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WÜRZBURG
„Toben macht schlau“ – joggen auch?
Schnupperlauf für Kinder beim Würzburger Residenzlauf.
Foto: Christoph Weiß | Schnupperlauf für Kinder beim Würzburger Residenzlauf.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:35 Uhr

Der jüngste Teilnehmer beim Würzburger Residenzlauf war heuer eineinhalb Jahre alt. Er meisterte einen Kilometer. Freiwillig. Und hatte Spaß dabei. Geschafft hat das Annette Wolz. Die Erzieherin, die beim Bambini-Lauf seit 2003 jedes Jahr 90 bis 100 Kinder zum Laufen motiviert, sagt: „Ich bin ein Gegner von Kindergarten-, oder Schulläufen, bei denen die Kinder nie trainieren, einmal im Jahr rausgezerrt und über die Bahn geschleppt werden. Davon halte ich nichts.“ Worauf kommt es also an, wenn Kinder laufen? Wie motiviert man sie richtig?

Laufen ist Grundbedürfnis der Kinder

Die Antwort ist einfach. Davon ist Professor Harald Lange, Sportpädagoge an der Universität Würzburg und selbst Vater einer fünfjährigen „bewegungsbegeisterten Tochter“ überzeugt. Er sagt: „Es gibt zwei grundverschiedene Sichtweisen: die Sicht der Kinder selbst und wie sie das Laufen wahrnehmen und die Sicht der klugen Erwachsenen. Kinder laufen, um ein attraktives Ziel zu erreichen.“ Sie wollen ein anderes Kind fangen, auf ein Spielgerät klettern oder nach Hause rennen. Für Kinder sei es ein anthropologisches Grundbedürfnis, sich zu bewegen – mal langsam – dann trödeln sie – und mal schnell, so der Sportwissenschaftler.

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Für Erwachsene dagegen spielen oft gesundheitliche Aspekte eine Rolle – „vor allem, wenn sie dazu neigen, übergewichtig zu werden.“ Natürlich sei Laufen auch für Kinder gut, wenn es um Kalorienverbrauch und die Adipositasprävention gehe. Immerhin sind in Deutschland etwa 15 Prozent aller Drei- bis 17–Jährigen übergewichtig und sechs Prozent adipös. Mit gravierenden Folgen: Denn extrem dicken Kindern kostet ihr Übergewicht und die damit einhergehenden Krankheiten von der Fettleber bis hin zu Diabetes kostbare Lebenszeit. „Die Lebenserwartung der Kinder, die mit 14 bereits an Typ-2-Diabetes leiden, wird mit zehn bis 15 Jahren geringer geschätzt als bei Gleichaltrigen“, sagt Markus Röbl, Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin in Göttingen. „Extrem adipöse Jugendliche schätzen ihre Lebensqualität schlechter ein als krebskranke Kinder“, so Röbl.

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Bewegung wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Kindes aus: auf die Selbstregulation, das Selbstwertgefühl, das Gleichgewicht, die Konzentration und die Intelligenz. „Toben macht schlau“, sagt Sportpädagoge Lange. Laufen ist außerdem gut für das Herz, den Kreislauf, das Atmungssystem, den Stoffwechsel und die Psyche. „Man ist ausgeglichener.“

Im Alltag laufen statt Auto fahren

Wird die Bewegung aber ein Muss, wird sie als Gängelung empfunden. Würden Eltern mit einem Stück Torte vor ihrem Kind herjoggen, um es zum Laufen zu motivieren, dann wäre das... „eine typische Herangehensweise von Erwachsenen“, ergänzt Lange. Stattdessen sollte das Kind „die Mami fangen“ oder mit dem Vater täglich zum Spielplatz laufen. Auf die Bewegung im Alltag komme es an. Und darauf, sich auch mal Zeit zu nehmen, links und rechts des Weges zu gucken und Dinge zu entdecken. Laufen sei für Kinder spannender als Autofahren. Der „Lernprozess, von dem die Kinder profitieren, setzt bei den Eltern an. Kein Kind ist von Natur aus faul.“

Doch für das Bedürfnis der Kinder, sich zu bewegen, bleibt immer weniger Zeit. Es wird auf Sportvereine oder die Schule ausgelagert. Lange ist überzeugt, es sei besser, morgens 40 Minuten zur Schule zu laufen als aus Zeitersparnis 15 Minuten mit dem Auto zu fahren. Denn: „Wenn es Eltern nicht gelingt, Bewegung aus der kindlichen Perspektive in den Alltag einzubauen, wird jedes Trainingsprogramm versanden, sobald der Trainer weg ist. Kinder passen sich an ihre Umgebung an. Wenn sie unbeweglich wird, werden auch die Kinder unbeweglich.“

