
Es gab Zeiten, da sah die Welt für Alfred Sauter und Georg Nüßlein düsterer aus. Der Frühling vergangenen Jahres zum Beispiel, als die Maskengeschäfte der Politiker und vor allem die damit verbundenen hohen Provisionszahlungen aufflogen. Momentan sieht vieles danach aus, als ob der Bundesgerichtshof die Politiker noch vor der Sommerpause von einer strafrechtlich relevanten Schuld freisprechen wird. In manchen Punkten könnten sich der frühere bayerische CSU-Justizminister Sauter, 71, und der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Nüßlein, 53 – beide aus dem Landkreis Günzburg –, dann im Recht fühlen. Doch es blieben moralische Fragen – und politische.
Und so hundertprozentig sicher ist es auch noch nicht, dass die Bundesrichter den beiden Geschäftemachern einen Persilschein ausstellen. Denn nach wie vor kommen ständig neue Details ans Tageslicht, die einen Schatten auf die Rolle der beiden damaligen CSU-Abgeordneten werfen. So zeigen E-Mails aus dem Frühjahr 2020, die unserer Redaktion vorliegen: Sauter und Nüßlein beziehungsweise deren Büros haben nach dem ersten Vertragsabschluss im Gesundheitsministerium Druck gemacht, damit es zu weiteren Maskendeals kommt. Sauter setzte sich zum Beispiel persönlich beim Staatssekretär und beim Amtschef des Gesundheitsministeriums ein.
Sauter und Nüßlein nahmen viel Geld für Maskengeschäft
Die erste Phase der Corona-Pandemie war von größter Aufregung in den deutschen Behörden und Ministerien geprägt. Nachdem klar war, dass das neue Virus sehr ansteckend und gefährlich ist, wurden Schutzmasken zu einer extrem begehrten, aber raren Ware. So war es möglich, dass der langjährige CSU-Landtagsabgeordnete und bestens vernetzte Anwalt Alfred Sauter Ende März 2020 quasi direkt über die Spitze des bayerischen Gesundheitsministeriums einen Masken-Vertrag mit der hessischen Textilfirma Lomotex vermitteln konnte. Lomotex belieferte auch den Bund und das Gesundheitsministerium von Mecklenburg-Vorpommern – insgesamt mit mehreren Millionen Masken.

Sauter und Nüßlein nahmen viel Geld für dieses Geschäft. Sauter ließ sich die 1,243 Millionen Euro über eine Firma auszahlen, die offiziell auf die Namen seiner Töchter lief. Nüßlein stand laut Vereinbarung praktisch derselbe Betrag zu. Nach einer ersten Tranche von 660.000 Euro, die von einer Firma in der Karibik auf ein Liechtensteiner Konto ging, stoppte die Liechtensteiner Bank aber den Geldfluss und schaltete die Finanzaufsicht ein. Das Geschäft flog auf, die Generalstaatsanwaltschaft München nahm Ermittlungen auf. Das Verfahren ist bis heute nicht abgeschlossen.
E-Mail von Sauter ging an Gerhard Eck
Doch nach der ersten Panik in den Amtsstuben kam etwas Struktur in die staatlichen Beschaffungsmaßnahmen. In Bayern kümmerten sich mehr und mehr das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und eine Unterstützungsgruppe Beschaffungen um die Angebote und die Qualität der Masken. Das Chaos der ersten Wochen wich einer gewissen Organisation. Und auf einmal stießen die schwäbischen Abgeordneten bei ihren Vermittlungsversuchen auf Widerstände, beispielsweise weil es Zweifel an der Qualität der Masken gab. Die galt es zu überwinden, und dabei bediente man sich ausweislich von E-Mails schon mal der direkten Kommunikation auf höherer Ebene. So setzte sich Alfred Sauter persönlich bei Staatssekretär Gerhard Eck (CSU) für eine Firma aus Südbayern ein. Eck, eigentlich Staatssekretär im Innenministerium, war seinerzeit für einige Monate zur Verstärkung ins Gesundheitsministerium entsandt worden. Mit Sauter verbindet ihn eine langjährige politische Freundschaft.
