SPD-Bezirkschef Bernd Rützel erfuhr am Mittwoch nach dem Aufwachen in Washington, dass sich die Koalitionäre in Berlin geeinigt haben. Der Abgeordnete aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) gehört einer Bundestagsdelegation an, die an diesem Freitag am traditionellen „National Prayer Breakfast“ mit US-Präsident Donald Trump teilnimmt. Gleich nach seiner Rückkehr aus den USA werde er bei SPD-Veranstaltungen in der Region dafür werben, damit möglichst viele Parteifreunde für die GroKo stimmen, kündigt Rützel an. Er ist überzeugt: „Auf Grundlage der Vereinbarung werden wir die Lage sehr vieler Menschen verbessern können.“ Zentrale Punkte der Vereinbarung sind für ihn die Stabilisierung des Rentenniveaus, die Einführung der Grundrente, das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, der Einstieg in die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung sowie die Wiedereinführung der Parität bei der Finanzierung der Krankenversicherung. Rützel: „Da muss man dafür sein.“
276 SPD-Neumitglieder seit Januar
6929 Mitglieder zählt die SPD aktuell in Unterfranken. 276 sind seit Anfang Januar neu dazugekommen, sagt Isabella Walter, die Bezirksgeschäftsführerin. Im ganzen Jahr 2017 seien es – trotz Schulz-Effekts – 330 Eintritte gewesen. Die Kampagne „Tritt ein, sag nein“, die die Jungsozialisten (Jusos) angezettelt hatten, fiel also auch zwischen Rhön, Steigerwald, Spessart und Main auf fruchtbaren Boden. Wobei Geschäftsführerin Walter gar nicht so sicher ist, dass lediglich GroKo-Gegner ihr Herz für die SPD entdeckt haben. „Ich habe auch andere Stimmen gehört“, sagt sie, zumal nicht nur junge Leute eingetreten seien. Nur maximal ein Drittel der Neuen habe das Juso-Alter bis 35.
Wobei letztere vor allem in der Unistadt Würzburg geworben wurden, bestätigt Michael Reitmaier, der Juso-Bezirksvorsitzende. „Allein 40 Neumitglieder waren es in der vergangenen Woche“, freut er sich. Reitmaier hofft, dass es gelingt, die GroKo noch zu verhindern. Er bleibe bei seinem „grundsätzlichen Nein“, sagt er.
Union und SPD seien „grundlegend anders ausgerichtet“. Die Große Koalition verwässere diese Unterschiede. So hätte er sich unter anderem einen höheren Spitzensteuersatz und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer gewünscht. „Das wäre ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit gewesen.“ Beim Familiennachzug habe die SPD die Unions-Position „fast eins zu eins“ übernommen, kritisiert Reitmaier weiter. Seiner Ansicht nach soll sich die Partei in der Opposition erneuern. Nachdem es beim Sonderparteitag schon knapp war, erwartet der Juso-Chef nun auch für das Mitgliedervotum „ein sehr enges Rennen“.
Bär: Koalition ist gut für Bayern
„Sehr gut“ seien die Koalitionsverhandlungen gelaufen, sagt Dorothee Bär. Die stellvertretende CSU-Vorsitzende aus Ebelsbach (Lkr. Haßberge) freut, dass die CSU viele ihrer Kernanliegen habe durchsetzen können, zuletzt unter anderem das Baukindergeld. Dafür hätten sich die „anstrengenden Nächte mit wenig Schlaf“ in Berlin gelohnt.
Ein großer Verhandlungserfolg sei der neue Zuschnitt des Innenministeriums, das mit Horst Seehofer an der Spitze besetzt werden soll. Als Bundesheimatminister werde sich der Noch-Ministerpräsident für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Ballungsräumen und auf dem Lande einsetzen. „Gut für Bayern“ sei auch, dass das Verkehrsministerium in CSU-Hand bleibe. Bär selbst ist als Entwicklungshilfeministerin im Gespräch.
Landtagspräsidentin Barbara Stamm war am Mittwochmittag, als in Berlin die Gremien der Parteien tagten, schon wieder in München. Nachts um drei war sie in Berlin aufgebrochen, um am Vormittag noch bei einem Landfrauentag im schwäbischen Dillingen dabei sein zu können. Die CSU-Sozialpolitikerin hat unter anderem mit den SPD-Granden Malu Dreyer und Andrea Nahles die Themen Rente, Arbeitsrecht und Gesundheit verhandelt. „Man kennt sich seit Jahren“, sagt Stamm. Entsprechend sachlich und freundlich sei die Gesprächsatmosphäre trotz strittiger Positionen gewesen. Mit den Kompromissen bei Teilzeit und sachgrundloser Befristung könnten beide Seiten gut leben, glaubt Stamm.
FDP und Grüne enttäuscht
Bei den Oppositionsparteien zeigt an sich derweil enttäuscht über das vorgelegte Koalitionspapier. „Es fehlt an substanziellem Fortschritt“, sagt die Bezirksvorsitzende der Grünen in Unterfranken Manuela Rottmann. Beispielhaft nennt sie die Verkehrspolitik. „Da wird viel Geld ausgegeben, ohne Schwerpunkte zu setzen. Die Straßenbauorgie geht weiter, der Nahverkehr fällt durch.“ Beim Klimaschutz gebe es ein vages Bekenntnis zu den Zielen für 2030. „Konkrete Schritte aber fehlen.“
Ähnlich fällt die Bewertung des Würzburger FDP-Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann aus. „Anstatt mutig in die Zukunft zu gehen“, verteilten Union und SPD lediglich Prüfaufträge. „Man geht auf diese Weise Entscheidungen aus dem Weg“, klagt er. Arzt Ullmann vermisst „echte Lösungen“ für brennende Themen im Gesundheitswesen „wie die ländliche medizinische Versorgung“.