84 Lernvideos über das Orgelspielen will der Prof. Christoph Bossert in den nächsten drei Jahren aufnehmen. Der Kirchenmusikdirektor lehrt das Fach Orgel an der Hochschule für Musik Würzburg und hält nun Lektionen, die im Internet Kenntnisse über die Eigenheiten von Orgeln vermitteln – und Musikerpersönlichkeiten heranbilden sollen. Der Kurs überzeugte auch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre, die neue Formen der Lehre mit Bundes- und Ländermitteln fördert. Sie finanziert drei Vollzeitstellen. Mit den jeweils dreiviertelstundenlangen Filmen sei, so Bossert, eine "deutlich stringentere und individuellere" Lehre möglich. Und es werden "neue Prüfungsformate entwickelt".
An einem Augustmorgen tritt der Künstler und Wissenschaftler mit zwei Männern in den dunklen Konzertsaal der Würzburger Musikhochschule. Es ist ihr zweiter Drehtag. Der Kirchenmusik-Student Tyron Kretzschmar assistiert, der hauseigene Toningenieur Jürgen Rummel macht sich Gedanken über das richtige Ansteck-Mikrofon für den Dozenten. Das künftige Team wird aus einem Tonmeister, einer künstlerisch-wissenschaftlichen Assistenz und einem Koordinationsposten bestehen. Schließlich will Bossert die Eigenheiten der Orgelkunst nicht nur an der eigenen Hochschulorgel vermitteln, sondern zu wichtigen Instrumenten Europas reisen. Bossert: "Da sieht man, wie aufwendig dieses Projekt ist."
Auf die kleinsten Details muss man achten. So ruft der Tonmeister dem Musikprofessor zu, er solle sich nicht wie gewohnt von links, sondern von rechts auf die Spielerbank schwingen: "Sonst verheddern Sie sich in den Kabeln." Ein letzter Schluck Wasser – denn der Professor wird gleich eine Dreiviertelstunde lang sprechen. Dann steuert Jürgen Rummel das Aufnahmegerät aus: "Einmal tutti bitte, so richtig furchtbar." Allgemeines Lachen auf der Empore, dann heißt es: "Take sechzehn."
Gern greift Bossert in die Manuale, um seine Ausführungen mit Klangbeispielen zu unterfüttern
Die Vormittagsaufnahme gibt einen Überblick über die ersten elf Lektionen und damit eine gute Einführung. Und sei es durch die Bestätigung einer verbreiteten Ansicht: Das Schaffen Johann Sebastian Bachs war ein Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte der Orgelmusik. Hier bringt der Professor Belege bei. Oder, eine große und bis heute wirksame Neuerung: Nach Martin Luther wurde das Orgelspiel liedhafter, nicht nur weil der Gemeindegesang in der Liturgie eine neue Rolle bekam, sondern aus Respekt vor der menschlichen Stimme.
Gern greift Bossert in die Manuale, um seine Ausführungen mit Klangbeispielen zu unterfüttern. Seine Rede hatte einige Minuten gebraucht, um in Schwung zu kommen. Dagegen ist er beim Orgelspiel jedes Mal gleich vom allerersten Ton an äußerst präsent, mit ganzem Körpereinsatz – nicht übermäßig, aber doch so, als ob es sich aus Becken und Halswirbeln heraus selbst dirigiere.
Hat Jean Paul die Romantik gewissermaßen ausgerufen?
Dabei geht es an diesem Vormittag gar nicht um Rhythmus, sondern um die Registrierkunst, also das Klangfarbenmischen. Welche Bedeutung das hat? Hier erzählt der Künstler von dem "großen Dichter und Philosophen" Jean Paul, der das Verklingen von Kirchenglocken in einer Landschaft beschrieb: "Das Sterben eines Tons löst das romantische Bewusstsein aus." Für Prof. Bossert ist es nun entscheidend, ob mit dieser These die Romantik gewissermaßen ausgerufen wurde oder ob sie ein bereits bestehendes immerwährendes "Urbewusstsein" ausgedrückt habe. Die Antwort auf diese Frage müssten alle Orgelspielenden selbst finden. Sie sei "ein wesentlicher Punkt für die Registrierkunst".
Der Kurs fußt sichtlich in einer soliden künstlerischen Tiefe. Und, trotz aller Bedeutung der Barockzeit: Er begreift sehr vieles vom Romantischen her. Auch und gerade den Johann Sebastian Bach. Genau das haben die Romantiker ja auch getan.