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BONN/DETTELBACH
Vom Stolz, in der SPD zu sein
Am Ende ist Eva-Maria Deppisch, SPD-Stadträtin aus Dettelbach, sich in Bonn sicher: „Die NoGroKo-Kampagne geht weiter.“
Foto: Fotos (2): Michael Czygan | Am Ende ist Eva-Maria Deppisch, SPD-Stadträtin aus Dettelbach, sich in Bonn sicher: „Die NoGroKo-Kampagne geht weiter.“
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:13 Uhr

Am Ende gehört Eva-Maria Deppisch zu den Verlierern, als Noch-Justizminister Heiko Maas das Ergebnis verkündet: 362 Genossen befürworten Gespräche, 279 lehnen sie ab, einer enthält sich. Denkbar knapp also – mit 56,4 Prozent – beschließt der SPD-Sonderparteitag am Sonntag in Bonn die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU.

Die 30-Jährige, eine von neun Delegierten aus Mainfranken, ist enttäuscht. Als „Mehrheitsbeschaffer“ der Union werde die SPD weiter an Profil verlieren, findet sie. Deppisch, die Stadträtin in Dettelbach (Lkr. Kitzingen) ist, wünscht sich den Gang in die Opposition, damit sich die Partei wieder auf ihre Grundwerte besinnen könne – als da wären die Solidarität mit den Schwachen in der Gesellschaft oder ein internationales, antirassistisches Europa.

„Ich war schon 2013 gegen die GroKo“

Martin Schulz hätte Deppisch mit seiner Rede nicht mehr überzeugen können. „Ich war schon 2013 gegen die GroKo.“ Die 30-jährige Jungsozialistin (Juso) sieht sich nach dem Auftritt ihres Parteichefs bestätigt. Erschöpft wirkt der Obergenosse, angeschlagen. Aber er wirbt dennoch unermüdlich weiter für den seiner Ansicht nach „mutigeren Weg“, nämlich mit der Union zu verhandeln.

Dass auch er seine Meinung geändert hat, erklärt Schulz mit der „fundamental veränderten Lage“ des Landes nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche. Dafür sei nicht die SPD verantwortlich.

Die Sondierungsergebnisse böten die Chance, die Lage vieler Menschen, etwa von Alleinerziehenden, jungen Familien und Rentnern, „spürbar“ zu verbessern. Um dies zu erreichen, mache er Politik. Konkret nennt Schulz die Parität in der Krankenversicherung, das Recht auf kostenlose Ganztagsbetreuung, die Erhöhung des Bafög, den sozialen Wohnungsbau und die Lebensleistungsrente. Auch eine Begrenzung von Rüstungsexporten und ein Aus für die Austeritätspolitik in Europa habe man durchsetzen können.

SPD-Verhandlungserfolge, die auch den Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel überzeugen. „Ich bin Pragmatiker“, sagt der Chef der Unterfranken-SPD. Deshalb stimmt er an diesem Sonntag mit Ja. Dass nun noch einmal versucht werden soll, ein Verbot der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen durchzusetzen, findet der langjährige Gewerkschafter aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) „richtig gut“. Diese Forderung in Verhandlungen mit CDU und CSU doch noch zu realisieren, werde aber „ein hartes Stück Arbeit“.

Die AfD sollte nicht die größte Oppositionspartei sein, sagt sie

Eva-Maria Deppisch ist der Preis für die Kompromisse zu hoch. Wenn Parteien infolge großer Koalitionen nicht mehr unterscheidbar seien, nehme die Politikverdrossenheit zu, „dann stärken wir die politischen Ränder“. Schon jetzt säßen Rassisten im Parlament. Die Vorstellung, die AfD könne noch stärker werden, sei ihr „unerträglich“. Sich nicht an der Regierung zu beteiligen, damit die Rechtspopulisten nicht die größte Oppositionspartei sind, bleibe ein „sehr ehrenwertes Motiv“. Auch so könne man politische Verantwortung übernehmen – und auf Dauer wieder größere Zustimmung bei den Wählern gewinnen.

