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Das gespenstische Licht
Verblüffend: Wenn Sie fotografieren, sollten Sie den Auslöser mit Ehrfurcht drücken. Denn Sie arbeiten mit Licht – und damit mit Grundbausteinen des Universums. Die Geschichte eines erstaunlichen Phänomens.
Licht als Hauptdarsteller: In Gottfried Jägers „Photo 080401.2247“ spielt ein Motiv keine Rolle (zu sehen im Würzburger Kulturspeicher).
Foto: (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2015, wiki | Licht als Hauptdarsteller: In Gottfried Jägers „Photo 080401.2247“ spielt ein Motiv keine Rolle (zu sehen im Würzburger Kulturspeicher).
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 24.04.2015 16:38 Uhr

Wenn vor Ihren Augen etwas gleichzeitig durch zwei Durchgänge schlüpft – wie würden Sie das nennen? Gespenstisch vielleicht? Wenn ja, sind Sie tagtäglich von Gespenstischem umgeben. Denn Licht verhält sich wie ein Etwas, das gleichzeitig durch zwei Durchgänge schlüpft. Das ist zigmal nachgewiesen worden – mit dem sogenannten Doppelspaltexperiment.

Bekannt ist das Experiment seit dem frühen 19. Jahrhundert, und im Grunde kann es jeder Physiklehrer vorführen: Er richtet einen Lichtstrahl auf eine Wand mit zwei parallelen, senkrechten Spalten. Auf einer zweiten Wand dahinter ergibt sich dann ein hübsches Muster aus senkrechten Streifen. Der Physiklehrer erklärt das damit, dass Licht aus Wellen besteht. Die brechen sich an den beiden Schlitzen und überlagern sich. Wasser, das durch zwei derart angeordnete Schlitze strömt, verhält sich ähnlich: Hinter den Schlitzen bilden sich Wellen, die sich überlagern und das Muster formen.

Licht breitet sich also in Wellen aus. Es besteht aber aus einzelnen Teilchen, sogenannten Photonen. Mitte der 1980er Jahre waren Physiker technisch in der Lage, einzelne Photonen auf den Doppelspalt loszulassen. Sie konnten nur staunen: Wiederum zeichnete sich auf der Wand hinter den Schlitzen das Wellenmuster ab. Als wüsste jedes einzelne Lichtteilchen genau, welchen Weg es nehmen und wo es sich positionieren muss, um das Wellenmuster zu erzeugen. Oder als schlüpfte jedes Teilchen gleichzeitig durch beide Spalten und bildet mit sich selbst interferierende Wellen. Was wohl tatsächlich so ist.

Wenn das nicht gespenstisch ist! Denn unsere Alltagserfahrung sagt uns, dass die Dinge sich ganz anders verhalten. Man könnte Milliarden nasser Tennisbälle auf zwei Löchern werfen, nie werden sich die Abdrücke auf einer Wand dahinter zu einem Wellenmuster arrangieren. Nie wird ein einzelner Ball durch beide Löcher fliegen.

Irgendwie funktioniert im Allerkleinsten – in der Welt der Quanten, wie Wissenschaftler sagen – alles anders als in der Welt der großen Dinge. Logik, Ursache und Wirkung, scheinen da keine Rolle zu spielen. „Das Doppelspaltexperiment enthält das ganze Geheimnis der Quantenmechanik. Sämtliche Paradoxe, Geheimnisse und Absonderlichkeiten der Natur sind darin enthalten“, erklärte der Physiknobelpreisträger Richard Feynman (1918 bis 1988) in seinen berühmten „Vorlesungen über die Physik“. Soll heißen: Licht zeigt, wie sich die Grundbausteine der Welt verhalten. Denn nicht nur Photonen legen das gespenstische Verhalten an den Tag – es scheint im Bereich des ganz Kleinen ganz normal zu sein.

Die Sache mit den zwei Löchern funktioniert auch mit Elektronen und sogar mit ganzen Atomen: „Ein einzelnes Atom nimmt im Doppelspaltexperiment zwei Wege gleichzeitig und interferiert mit sich selbst. Anscheinend kann sich ein Atom zur selben Zeit an zwei Orten (zwei Löchern) befinden“, schreibt der britische Astrophysiker John Gribbin in seinem Buch „Schrödingers Kätzchen“. Doch irgendwo auf dem Weg vom Elementarteilchen zum Tennisball (beispielsweise) nehmen die Dinge dann ihre beruhigend stabilen, eindeutigen Alltagseigenschaften an. Auf welchem Größenniveau das ist und wie das funktioniert, ist bis heute nicht wirklich klar. Lichtteilchen – und nicht nur die – scheinen zudem irgendwie verschämt zu sein. Sie mögen es gar nicht, wenn man sie beobachtet. Wenn man beim Doppelspalt-Experiment eine Vorrichtung anbringt, um zu messen, welche der beiden Spalten die Teilchen passieren, machen die Photonen nicht mehr mit. Sie bilden dann kein hübsches Wellenmuster mehr, sondern eine zufällige Anhäufung von Punkten. Als seien sie Tennisbälle.

