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WÜRZBURG
Musikhochschule: Was die neue Orgel kann
Eineinhalb Jahre hat's gedauert. Nun ist das 2,2 Millionen Euro teure Instrument nahezu fertig. Es klingt beeindruckend, auch dank der guten Akustik des Saals. Was kann die Orgel – und was nicht?
Glänzend: Der Prospekt der neuen Orgel im Großen Saal der Würzburger Hochschule für Musik.
Foto: Ralph Heringlehner | Glänzend: Der Prospekt der neuen Orgel im Großen Saal der Würzburger Hochschule für Musik.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:10 Uhr

Der Saal scheint zu vibrieren – und der eigene Körper schwingt mit. Christoph Bossert hat mit dem linken Fuß ein Pedal getreten. Das aktiviert eine 32-Fuß-Pfeife unter der Deckenverkleidung des Großen Saals der Würzburger Hochschule für Musik. Der Eindruck des extrem tiefen Tons ist gewaltig. Die neue Orgel zeigt, was sie kann. Das 2,2 Millionen Euro teure Instrument ist nahezu fertig. Hatte das Podium vor gut zwei Monaten noch wie eine Werkstatt mit Teilelager ausgesehen, steht heute, rund eineinhalb Jahre nach Baubeginn, nur noch eine einsame Werkbank im Hintergrund.

Bossert, Professor für Orgel und Kirchenmusik, klickt am fahrbaren Spieltisch einige der Kippschalter (er nennt sie „Registerklappen“) nach unten und greift in die Manuale. Sehr fein, sehr leise, sehr durchsichtig und irgendwie jenseitig schweben Töne im Raum. Bossert beugt sich zur Seite. Wieder rastet er Registerklappen ein, die Töne werden greifbar und körperlich. Der Organist addiert Register, schichtet Klänge – bis es in Disco-Lautstärke dröhnt. „Das war fast das volle Werk“, kommentiert der Musiker.

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Ästhetik der Schattierungen

Anders als in der Disco kommt's bei einer Orgel aber nicht auf maximalen Schalldruck, sondern auf die Qualität der Töne an, auf ihre „Farbe“, wie Bossert das nennt. Jede Epoche hat ihre eigene Farbe, die sich unter anderem aus dem jeweiligen Stand der Technik ergibt: Im 17. Jahrhundert wurden Orgeln anders gebaut als 200 Jahre später. Die Instrumente mussten den Anforderungen von Komponisten und Spielern gerecht werden – die wiederum von den Möglichkeiten der Orgel abhängig waren. Und: Der Klang einer Orgel ist immer auch ein Stück weit Zeitgeschmack.

So klingen barocke Orgeln durchsichtig und hell. Sie malen sozusagen klare, eindeutige Farben. Die Töne sprechen sofort an. In der Romantik sei eine „Ästhetik der Schattierungen“ gefragt, erklärt Bossert. Der Ton ist nicht mehr monochrom, er entwickelt sich. Auch das Schwellpedal, mit dem der Spieler Crescendo und Decrescendo erzeugen kann, schattiert den Klang. Barockes wird üblicherweise ohne Schweller gespielt.

Weil aber Epochen nicht punktgenau datierbar sind wie die Sommerferien in Bayern, gibt es Zwischenstufen. Die Instrumente wurden langsam weiterentwickelt. Diese Zwischenstufen, das allmähliche Ineinanderlaufen der Farben sozusagen, kann die Orgel der Musikhochschule darstellen. Als sei sie nicht komplett im 21. Jahrhundert gebaut worden, sondern im Frühbarock – und dann immer wieder erweitert.

Professor Bossert erklärt und demonstriert – dezent klacken die Registerklappen –, wie Epochen, Farben, Musikgeschmäcker ineinander überblenden können. Auf Wunsch geht die Reise auch in die vorbarocke Ära: Raue Töne schnarren aus dem reihenhausgroßen Gehäuse, das links oben über dem Podium angebracht ist: So klang's in der Renaissance.

Das von der Bonner Manufaktur Klais gebaute Instrument schlägt Brücken über die Jahrhunderte. „Ja“, sagt Bossert und lehnt sich auf der Orgelbank zurück, „man kann damit zaubern.“ Jedenfalls in bestimmten Grenzen. Die Musikhochschul-Orgel wurde so disponiert, dass sie manches sehr gut kann. Das sei sinnvoller als ein Instrument, das nahezu alles kann – und nichts davon richtig, findet Christoph Bossert.

