Das Wetter bei der Premiere der „Rocky Horror Show“ am Freitagabend bei den Clingenburg Festspielen passt perfekt zum Stück: Es ist eine stürmische, kalte und regnerische Nacht als Brad Majors (souverän gesungen von David Wehle) und Janet Weiss (großartig Pamina Lenn) eine Reifenpanne haben und an der Pforte eines abgelegenen Schlosses um Hilfe bitten.
„Science Fiction/Double Feature“: Als die altbekannten Klänge aus Richard O‘Briens Kultmusical erklingen, wird so manchem Zuschauer trotz Regenmantel warm ums Herz. Dass die Hälfte der Zuschauer eingefleischte Fans sind, wird gleich zu Beginn klar: Sie werfen bei der Hochzeit Konfetti (Reis ist verboten), halten sich beim Gewitter brav eine Zeitung über den Kopf, mit den Wasserpistolen brauchen sie gar nicht zu spritzen, es kommt ja genug Regen von oben.
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Die „Rocky Horror Show“ ist auch fast 50 Jahre nach ihrer offiziellen Premiere die Mutter aller Mitmachshows. Regisseur Dirk Böhling hält sich bei seiner Inszenierung auf der Clingenburg brav ans Original – sehr zur Freude der hartgesottenen Fans. Die andere Hälfte des Publikums ist etwas irritiert, als schon beim vierten Song viele Zuschauer – die teils auch in Lack, Leder und Strapsen gekommen sind – aufstehen und den „Time Warp“ tanzen. „It’s just a jump to the left...“ Für die Musik sorgt eine fünfköpfige Band, zu der auch Erzähler Tilmann Rose an den Keyboards zählt. Schnell wird klar, wer Spaß am Mitsingen und -tanzen hat, ist hier auf jeden Fall richtig.
Klopapierrollen fliegen auf die Bühne
Mit Strapsen und Stöckelschuhen präsentiert dann Dr. Frank N. Furter (Denis Fischer) vom Planeten Transsexual aus der Galaxie Transylvania seine bisher größte Schöpfung: Das blonde und muskelbepackte Retortenwesen Rocky (geht gut ab: Marvin Rehbock). Denis Fischer macht seine Sache gut, aber mit seinen weißblonden nach hinten gegelten Haaren ähnelt er Tim Curry aus der Verfilmung kein bisschen. Hier entfernt sich der Regisseur doch vom Original. Das Publikum wirft nun Klopapierrollen nach vorne auf die Bühne, wie es sich bei der Geburt von Rocky eben gehört.
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„Langweilig“ tönt es immer wieder aus den Zuschauerrängen, und das ist nicht als Beleidigung für Stück und Akteure gedacht, sondern gehört ebenfalls zum Kult und peitscht das wilde Treiben voran. Auf der perfekt ausgeleuchteten Naturbühne erzeugen die stimmgewaltigen Darsteller von der ersten Sekunde an mühelos die laszive Stimmung des Raumschiffs in Form eines alten Schlosses voller außerirdischer Schauergestalten mit Federboas, Strapsen und Korsagen irgendwo mitten im Wald in einer stürmischen Regennacht. Nach jeder Erwähnung des Namens Janet wird laut „Weissss“ gerufen.
Let's do the Time Warp again
Reizwäsche und etwas drastischere Szenen schockieren heute in Zeiten von „Shades of Grey“ oder „Game of Thrones“ niemand mehr. Trotz Regens ist das Publikum auch nach der Pause ausgelassen fröhlich. Die schräge Mischung aus Travestieshow und Gruselfilmparodie lebt davon, dass das Publikum ein Teil der Show ist. Braucht man also die Fanbag für zusätzliche sechs Euro? Ja unbedingt. Denn was wäre die „Rocky Horror Show“ ohne Konfetti, Wasserspritzpistolen, Klopapier, Schwämmchen und Knicklicht? Die Kulisse der Burgruine passt perfekt zu dieser wilden Stimmung. Nach zweieinhalb Stunden verlassen die Zuschauer durchgefroren, aber mit Konfetti im Haar und massiven Ohrwürmern im Kopf die Clingenburg: Also: Netzstrümpfe einpacken, Wasserpistole auffüllen, „Let’s do the Time Warp again“.
Die "Rocky Horror Show" läuft bis Samstag, 10. August, bei den Clingenburg Festspielen. Die nächsten Aufführungen sind am Freitag, 14. Juni, und Samstag, 15. Juni, jeweils um 20 Uhr.