Auch wenn's um die Geschwindigkeit geht, verhält sich Licht gegen unsere Alltagserfahrung. Nehmen wir an, Sie laufen mit 20 km/h vor einem Tennisball davon, der Ihnen mit 30 km/h nachgeworfen wird, Sie würden im Laufen das Tempo des Balls mit zehn km/h messen. Aus Sicht des Werfers ist der Ball 30 Stundenkilometer schnell. Knipst Ihr Partner eine Taschenlampe an und richtet den Strahl auf Sie, werden Sie im Weglaufen aber dieselbe Lichtgeschwindigkeit messen, wie Ihr Partner, der die Lampe hält. Addiert oder abgezogen wird da nichts: Licht ist immer gleich schnell, ungefähr 300 000 Kilometer pro Sekunde. Nachgewiesen hat das bekanntlich Albert Einstein (1879 bis 1955). Seine berühmtesten Arbeiten heißen amüsanterweise Relativitätstheorien, obwohl sie etwas – die Lichtgeschwindigkeit – absolut setzen.

Schnell wie Licht kann nur Licht sein. Denn Lichtteilchen sind masselos. Nicht einmal winzige Massen lassen sich auf 300 000 Kilometer pro Sekunde beschleunigen. Dafür wäre unendlich viel Energie nötig. Und die gibt es nicht. Schade. Denn die Lichtgeschwindigkeit wäre ein super Mittel gegen's Älterwerden: Für Photonen vergeht die Zeit nicht, wenn Sie durch den Raum schießen, der sich bei einem derartigen Tempo dann auch verändert. Doch das ist eine andere Geschichte.

Licht, das unbegreifliche Medium mit den fast gespenstischen Eigenschaften, hat schon vor Albert Einstein nicht nur Physiker beschäftigt. Renaissance-Künstler erzeugten mit Schattierungen die Illusion einer dritten Dimension in zweidimensionaler Malerei, barocke Maler spielten mit Hell-Dunkel-Effekten, Impressionisten suchten die Flüchtigkeit des Lichts festzuhalten.

Die Gesetze des Universums

Mit der Erfindung der Fotografie in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts konnte das von der Welt reflektierte Licht unmittelbar eingefangen und auf eine chemisch beschichtete Platte oder einen Film übertragen werden. Meist spielt das Licht hier aber die Nebenrolle. Es ist nur dazu da, den Hauptdarsteller, das Motiv, auszuleuchten.

Anders ist das bei der sogenannten Konkreten Fotografie. Die hat sich in ihrer reinsten Form ganz und gar der Faszination des Lichts verschrieben Ein Motiv spielt keine Rolle mehr: „Es geht darum, allein mit Licht und Kamera eine eigene Bildwelt zu schaffen“, sagt Gottfried Jäger, einer der Künstler, die derzeit im Würzburger Kulturspeicher ausstellen (siehe Kasten). Es ist reines, wie eingefrorenes Licht, das auf manchen Bildern der Schau zu sehen ist. Und damit auch ein Präparat dessen, was hinter der erfahrbaren Alltagswirklichkeit steckt.

Wenn Sie das nächste Mal fotografieren, drücken Sie also den Auslöser mit ein bisschen Ehrfurcht. Denn Sie arbeiten mit Licht – und damit auch mit den Grundbausteinen und den grundlegenden Gesetzen des Universums.

Ausstellung

„Lichtbild und Datenbild" heißt die aktuelle Ausstellung des Würzburger Museums im Kulturspeicher. 92 Werke von 42 internationalen Künstlern zeigen die Bandbreite dessen, was seit Ende der 1950er Jahre unter dem Begriff Konkrete Fotografie zusammengefasst wird.

Zu sehen sind Bilder, die wie abstrakte Gemälde wirken, aber auch simples, durch Licht geschwärztes Fotopapier. Viele Künstler fotografieren analog. Doch auch mit digitalen Prozessen wird gearbeitet und experimentiert. Das Foto zeigt ein 1990 entstandenes Luminogramm von Adam Fuss.

Öffnungszeiten: Dienstag 13-18, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 11-18, Donnerstag 11-19 Uhr. Bis 31. Mai. FOTO: (c) Adam Fuss

Schema des Doppelspalt-Experiments
| Schema des Doppelspalt-Experiments
 
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