„Absolut authentisch“ lasse sich Barockmusik darstellen, sagt der Organist. Das ist wichtig: Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750), der Orgelkomponist schlechthin, lebte in dieser Epoche. Bossert schwärmt: „Barockes macht unglaublich Laune.“ Gespielt wird die Musik von Bach und Zeitgenossen auf den beiden mittleren der vier Manuale. Deren Register – also Farben – ähneln denen der berühmten Bachorgel im thüringischen Arnstadt. Das unterste Manual nennt Bossert ein „Kraftwerk“. Es baue eine Brücke in die Romantik. Und sorge – natürlich – für Farbe.

Und das oberste Manual? Bossert drückt weiße und schwarze Tasten. Zu hören ist nichts. Das Manual ist leer. Hier soll in der zweiten Ausbaustufe die Romantik mit den entsprechenden Registern sitzen. Zweite Ausbaustufe: Das bedeutet gut 800 Pfeifen und 24 Register mehr – mit entsprechend erweiterten Möglichkeiten. Und mehr Farben. In der jetzigen ersten Ausbaustufe kann der Spieler über 3498 Pfeifen und 75 Register verfügen.

Bislang sei außer dem barocken lediglich ein begrenzter „romantischer Fundus“ da, erklärt Bossert. Das taugt für Früh- und Hochromantik. Spätromantisches sei nur eingeschränkt möglich, „da die Pianissimoklänge des dritten Manuals nicht gegen die barocken Klänge in Beziehung gesetzt werden können“. Also: „Wir brauchen die zweite Ausbaustufe und das vierte Manual.“ Erst bei Musik der Romantik macht auch die Proportionaltraktur Sinn. Die ermöglicht, das Ansprechen des Tones zu kontrollieren, und sorgt somit wesentlich für die ab dem 19. Jahrhundert so wichtigen Schattierungen. Dabei kann der Spieler dank einer aufwendigen Elektronik bestimmen, wie schnell sich das Ventil einer Pfeife öffnet – so, als ob man erst leicht, dann immer stärker in eine Flöte bliese. Das System kommt in dieser Form in Würzburg weltweit erstmals zum Einsatz.

Im Sinne eines möglichst breiten Farbspektrums denkt Bossert auch an dynamische Zungenpfeifen. An schwellbaren Zungenpfeifen habe er mit einem Experten schon vor seiner Würzburger Zeit, also vor 2007 in Trossingen geforscht. Würde das verwirklicht, es sorgte nicht nur für ein noch differenzierteres Klangfarbenspektrum – es wäre auch eine weitere Weltneuheit für die Würzburger Orgel.

Besser als in der Kirche

Doch schon in der derzeitigen Ausbaustufe ist die Klais-Orgel ein besonderes Instrument. „Wir staunen alle“, freut sich Bossert, der in seinem Berufsleben schon sehr viele Orgeln kennengelernt hat. Den meisten anderen Orgeln hat das neue Instrument auch den Standort voraus: einen Konzertsaal mit ausgezeichneter Akustik statt einer, meist halligen, Kirche. Das hilft zum Beispiel bei Hauchzartem. In einer Kirche sei Pianissimo fast nicht möglich, ist Bosserts Erfahrung. „Da gibt es immer irgendwelche Geräusche.“ Im Konzertsaal aber erzeuge ein extrem leiser Ton Aufmerksamkeit beim Publikum – und für Spannung. Bossert demonstriert?s. Er sitzt offenbar richtig gerne an der neuen Orgel.

Konzerte an der neuen Orgel

Die neue Klais-Orgel im Großen Saal der Würzburger Hochschule für Musik ist öffentlich erstmals am 27. Oktober zu hören. Um 16 Uhr musiziert Christoph Bossert zur Semestereröffnung mit dem Sinfonieorchester der Hochschule. Um 18.30 Uhr gibt es eine Orgelführung. Das eigentliche Einweihungskonzert spielt Bossert um 19.30 Uhr. Um 21.15 Uhr folgt ein Nachtkonzert mit Studierenden der Orgelklasse – als Teil der Veranstaltungen zum Max-Reger-Jahr.

Zum Auftakt der Meisterkonzerte der Musikalischen Akademie wird Cameron Carpenter am 5. November, 19.30 Uhr, am Spieltisch der Klais-Orgel sitzen. Der 35-jährige US-Amerikaner gilt als Exzentriker unter den Organisten.

Christoph Bossert am Spieltisch.
| Christoph Bossert am Spieltisch.
Vor einem Vierteljahr glich der Saal noch einer Baustelle.
| Vor einem Vierteljahr glich der Saal noch einer Baustelle.
 
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