
Beim ZDF war man auf alles gefasst. Der Sender hatte einen Notfallplan, „sollte während des Aufenthaltes auf dem Mond eine Katastrophe eintreten“. Man hätte „über die Katastrophe und die bis dahin vorliegenden Stellungnahmen“ berichtet. „Die Werbung entfällt.“ Auch das „Königlich bayerische Amtsgericht“ wäre gestrichen worden. Die mit Schreibmaschine getippten Notfall-Anweisungen im Din-A4-Format blieben in der Schublade. Es ging ja alles gut bei der Mondlandung am 20. Juli 1969.
Auch im deutschen Fernsehen ging alles gut bei der Berichterstattung über die Apollo-11-Mission. Erstaunlich: Schließlich mussten Bilder gezeigt werden, die nur auf komplizierten und wackligen Übertragungswegen zu den Fern-Sehern gebracht werden konnten.
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Der ZDF Notfallplan („anschließend Trauermusik“) findet sich in der der Ausstellung „Raumschiff Wohnzimmer“ des Nürnberger Museums für Kommunikation. Rechtzeitig zum 50. Jahrestag kann der Museumsbesucher auch Ausschnitte der ARD-Sendung zur Mondlandung abrufen. Ein Knopfdruck – und mit einem „Bip-bibip-bip . . .“ geht's in die Fernsehvergangenheit.
Der wichtige Sportreporter
Die Stimme des Ansagers klingt leicht pathetisch: „,Landung auf dem Mond‘, so heißt diese Sendung.“ Die Kamera fährt durchs Studio. Hinter einem der Schreibtische lächelt Ernst Huberty. Der ist zwar Sportreporter, aber auch bei einer Mondlandung brauchbar: Mit Sportmeldungen lässt sich Zeit überbrücken, während man im Studio und an den heimischen Bildschirmen wartet.
Denn man wartet. Wartet. Wartet auf Bilder vom Mond.
Männer in Raumanzügen, „Studio-Astronauten“ genannt, sollen nachstellen, was da oben im Mare Tranquilitatis passiert. Vielleicht sind auch sie eine Art Notfallplan. Falls vom Mond nichts kommt, können die beiden vorführen, was auf dem Erdtrabanten passiert oder passieren sollte.
Ein detailgetreues Eins-zu-Eins-Modell des Inneren der Mondlandefähre ist in dem 690-Quadratmeter-Studio aufgestellt. Einer der Pseudo-Astronauten klettert hinein. Mühsam: „Man ist doch recht unbeweglich in diesen Anzügen“. Außerdem zerrt in dem Kölner Studio, wie überall auf der Erde, die Schwerkraft sechsmal so heftig an Mann und 80-Kilo-Montur wie auf dem Mond. Im Lauf der Sendung wird auch erklärt, was passiert, wenn ein Astronaut „wie ein Käfer“ auf den Rücken fällt (nicht schlimm, haben die trainiert, außerdem: geringere Schwerkraft!).

Man wartet auf Bilder vom Mond.
Dann wird der „Nasa-Kugelschreiber“ vorgeführt. Der schreibe im luftleeren Raum, in der Schwerelosigkeit, im Wasser, einfach überall und sei mit Gel statt Tinte befüllt. Damit lasse sich ein acht Kilometer langer Strich ziehen, heißt es.
Man wartet weiter auf Bilder vom Mond.
Die ersten Minuten des Ausstiegs könne man nicht sehen, wird erklärt. Live sei man erst dabei, „wenn Armstrong auf der untersten Sprosse“ der Leiter der Landefähre steht.
Der Sprung für die Menschheit
Dann, endlich: „Hier sind die ersten Bilder.“ Gezackte Schatten. Schwarz. Weiß. Das nicht durch Atmosphäre gedimmte Mondlicht sorgt für gnadenlos harte Kontraste. Da! Eine Bewegung! „Hier ist der Fuß von Armstrong“, sagt der Kommentator, erstaunlicherweise ohne Ausrufezeichen.
