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Würzburg
Klingt kompliziert, macht trotzdem Spaß anzuschauen: Der Würzburger Kulturspeicher zeigt Konkrete Fotografie
Der Fotokünstler Gottfried Jäger hat 60 Jahre mit Licht, Farbe und allen möglichen fotografischen Medien experimentiert. Die Ergebnisse sind verblüffend und manchmal sogar lustig.
Gottfried Jäger: 'Die herkömmliche Fotografie holt die Realität von außen in den Apparat, ich hingegen schaue von außen in den Apparat hinein, um zu sehen, was dort los ist. Und es ist eine Menge los.'
Foto: Thomas Obermeier | Gottfried Jäger: "Die herkömmliche Fotografie holt die Realität von außen in den Apparat, ich hingegen schaue von außen in den Apparat hinein, um zu sehen, was dort los ist. Und es ist eine Menge los."
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 25.06.2023 03:06 Uhr
  • Was ist das für eine Ausstellung? Das Würzburger Museum im Kulturspeicher zeigt unter dem Titel "Fotografien der Fotografie - Generative Systeme 1960 bis 2020" Arbeiten des Fotokünstlers Gottfried Jäger, Jahrgang 1937. Jäger gilt als Mitbegründer der Konkreten Fotografie.
  • Was hat man sich darunter vorzustellen? Die Konkrete Fotografie bildet nicht konkrete Objekte wie Menschen, Bäume oder Tiere ab, sondern macht das Medium selbst, also die Fotografie, zum Bildthema. Das können Lichteffekte auf Fotopapier sein oder das Spiel mit dem Fotopapier selbst.
  • Für wen ist die Ausstellung interessant? Gottfried Jägers Arbeiten über sechs Jahrzehnte sind überraschend vielfältig. Es gibt Serien, die auf rationaler, beinahe wissenschaftlicher Basis die Welt von Licht und Farbe erkunden, und andere, humorvolle, die die Betrachtenden geradezu foppen.

Es hört sich kompliziert an. Schon der Ausstellungstitel "Generative Systeme" ist alles andere als selbsterklärend. Und tatsächlich muss man erstmal auf all die Dinge kommen, die Gottfried Jäger, geboren 1937 in Burg bei Magdeburg, im Laufe seines langen Künstlerlebens erkundet, erfunden und geschaffen hat. Er selbst formuliert es so: "Die herkömmliche Fotografie holt die Realität von außen in den Apparat, ich hingegen schaue von außen in den Apparat hinein, um zu sehen, was dort los ist. Und es ist eine Menge los."

Positiv/Negativ: Gottfried Jäger arbeitet gerne mit Gegensatz-Paaren.
Foto: Thomas Obermeier | Positiv/Negativ: Gottfried Jäger arbeitet gerne mit Gegensatz-Paaren.

Besucherinnen und Besucher der soeben eröffneten, von Henrike Holsing kuratierten Gottfried-Schäfer-Retrospektive im Würzburger Museum im Kulturspeicher werden schnell begreifen, was der Künstler damit meint. 60 Jahre Experiment, Forschung und nicht zuletzt Spiel haben ein Werk von großer Vielfalt entstehen lassen - rätselhaft regelmäßige Muster, den Betrachter nahezu anspringende Ausbrüche, zutiefst harmonische Farbereignisse.

Wie kann man die Fotografie aus ihrer dokumentarischen Funktion lösen?

Gottfried Jäger hatte, wie sein zeitweise im Würzburger Fotostudio Gundermann tätiger Vater Ernst Jäger, eine Fotografenlehre abgeschlossen, seinen Meister gemacht und ein Diplom-Studium in Köln draufgesattelt. Schon mit 23 wurde er Lehrer an der damaligen Werkkunstschule (heute FH) Bielefeld, auch dort anfangs mit dem klaren Fokus auf klassischem Fotohandwerk. 

Hier nun fing er an, sich für neue Perspektiven zu interessieren. Etwa wie sich die Fotografie aus ihrer dokumentarischen Funktion lösen könnte. Das Ziel war, das reine Abbilden hinter sich zu lassen und "etwas zu erzeugen, das aus sich heraus etwas erzeugt" - daher der Begriff Generative Fotografie, den Jäger später dafür prägte.

Thema mit Variationen: Aus einer winzigen Keimzelle - hier ein gezacktes Stück Metall, das die Grundform lieferte - entwickelt Gottfried Jäger immer wieder ganze Werkreihen. 
Foto: Thomas Obermeier | Thema mit Variationen: Aus einer winzigen Keimzelle - hier ein gezacktes Stück Metall, das die Grundform lieferte - entwickelt Gottfried Jäger immer wieder ganze Werkreihen. 

Jäger fing an zu experimentieren. "Die Technik habe ich beherrscht, die Kunst war der ferne Horizont." Schließlich wurde – wie bei den Konkreten Malerinnen und Malern – das Bild zum Bildgegenstand selbst. Die sogenannten Fotogramme etwa sind Aufnahmen ohne Kamera. Sie entstanden, indem Objekte in der Dunkelkammer direkt auf Film oder Fotopapier belichtet wurden. Das konnte ein Pflanzentrieb, ein Stück Metall oder eine Flüssigkeit sein – das Licht schuf die verblüffendsten Formen.

Aber das Ergebnis, das einzelne Werk, hat immer "eine innerbildliche Realität"

Den meisten Arbeiten liegen rationale Versuchsanordnungen zugrunde, ausgestellt ist sogar das Schaubild "Entscheidungsstufen beim Aufbau modifizierter Lochblendenstrukturen", das Jäger 1967 für seine Studierenden schuf. Und es hilft auch, wenn Besucherinnen und Besucher wissen, wie die Bilder entstanden. Die erwähnten Lochblendenstrukturen etwa, indem Gottfried Jäger Licht durch zwei hintereinander geschaltete, unterschiedlich gelochte Blenden schickte.

Die Lochblendenstrukturen (im Hintergrund)  gehören zu Gottfried Jägers bekanntesten Werkreihen.
Foto: Thomas Obermeier | Die Lochblendenstrukturen (im Hintergrund)  gehören zu Gottfried Jägers bekanntesten Werkreihen.

Aber das Ergebnis selbst, das einzelne Werk, hat immer "eine innerbildliche Realität", wie der 86-Jährige sagt. Es lädt ein, sich zu versenken, zu verlieren oder auch, im Gegenteil, sich selbst zu beobachten, etwa beim unausweichlichen Reflex des Bewusstseins, aus den Formen Gegenständliches herauszuschälen. Das ist bannend, unterhaltsam und gelegentlich sogar lustig. Etwa wenn Gottfried Jäger ein Stück Wand durch vier überdimensionale "Fotoecken" einfach zum Bild macht. "Sie können sich da selbst etwas hineindenken. Oder auch nicht", sagt er.

Museum im Kulturspeicher Würzburg: "Gottfried Jäger - Fotografien der Fotografie - Generative Systeme 1960 bis 2020". Bis 10. September. Di. 13-18 Uhr, Mi. , Fr.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr.

 
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