OP-Fehler, Verwechslungen oder schwere Infektionen: Experten und Ersatzkassen dringen auf mehr Patientensicherheit in Deutschland. Nötig sind dafür verbindliche Standards, wie das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) und der Verband der Ersatzkassen (vdek) in ihrem am Donnerstag veröffentlichten „Weißbuch Patientensicherheit“ fordern. Dazu brauche es beispielsweise Verantwortliche für Patientensicherheit in allen Gesundheitseinrichtungen oder zentrale Fehlermeldesysteme. Reichen die bisherigen Maßnahmen also nicht aus?
Kritik: Die sprechende Medizin kommt zu kurz
Bei weitem nicht, sagt Karl-Heinz Schlee, Vorsitzender der Selbsthilfegemeinschaft Medizingeschädigter in Nürnberg. „Die monetäre Situation vieler Kliniken steht der Patientensicherheit gegenüber.“ Zudem komme die „sprechende Medizin zu kurz“; Missverständnisse zwischen Ärzten und Patienten entstünden häufig, weil die Zeit fehle. „Unser Anliegen ist klar: Der Patient muss ernster genommen werden“, sagt Schlee. Dafür brauche es sehr viel mehr Offenheit von Seiten der Kliniken.
Und mehr als isolierte Maßnahmen wie etwa OP-Checklisten. Entscheidend sei, dass künftig auch die Führungsebene hinter dem Ziel Patientensicherheit stehe, sagt APS-Geschäftsführerin Ilona Köster-Steinebach auf Anfrage dieser Redaktion. Kernforderung des APS, dem unter anderem Patientenorganisationen, Kliniken, Berufsverbände und Krankenkassen angehören, sind daher Beauftragte für Patientensicherheit an jeder medizinischen Einrichtung. Sie müssten „an verantwortlicher Stelle verankert werden“. Daneben soll Patientensicherheit in der Ausbildung integriert, eine verbindliche Hygiene-Richtlinie umgesetzt und die Aufklärung von Patienten und Angehörigen verbessert werden. Und: Fehler sollen in einem zentralen Meldesystem erfasst werden. Verpflichtend. Noch gibt es das häufig nur klinikintern. Die Folge: „Es wird nicht gut ausgewertet, welche Ursachen hinter Fehlern stecken und wie sie künftig vermeidbar wären“, sagt Köster-Steinebach.
„Unerwünschte Ereignisse“ bei der Behandlung oft vermeidbar
Dabei geht es laut vdek nicht nur um Behandlungsfehler, sondern auch um „unerwünschte Ereignisse“ wie Drückgeschwüre, falsche Diagnosen oder Infektionen. Bei fünf bis zehn Prozent der Krankenhausbehandlungen würden pro Jahr solche Fälle auftreten. Das sei vermeidbar.
Über die schweren Behandlungsfehler führen derzeit Ärzte und die gesetzlichen Krankenkassen eigene Statistiken. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) schrieb im vergangenen Jahr mehr als 13 000 Gutachten und stellte bei knapp 2700 Fällen fest, dass ein Behandlungsfehler einen Gesundheitsschaden verursacht hat. Die Ärzte registrierten in ihrer Statistik weitere 1783 Fälle.
DKG: Hoher Sicherheitsstandard in deutschen Krankenhäusern
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) befürwortet diese Praxis. Eine zentrale Meldestelle für Behandlungsfehler brauche es nicht, teilte DKG-Sprecher Joachim Odenbach mit. Auch ein Patientensicherheitsbeauftragter in den Kliniken sei nicht nötig. Deutsche Krankenhäuser hätten einen hohen Sicherheitsstandard, „die Patienten können sich sicher fühlen“.
Ähnlich sehen es medizinische Einrichtungen in Unterfranken. An der Würzburger Uniklinik sei Patientenschutz bereits fest verankert, auch in der Leitungsebene, teilte der Ärztliche Direktor Prof. Georg Ertl auf Anfrage mit. So sei unter anderem eine eigene Stabsstelle (Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement) eingerichtet worden. Fehler werden in Würzburg in einem internen System erfasst, kritische Ereignisse können auf einer Plattform im Intranet von jedem Mitarbeiter gemeldet werden.
GBA könnte für mehr Klarheit sorgen
Auch am Rhön-Klinikum in Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) wird ein internes Fehlermeldesystem genutzt und in jedem Krankenhaus gibt es einen Verantwortlichen für Risikomanagement. Ein zusätzlicher Patientenschutzbeauftragter sei nicht notwendig, teilte eine Sprecherin mit. Die größte Herausforderung beim Thema Patientenschutz sei, „dass unterschiedliche Institutionen unterschiedliche, teilweise sogar konkurrierende Empfehlungen aussprechen“, heißt es aus Bad Neustadt. Für mehr Klarheit zu sorgen – beispielsweise in der Debatte um zentrale Fehlermeldesysteme – sei Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA.
Ob das gelingt? „Unser Gesundheitssystem ist offen für Produktneuerungen, aber sehr innovationsfeindlich, wenn es um neue Prozesse geht“, sagt Köster-Steinebach. Das „Weißbuch“ wolle „Überzeugungsarbeit“ leisten. „Die Regierung sollte darauf hinarbeiten, dass mehr Häuser Patientensicherheit als wichtig ansehen – und nicht nur als Kostenfaktor.“