
Krass! Nein, voll krass. Der Hammer. Der Wahnsinn. Wie soll man's auch anders beschreiben, was da auf der Bühne geboten ist. Sophokles’ Tragödie über das Schicksal der Antigone ist ja nun nicht gerade humorverdächtig und kein Werk der Kategorie heitere Unterhaltung. Aber wenn der Kabarettist und Musiker Bodo Wartke, bekannt im Land durch seine Klaviersdelikte, dieses antike Mach(t)werk in die Hand nimmt und den Text . . . also, ums abzukürzen: Gewitzter, unterhaltsamer, frischer kann man das Drama um Ödipus’ Tochter, die sich in Theben in einem Akt zivilen Ungehorsams dem Bestattungsverbot für ihren Bruder widersetzt und dann eingemauert im Fels mit ihrem Freitod etliche weitere Selbstmorde auslöst, kaum auf die Bühne bringen. Einfach grandios.

Das Gastspiel im Würzburger Mainfranken Theater am Samstag: seit langem ausverkauft. Vor knapp zehn Jahren hatBodo Wartke schon mal „König Ödipus“ in ein freches Ein-Personen-Drama mit 14 Rollen verwandelt. Jetzt hat sich der Wortspieler und Spaßreimer mit Dramaturgin Carmen Kalisch und Regisseur Sven Schütze der 2500 Jahre alten "Antigone“ angenommen. Und mit Schauspielerin Melanie Haupt präsentiert er in über zweieinhalb Stunden netto die komplette Handlung samt Vorgeschichte. Aber wie!
Bodo Wartke: Neun Rollen. Melanie Haupt: 13 Rollen.
Ismene, eine Sprecherin, ein Sprecher, die diversen ehemaligen Interims- und Möchtegern-Könige von Theben, der Seher, das Orakel von Delphi, das sich auf seinem Tempelthron räkelt und dann herumflennt, Wächter, Priester, Boten, Seher . . . . in 20 Rollen schlüpfen und hüpfen Wartke und Haupt, oft mehrfach hin und her in einer Szene. Sie wuppen das Ding. Antigone, deren Name von König Kreon konsequent, aber mit bestechender Argumentation ("man sagt auch Antilópe und nicht Antilopé"), altgriechisch auf dem "o" betont wird, schnoddert frech herum und klappert mit ihrem Vater Ödipus und dem blinden Seher auf Tour nach Athen erst mal quer durch Hellas "nicht zu knapp, sämtliche Sehenswürdigkeiten ab".
Die Sprache: gereimt und urkomisch
Wartke und Haupt rappen, singen, beatboxen, steppen, greifen in die Tasten, zupfen die Klampfensaiten . . . . Slapstick, Blues, Western-Einlagen, Bibelzitate, Anleihen bei Science-Fiction-Filmen - alles, was dem Quietschvergnügen hilft, stecken sie in ihre "Antigone". Und stets sind Mono- und Dialoge frech und knackig gereimt: "Oh, oh, wir sind in der Bredouille". - "Wieso?" - "Patrouille." Selbst, wenn die künstlerischen Freiheiten ein paar Purzelbäume schlagen und Minotaurus eben mal ausnahmsweise statt als halber Stier - weil er eine "Schaftablette" genommen hat - als blökendes wuscheliges Handpuppenschaf zum Fortgang der Handlung beiträgt - Respekt vor dem Tragödienstoff hat diese aberwitzige, fabelhafte Inszenierung dennoch.

Und wenn bei Aristoteles "Mimesis" das Vermögen bezeichnet, mittels einer Geste eine Wirkung zu erzielen - dann schaffen die beiden Schauspieler diese Mimesis scheinbar mühelos. Dass Ariadne kurz den Faden verliert und aus fadenscheinigen Grund kurzzeitig die Bühne verlässt macht nicht fade, sondern gekalauerte Absicht.
Nach der Pause: getragen tragisch
Ernsthafter und getragener geht es in der zweiten Hälfte dann dem Ende zu. Statt mit Comedy und Parodie widersetzt sich Antigone quasi in klassischem Schauspiel den unmenschlichen Gesetzen des Kreon. Als alle tot sind, außer der Tyrann, hocken Wartke und Haupt ratlos am Bühnenboden und lesen auf der Suche nach der Moral mal nach in Sophokles' Original. "Hä?" Ihre eigene Erklärung zum großen Ganzen gibt's dann mit Klavier und Gesang. Bilanz: Ovationen, Jubel, langer Beifall!