Der Unterfranke Bernd Rützel sagt Kevin Kühnert eine große Zukunft voraus.
| Der Unterfranke Bernd Rützel sagt Kevin Kühnert eine große Zukunft voraus.

Angst vor Neuwahlen hat und hatte sie nicht. Besonders ärgert die 30-Jährige das Kapitel zur Flüchtlingspolitik am Sondierungspapier. Als ehrenamtliche Helferin habe sie lange gegen die Kasernierung von Flüchtlingen, die Residenzpflicht oder das Sachleistungsprinzip bei der Verpflegung gekämpft und dabei einige Verbesserungen für Asylbewerber in Mainfranken erreicht. Doch nun stünden genau diese Punkte wieder in der Vereinbarung drin. Auch die Regelungen zum Familiennachzug seien „mehr als mager“. Da könne sie weder als Christin noch als Sozialdemokratin zustimmen. „Nächstenliebe meint etwas anderes.“

Während Martin Schulz nach seiner 60-minütigen Rede eher zurückhaltend Applaus bekommt, erreicht Kevin Kühnert die Herzen der Delegierten. Nach seinem Auftritt tobt der Saal kurzfristig, auch weil der Juso-Chef differenziert argumentiert. Zwar plädiert er klar gegen eine GroKo („Die Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht“), lobt aber auch die Diskussionskultur in der SPD. „Wie immer wir uns entscheiden, es wird wehtun“, sagt der 28-Jährige einmal mehr. Aber auch ein Nein sei nicht das „Ende der Geschichte und erst recht nicht das Ende der SPD“. Kühnert fordert die Delegierten zu mehr Selbstbewusstsein auf. Man solle heute ein „Zwerg“ sein, so der 30-Jährige in Anspielung an das Wort vom „Zwergenaufstand“, mit dem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Juso-Kritik betitelt hatte, damit man „zukünftig wieder ein Riese sein“ könne.

„Kevin wird der neue SPD-Vorsitzende“, glaubt Bernd Rützel

Bernd Rützel ist begeistert. Er sei zwar nicht Kühnerts Meinung, aber sicher: „Kevin wird der neue SPD-Vorsitzende. Nicht heute oder morgen, aber irgendwann.“ Eva-Maria Deppisch hat kurzfristig Hoffnung, der Auftritt des 28-Jährigen könne die Delegierten doch noch zu einem Nein bewegen.

Außerordentlicher SPD-Parteitag       -  Abstimmung in Bonn: Mit „Nein“ zur einer Großen Koalition stimmte auch Juso-Chef Kevin Kühnert (Mitte).
Foto: Kay Nietfeld, dpa | Abstimmung in Bonn: Mit „Nein“ zur einer Großen Koalition stimmte auch Juso-Chef Kevin Kühnert (Mitte).

Am Ende aber reicht es nicht, auch weil sich die Partei-Promis immer wieder engagiert einmischen, um die offenkundig knappe Zustimmung für eine GroKo zu retten. Es könne nicht sein, dass die SPD nur noch mitregiere, wenn sie absolute Mehrheiten habe oder in einem „derzeit illusorischen“ Linksbündnis regiere, sagt Andrea Nahles, die Fraktionschefin im Bundestag. „Das ist Blödsinn, verdammt noch mal.“ Wie die Wähler auf ein SPD-Nein zum Regieren reagieren würden, ist für sie klar: „Die zeigen uns den Vogel. Das einzige, was ich Euch versprechen kann, dass wir verhandeln werden, bis es quietscht. Wir werden weitere gute Sachen herausholen und dafür lohnt es sich, Ja zu sagen.“ Für ihre Brandrede bekommt Nahles mit Abstand den größten Applaus.