Erstklässler, die keinen Ball fangen können? Zweitklässler, die nicht schwimmen? Viertklässler, die nie Rad gefahren sind? Die gibt es immer öfter, sagen Schulexperten, Sportlehrer und Verkehrserzieher aus der Region. In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat die Fitness von Unterfrankens Grundschülern deutlich nachgelassen. Gleichgewichtssinn, Koordinationsfähigkeit und Ausdauer sind bei der Mehrheit der Kinder schlechter ausgeprägt als früher. Kann laufen diese Defizite heilen? Lange hält nichts von „Kinderläufen, bei denen die Kinder stellvertretend für ihre Eltern“ rennen. Wenn aber bei Bambini-Läufen ganz viele Kinder zusammen Spaß haben, dann sei das Gruppenerlebnis wertvoll und „eine super Sache“.

Obst und Gummibärchen im Ziel

Annette Wolz, die bei „Annettes Kinderturnen“ die unterschiedlichsten Kinder – vom sportbegeisterten Flüchtlingskind bis hin zum Kind mit Down-Syndrom – zum Laufen motiviert, hat ein einfaches Rezept: „Wir nehmen das Positive. Laufen soll Spaß machen. Wir trainieren ohne Druck, am besten in der Natur und danach gibt es Obst und Gummibärchen, dann sind alle glücklich.“ “

Vor dem Residenzlauf beginnen ihre kleinen Läuferinnen und Läufer jeden Samstag im Januar mit dem Training – zusätzlich zum wöchentlichen Kinderturnen. Sie fangen mit 500 Metern an. Dreieinhalb Monate lang tasten sie sich langsam an eine längere Strecke heran. Von Mal zu Mal und von Woche zu Woche baut sich die Kondition der Kinder auf. Am Ende können selbst Kleinkinder eineinhalb Kilometer am Stück laufen. Da der Residenzlauf nur einen Kilometer lang ist, dient der halbe Kilometer als Puffer. „Sie haben einen Spielraum, können mal langsamer und mal schneller laufen. Sie können auch ins Ziel reinlatschen“, sagt Wolz. Zusätzlich wird die Bein- und Rumpfmuskulatur der Kinder vor dem Lauf durch Weichbodenhüpfen in der Halle trainiert.

„Wichtig ist, dass sie Spaß haben, dass ich sie positiv unterstütze und anfeuere, dass sie Vertrauen aufbauen und dass jede Menge anderer Kinder dabei sind, die sie kennen. Wenn ein Kind vorläuft, läuft das nächste hinterher. Eltern haben es oft viel schwerer, ihre Kinder zu motivieren, als andere Kinder“, sagt Wolz. Neben „Annettes Kinderturnen“ trainiert sie auch Kinder für den Eisinger Verein sowie den SV Oberdürrbach.

Das Ergebnis: In diesem Jahr liefen 86 kleine Läufer aus ihrer Gruppe beim Residenzlauf ins Ziel ein. Der Jüngste war eineinhalb, der älteste zehn Jahre alt. Alle schafften es. Niemand blieb unterwegs sitzen und hatte keine Lust mehr. Am Ende bekamen alle eine Medaille. „Sie sind alle Gewinner“, so Wolz. Gab es auch schon mal Tränen, weil jemand nicht als Erster im Ziel war? Laut Annette Wolz gab es die: „bei uns noch nie.“

Laufprojekt des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes

15 000 Kinder in Unterfranken haben sich für das Laufprojekt „Lauf dich fit!“ des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes (BLV) angemeldet. Ziel ist es, „den Kindern den Spaß am Laufen und am Sport generell zu vermitteln“, sagt der unterfränkische Projektkoordinator Martin Riedmann.

Lehrer an den 55 Schulen, die unterfrankenweit teilnehmen, darunter 42 Grundschulen, zwölf Mittelschulen und das Johann-Schöner-Gymnasium in Karlstadt, sollen Ausdauerspiele in den Sportunterricht einbauen. Mit Runden-Lauf, Würfel-, Ball-, und Hütchenspielen werden die Kinder trainiert. „Oft merken sie gar nicht, dass sie laufen“, so Riedmann. Die Herausforderung ist, am Ende 15 bis 30 Minuten am Stück durchzuhalten.

Wettkampf: Die Ergebnisse der schulinternen „Lauf-Challenges“ werden an den Leichtathletik-Verband gemeldet und die Läufer der besten Schulen bei einer Abschlussveranstaltung in Nürnberg geehrt.

Laufkalender: Die Internetseite des BLV bietet einen Überblick über Läufe (auch für Kinder) in der Region.

 

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