Schon die Ankündigung von Moderator André Kessler hat es in sich: "Er sagt von sich selbst, er habe die Ausstrahlung eines Kühlschranks." Und eines seiner Lebensmottos sei: Auf die Fresse geben ist besser, als auf die Fresse bekommen. Wolfgang Kubicki, stellvertretender Parteivorsitzender der FDP und Bundestagsvizepräsident, ist nicht gerade für seine Zurückhaltung bekannt. Die Beschreibung des diesmal in der Rolle des Autoren auftretenden Politikers mag übertrieben klingen – aber eigentlich fasst sie den Abend beim MainLit-Literaturfestival im Gut Wöllried bei Würzburg gut zusammen.
Nachholtermin der Lesung im Vorjahr
Der ist geprägt von einem locker plaudernden, die üblichen überheblichen Sprüche klopfenden Kubicki und einem Moderator Kessler, der auf halber Strecke wirkt, als wüsste er nicht, was er als nächstes fragen soll. Zwischendurch liest Kubicki aus seinem Buch "Sagen, was Sache ist!", das 2019 erschienen ist. Das autobiografische Werk streift Kindheit und drei Ehen, beschäftigt sich aber vor allem mit einem langen politischen Leben, in dem eigene Fehler - Kubickis Selbstwahrnehmung zufolge - selten vorkamen. Mit der Lesung holt Kubicki den ausverkauften Termin vom vorigen Jahr nach, der coronabedingt ausfiel.
Eineinhalb Stunden lang kokettiert der Politiker etwa damit, wie viel Alkohol er in der Sauna verträgt, dass er Abgeordneten der AfD im Bundestag schon Schläge angedroht habe, wie ruppig, ehrlich und norddeutsch er ist. Das Programm wird nicht interessanter durch die mehrfache Wiederholung des von vielen Menschen als verletzend empfundenen Synonyms für Schaumkuss, oder die Aussage, die Pause beim Aussprechen von Gendersternchen habe er anfangs für eine Sprachstörung gehalten. Das ist nach 20 Minuten langweilig. Nichts an diesen Provokationen ist neu oder einfallsreich. Ins Absurde rutscht der Abend, als Kubicki über Jugendprügeleien sinniert und feststellt, eine Schelle vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wäre eine "echte Herausforderung".
Wer abstrakt bleibt, eckt nicht an
Interessanter wird es, wenn der Liberale durchkommt, der gleich viel ruhiger spricht. Und der die Ausgangssperren kritisiert, oder beklagt, dass sich Menschen wegen Shitstorms (die bekanntlich aus allen Lagern kommen können) aus Diskussionen zurückziehen – was ein Demokratieproblem darstelle. Doch wer sich wie Kubicki auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit beruft, geht nur ein geringes Risiko ein, anzuecken und aufzufallen. Der bleibt abstrakt und muss sich mit realen Umsetzungsproblemen nicht beschäftigen. Vielleicht sind die ruhigeren Teile des Abends deshalb so kurz.
Politischer wird es im Gespräch mit dieser Redaktion dann nach der Show. Kubicki forderte zuletzt unter anderem in der "Bild am Sonntag" das Ende der Maskenpflicht, für die keine rechtliche Grundlage mehr bestehe. War die Maskenpflicht im Unterricht überhaupt angemessen? "Das wage ich zu bezweifeln, weil wir seit geraumer Zeit wissen, dass Infektionen von Kindern keine schweren Verläufe und keine Todesfälle nach sich ziehen", sagt Kubicki. Wenn sich Kinder doch ansteckten, könnten Ältere ja FFP2-Masken tragen, um sich selbst zu schützen. Eine absurde Vorstellung angesichts des Zusammenlebens von Familien, häufig in beengten Verhältnissen.
Gegen Ausgangssperren polemisiert der FDP-Politiker bereits auf der Bühne, andere Maßnahmen bewertet er im Gespräch mit dieser Redaktion jedoch als angemessen. Letztlich kommt es dabei für Kubicki aber immer auf das geltende Recht an, also das Infektionsschutzgesetz. "Die Rechtsgrundlagen waren für die Maßnahmen komplett da", sagt er. Schiebt aber nach: "Auch wenn sie in 160 Fällen nach Auffassung von Obergerichten rechtswidrig waren, weil unverhältnismäßig." Ganz so einfach ist es mit der Rechtsgrundlage also nicht, denn hinter Gesetzen stehen auch immer Menschen, die zwischen Risiko und Verhältnismäßigkeit abwägen müssen. Menschen, die auch Fehler machen.
Das beste Versteck für den jungen Kubicki: die Hundehütte
Am Abend im Hof des Guts Wöllried liest Kubicki vor allem aus Kapiteln über sein Privatleben, die nur einen kleinen Teil des Buchs ausmachen. Es geht um seine dritte Ehe, den bullerbümäßigen Wohnort Strande in Schleswig-Holstein - und die Hundehütte, in der er sich als Kind versteckte, wenn er keine Lust auf die Anweisungen seiner Eltern hatte. Was Kubicki privat von sich preisgibt, wirkt wohl dosiert. In erster Linie will er an diesem Abend unterhalten. Nur wenn er von seiner Frau spricht, wirkt er auf einmal ganz zahm.
Nach eineinhalb Stunden hat man das Gefühl, zwei Kubickis zu kennen: Den Derwisch, der sich an der Provokation freut, und den deutlich ruhigeren Politiker, der vor dem Verlust der Freiheit warnt. Die beiden vereint der Trotz und die Lust am freien Leben. Es ist Kubicki nach wie vor zuwider, wenn andere ihm sagen, was er zu tun hat. Nur versteckt er sich heute nicht mehr in einer Hundehütte. Ist seine Bissigkeit eine Flucht nach vorne? Seinen Kühlschrank-Charme – kantig im Ausdruck, glatt in der Argumentation – weiß Kubicki jedenfalls einzusetzen.