Auf die Streitkultur der SPD ist die Dettelbacherin stolz

Die emotionsgeladene, dreistündige Debatte zeigt, wie zerrissen die Partei ist. „Ist das schlimm?“, fragt die Unterfränkin Deppisch rhetorisch. Sie empfinde jedenfalls Stolz auf die SPD, auf die lebendige Streitkultur, die auch kritische Positionen jederzeit erlaube. „Deshalb bin ich 2009 in die Partei eingetreten.“ Aufgrund dieser Erfahrungen glaube sie auch nicht, dass sich die SPD nach dem knappen Abstimmungsergebnis vom Sonntag zerfleischen werde, sagt Deppisch. Der Respekt vor den Andersdenkenden sei auf beiden Seiten groß. Auch eine Personaldebatte um Martin Schulz braucht es ihrer Meinung nach nicht. „Wir streiten um Inhalte, nicht um Personen.“ Bernd Rützel stimmt ihr da zu, auch wenn er den Parteichef durch den Parteitag „zumindest nicht gestärkt“ sieht.

Eva-Maria Deppisch bleibt derweil eine Hoffnung. Am Ende der Verhandlungen dürfen die 440 000 Mitglieder der SPD über einen Koalitionsvertrag abstimmen. Die Dettelbacherin ist entschlossen: „Die NoGroKo-Kampagne geht weiter.“

Applaus

Der SPD-Parteitag macht der Parteispitze das Werben für Koalitionsverhandlungen mit der Union nicht leicht. Gerade mal eine Minute nicht gerade enthusiastischen Applaus bekam SPD-Parteichef Martin Schulz von den Delegierten für seine rund einstündige Rede – das ist für einen Bundesparteitag sehr wenig. Gegenredner Kevin Kühnerts neuneinhalbminütiger Aufruf, nicht wieder in eine GroKo zu gehen, erntete Jubel vor allem von den Jusos im Saal. Nach einer Minute endete der Applaus, da die nächste Rednerin an der Reihe war. dpa
 
 
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Gegen Profilverlust hilft nur eins:

    Profil schärfen.

    Und das geht mMn auch, wenn man Koalitionspartner ist.

    Allerdings wäre es dazu nötig, sich darüber klar zu werden, was die Leute wirklich umtreibt. Beispiele gefällig? Los gehts!

    - Zügige Angleichung der Erfassung von Neuankömmlingen in allen Bundesländern. Es kann nicht sein, dass jemand sich mit verschiedenen Identitäten mehrfach anmelden kann.

    - Zügige Abarbeitung der Asylverfahren, konsequente Umsetzung des Ergebnisses. Gleichzeitig: durchgreifende Maßnahmen als Anreiz zum Verbleib in der Heimatregion w. z. B. Initiieren von Vor-Ort-Mikrokrediten an Einzelpersonen (à la Grameen-Bank)!

    - Gleiche Bildungssysteme (und -chancen!) in allen Bundesländern.