Auch Astronaut Neil Armstrong klingt im – synchron übersetzten – Funkverkehr recht unaufgeregt, als er feststellt, der Mondstaub sei fein wie Puder und es sei leicht, sich zu bewegen, leichter als beim Training auf der Erde. Und die da unten auf der Erde können es hören und sehen. Fast 400 000 Kilometer weit weg und getrennt durch kalten, lebensfeindlichen Raum. Es ist, nach mitteleuropäischer Zeit, kurz vor vier Uhr morgens am 21. Juli 1969.

Geschätzt 600 Millionen Menschen – ein Sechstel der damaligen Erdbevölkerung – sind Augenzeugen des Moments. Sie sitzen vor Fernsehern in Wohnzimmern, in Büros, in Gaststätten; sie stehen vor Schaufenstern, in denen TV-Geräte flimmern, als der 38-jährige „Apollo 11“-Kommandant vorsichtig mit dem Fuß nach der Mondoberfläche tastet und behauptet, sein kleiner Schritt sei ein gigantischer Sprung für die Menschheit.
Am 20. und 21. Juli vor 50 Jahren addierten sich mehrere Faktoren, die den Mondausflug von Neil Armstrong und Edwin „Buzz“ Aldrin (Michael Collins umkreiste den Mond in der Apollo-Kapsel) zum Jahrhundert-Medienereignis machten.
Ein alter Menschheitstraum
Zum einen scheint die Mondlandung ein alter Menschheitstraum zu sein. Schon 1608 schrieb der Astronom Johannes Kepler den Roman „Somnium sive astronomia lunaria“ über einen Flug zum Mond, verfasst in seinerzeit bei Gelehrten üblichem Latein. 1865 veröffentlichte Jules Verne „Von der Erde zum Mond“. H. G. Wells zog 1901 mit „Die ersten Menschen auf dem Mond“ nach. Georges Méliès brachte 1902 eine „Reise zum Mond“ auf die Leinwand, in einer Aufsehen erregenden Kombination von Trick- und Realfilm. Zahllose Science-Fiction-Autoren spannen das Garn weiter.
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Zum zweiten hatten die Amerikaner Interesse daran, ihre Bilder vom Mond möglichst weit zu verbreiten. Die Mondlandung war Teil des auch psychologisch und propagandistisch geführten Kalten Kriegs. Die USA konnten weltweit ihre Überlegenheit demonstrieren. Ostblockländer klinkten sich dementsprechend nicht in die Live-Übertragung ein. Auch das DDR-Fernsehen berichtete lediglich zeitversetzt über Apollo 11. Viele sahen die Landung trotzdem. Im West-Fernsehen.
Zudem trug die Bereitschaft von TV-Sendern, mit Riesen-Aufwand einzusteigen, zum Rekord-Medienereignis bei.
ARD und ZDF sendeten jeweils rund 20 Stunden . Originalton und bewegte Bilder sorgten für Spannung und transportierten Emotion. Die beiden öffentlich-rechtlichen TV-Sender – private gab's noch nicht – fuhren Experten auf. Auch das „Zweite“ hatte ein Anschauungsmodell im 1000-Quadratmeter-Studio: den Kommandostand der Apollo-Kapsel.Die US-Raumfahrtbehörde Nasa zog bis Dezember 1972 fünf weitere Mondexpeditionen durch (Apollo 13 scheiterte wegen eines Defekts). Nun will Donald Trump wieder Astronauten hochschicken. Sollte sich der US-Präsident einen erneuten Propagandaerfolg erhoffen, lebt er womöglich hinter dem Mond. Das öffentliche Interesse an Mondmissionen war schon Anfang der Siebziger abgekühlt.
Die Mondlandung vor nun bereits 50 Jahren, live im TV in alle Welt übertragen, ist natürlich eine Anklage gegen die Arroganz der heutigen Zeit.
Deshalb werden die Artikel zur Mondlandung, wie auch dieser, ohne jede Würdigung der Leistung, mit etwas spöttischen Unterton geschrieben. Muss ja auch so sein, sonst wäre man heute ein Versager.