Quasthoff, 63, singt seit zwölf Jahren keine Klassik mehr. Zuvor hatte er viele Jahre zu den gefragtesten Konzert- und Liedsängern weltweit gezählt. Heute unterrichtet er Gesang als Professor in Berlin und auf Meisterkursen, singt Jazz und tritt als Rezitator auf. So ist er im Rahmen des Würzburger Liedfestivals in zwei Rollen zu erleben: als Lehrer und als Sprecher.

"Es handelt sich hier nicht um die Musik zu einem Abenteuerfilm, sondern um eine Predigt." Noch so ein Quasthoff-Spruch. Gemeint ist die Klaviereinleitung zu "Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh" aus den "Vier ernsten Liedern" von Johannes Brahms, die Eun Chong Park am Flügel deutlich zu rustikal geraten ist. Auch als Bariton Jaeyoung Lee, dessen Stimme Quasthoff noch sehr loben wird, in stämmigem Forte einstimmt, unterbricht der Lehrer: "Leute! Keine rohe Gewalt!"
Der Lehrer Thomas Quasthoff lobt und ermutigt viel, wird aber auch deutlich, wo es nötig ist. Wenn Mezzoforte gesungen und gespielt wird, wo in der Partitur Piano steht. Wenn Tempi zu schnell oder zu langsam sind. Wenn unwichtige Nebensilben betont werden. Wenn Töne von unten her angesungen werden: "Wirklich - das macht man gar nicht."

Seine Vorschläge sind sofort umsetzbar. Etwa, an bestimmten Stellen lieber nicht zu atmen, um den Fluss der Musik nicht zu unterbrechen. Oder auf den Sitz der Stimme zu achten: "Passen Sie auf, dass Sie nicht mit Druck auf den Kehlkopf singen. Sie sind jung, die Stimme kann das kompensieren. Aber das wird nicht immer so bleiben."
Eine ganz eigene Welt der Klarheit und des Ausdrucks
Doch so hilfreich seine verbalen Anmerkungen sind, wenn er eine Passage oder auch nur einen Ton vorsingt, tut sich augenblicklich eine ganz eigene Welt der Klarheit und des Ausdrucks auf. Dann wird im Kleinen deutlich, worin die große Kunst des Thomas Quasthoff lag und liegt: In dieser Verbindung aus Natürlichkeit und hellwacher Gestaltungskraft. Und natürlich dieser unverkennbaren Stimme, die er schon mal mühelos und zum Vergnügen aller im Saal in tiefste Tiefen hinabgleiten lässt. Auf das unwillkürliche "Wow!" von Kursteilnehmer Jaeyoung Lee antwortet er grinsend: "Ich muss doch auch mal zeigen, wo der Hammer hängt."

Der Rezitator Quasthoff tut im Grunde nichts anderes als der Sänger Quasthoff: Er stattet jeden Satz mit Sinn, Emotion und - wo nötig - einer Prise sanfter Ironie aus. Im Liederabend mit Brahms' "Die schöne Magelone", einer hochromantischen Ritter-liebt-Königstochter-Abenteuergeschichte von Ludwig Tieck nach mittelalterlicher Vorlage, ist er der Erzähler, Bariton Tobias Berndt übernimmt die 15 eingestreuten Lieder, Alexander Fleischer die Klavierstimme.
Warum Berndt, Fleischer und Quasthoff zusammenarbeiten, wird nach wenigen Tönen klar: Sie sind sich in Sachen Klarheit und Ausdruck beglückend einig. Tobias Berndts kraftvoller Bariton umfasst alle Register von bassartiger Dunkelheit bis hinauf zu heldentenoralem Strahlen. Er setzt ihn ebenso hochdifferenziert wie leidenschaftlich ein und ganz im Sinne des Komponisten gelegentlich auch gegen die oft fiebrig dahineilende Klavierstimme, die Festivalintendant Alexander Fleischer zu einem ganz eigenen Ereignis macht.
Ein sehr schöne "Schöne Magelone", die das Publikum im gut besuchten Toscanasaal mit langanhaltendem Jubel honoriert.
Das Festival Lied Würzburg läuft noch bis 19. März. Nähere Informationen unter www.festival-lied-wuerzburg.de