    - Und noch einen: Sicherheit für alle(!) in Sachen Rente. Dazu könnte die SPD visionär für ein bedingungsloses Grundeinkommen als Antwort auf Industrie 4.0 werben. Denn dass die kommt, ist nur noch eine Frage der Zeit, und es gilt, sich sozial verträglich darauf einzustellen.
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  • R.Silber
    Nicht wenige derer die so eifrig an der Großen Koalition basteln, kämpfen ums nackte Überleben. Merkel, Schulz, Gabriel, Seehofer und noch einige mehr. Man fürchtet Neuwahlen so sehr wie der Teufel das Weihwasser. Ein weiteres Erstarken der AfD muss unter allen Umständen verhindert werden, die SPD bräche komplett zusammen und die CDU/CSU hätte noch einmal erhebliche Stimmenverluste hinzunehmen. AfD, FDP, Linke und Grüne würden stark an Zustimmung gewinnen, nur egal in welcher Konstellation, eine Regierungsfähigkeit käme nie zu Stande. Also werden CDU/CSU und SPD ein Paket schnüren, dass so weichsweich ist wie nur möglich, um die jeweiligen Wähler zu beruhigen. In einem Jahr ist viel Gras über die Sache gewachsen, Merkel noch Kanzlerin, Schulz und Gabriel haben ihr Ministeramt, Seehofer darf auch noch ein wenig mitspielen. So funktioniert Demokratie, wenn das Volk, gemeint sind die Untertanen, an der Nase herum geführt werden.
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  • Klardenker
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  • Fr-goetz@t-online.de
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  • ra.kellermann@gmx.de
    ..und Schulz und Nahles sollten sich erstmal ihren sch-ch Sprachfehler ("demokratich" usw.) abgewöhnen, das nervt auf Dauer !
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  • ra.kellermann@gmx.de
    langsam juckts doch eh keinen mehr wer uns da oben noch regiert...
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  • Arcus
    Ich finde die SPD SStellt sich vernünftigerweise der VERANTWORTUNG. Andérs als die Partei des Posterboys der Magengelbblauen geht sie in die Koalitionsverhandlungen. Sie wird versuchen alles herauszuholen was möglich ist. Die Bürger wollen endlich eine Regierung. Keine Schwätzer die den Schwanz einziehen wenns darum geht Verantwortung zu übernehmen. Die CSU wird nachgeben. Sie weiß, dass ein Grossteil ihrer ehemaligen Wähler mehr S wie sozial und mehr C wie christlich wollen. Schwarz Rot im Bund und schwarz Grün in Bayern. Das passt.
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  • Amiga-Freak
    Mit Ihrem Verweis auf eine angebliche "Übernahme von Verantwortung", fallen Sie m.E. auf das Narrativ herein, welches von CDU und Merkel-nahen Kreisen verbreitet wird. Was hat es mit "Verantwortung" zu tun, sein Rückgrat an der Garderobe abzugeben, alle seine Überzeugungen über Bord zu werfen und mit dem politischen Gegner gemeinsame Sache zu machen, dessen Positionen man angeblich ablehnt?

    Sie übersehen außerdem daß das Grundgesetz keine Koalitionen vorsieht - das Wort "Koalition" ist verfassungsrechtlich nicht existent und kommt im GG nicht vor. Eine Minderheitsregierung wäre die korrekte Lösung gewesen.

    Übrigens: Es ist ein Mangel in unserem Grundgesetz daß es keine Frist für die Kanzlerwahl gibt. Der Bundestag muß spätestens am 30. Tag nach seiner Wahl zusammen treten (Art. 39 GG). Die Kanzlerwahl und Regierungsbildung kann hingegen beliebig verzögert werden, da sie vom Bundespräsidenten angestoßen wird (Art. 63 GG), welcher - salopp gesagt - momentan ohne Not herumtrödelt.
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  • rebnik
    Ihr Wort in Gottes Ohr. Mir gefällts, aber ob´s so kommt...
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  • Franken48
    GROKO hat keine Chance auf Dauer. Die Partei die Germany First vertritt wird in der Zukunft das Sagen haben. Davon sind die Jusos aber Welten entfernt.
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  • Franken48
    Frau Deppisch sie sind in einer Partei, in der es stetig Berg ab geht. Und das mit Recht. Den Abstieg der Partei hält keiner auf.
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  • Fr-goetz@t-online.de
    Absolut, aber auch mehr wie absolut nicht mehr wählbar!
    In kürze fällt die GROKO auseinander, das ist der absolute Untergang der SPD, ihr werden weitere ungläubige Parteien folgen wie CDU/CSU, die Grünen, die FDP! Die CSU bekommt im Herbst die erste Ohrfeige für ihren Schlingerkurs! Dann folgt auch ihr Abstieg ins jenseits der Republik. Die Geschichte wiederholt sich! Wenn die unglaubwürdigen das Politfeld geräumt haben, wird Deutschland daraus wieder gestärkt hervorgehen! „Germany First!“
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