Die bayerische Firma jedenfalls hatte gute Kontakte nach China und stellte Millionen Masken für den Freistaat in Aussicht. Doch die Unterstützungsgruppe Beschaffungen lehnte das Angebot ab, weil aus ihrer Sicht Zertifikate fehlten. Aus Sauters Worten spricht Verärgerung, als er am 21. April 2020 an den „Lieben Gerhard“ (Eck) eine E-Mail schreibt. Es sei für ihn „nicht wirklich nachvollziehbar“, warum den angebotenen Schutzmasken die Qualität abgesprochen werde. Die Firma liefere seit längerem Masken in großen Mengen an das Bundesgesundheitsministerium und mehrere Bundesländer, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen wäre. Es befremde ihn, dass die Unterstützungsgruppe keinen persönlichen Kontakt zum Firmeninhaber oder Geschäftsführer aufgenommen habe. Die Mail an Eck schließt mit den Worten: „Vielleicht können wir heute Nachmittag diesbezüglich telefonieren. Herzliche Grüße Dein Alfred.“
Schriftliche Antwort von Eck ist nicht überliefert
Eine schriftliche Antwort von Staatssekretär Eck ist bislang nicht überliefert. Doch irgendetwas muss sich getan haben. Denn noch am selben Tag schreibt die Büroleiterin von Eck an eine Ministerialrätin im Gesundheitsministerium, der „Herr Staatssekretär“ hätte „zu diesem Fall gerne bitte möglichst kurzfristig nähere Informationen, wo genau das Problem liegt“. Und dann folgt noch ein Satz, der aufhorchen lässt: Wie zwischen dem Staatssekretär und einer Abteilungsleiterin besprochen, „ist im Umgang mit diesem Anliegen von MdL Sauter besondere Vorsicht angesagt“. Soll dies bedeuten, dass das Anliegen von Sauter mit besonderem Wohlwollen geprüft wird? Oder soll es heißen, dass Anliegen von Sauter mit besonderer Vorsicht zu genießen sind?
Wenige Tage zuvor hatte Sauter jedenfalls ausweislich einer weiteren Mail auch Kontakt zum Amtschef, also dem Verwaltungschef des Gesundheitsministeriums in dieser Sache. Am Ende kam dieses Geschäft nicht zustande. Unter anderem aufgrund des „verhältnismäßig hohen Preises“, teilt das Gesundheitsministerium auf Nachfrage mit. Sauters Anwalt sagt, Sauter habe für die Vermittlung keine Gegenleistung gefordert oder erhalten.

Auch der damalige CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein wollte neben dem Lomotex-Geschäft scheinbar weitere Deals in Bayern vermitteln. Das Gesundheitsministerium berichtet auf Anfrage unserer Redaktion, es lägen Unterlagen vor, die auf „mindestens 7 Angebote“ aus Nüßleins Bundestagsbüro schließen lassen. Diese Angebote liegen unserer Redaktion vor. Gesendet werden sie von Nüßleins Büroleiter in Berlin. Es ist nach Recherchen unserer Redaktion aber davon auszugehen, dass jener sich mit dem Bundestagsabgeordneten abgestimmt hat. Er verwendet auch beispielsweise die Formulierung „Wir sind hier doch schon etwas verwundert…“.
Angebot wegen nicht ausreichender Zertifikate abgelehnt
Angedient werden Masken, Handschuhe, Schutzbrillen und Beatmungsgeräte aus China und Hongkong. Ende März/Anfang April 2020 gehen diese Angebote beinahe stakkatoartig ein. Allein am 1. April sind es drei E-Mails mit Angeboten aus China für Masken und Schutzanzüge. Doch auch hier kommen keine Geschäfte zustande. „Die Staatsregierung hat keine Schutzmasken auf Vermittlung Herrn Dr. Georg Nüßleins beschafft“, teilt das Gesundheitsministerium dazu mit. Eines der Angebote weist das Ministerium im Frühjahr 2020 mit dem Hinweis ab, die vorgelegten Zertifikate seien nicht ausreichend.
Das Büro Nüßlein ist nicht einverstanden und beklagt sich Mitte April mit den Worten „Was wird denn noch alles verlangt? So jedenfalls werden die Beschaffungsprobleme in und für Deutschland nicht behoben.“ Mitte Mai schreibt Nüßleins Büroleiter noch einmal: Da die zuständigen Stellen in Bayern die Zertifizierungen zum Beispiel für Handschuhe weiterhin nicht anerkennen, „werden wir von weiteren Angeboten an Ihre Stelle bzw. an den Freistaat Bayern absehen. Lassen Sie uns Ihre und unsere Zeit nicht weiter damit verschwenden. Ich glaube, wir haben beide Besseres und Wichtigeres zu tun.“ Nüßleins Anwalt teilt auf Anfrage nur mit: „Die angesprochenen Vorgänge und etwaige hierauf bezogene Interpretationen sind unzutreffend.“
Folgt man dem Oberlandesgericht München, dann ist diese Art der Abgeordnetenarbeit rechtlich nicht zu beanstanden. Drei Senate hatten im November entschieden, dass der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung nach Paragraf 108e des Strafgesetzbuches nur erfüllt wäre, wenn einem Abgeordneten Schmiergeld für eine Gegenleistung „bei der Wahrnehmung seines Mandats“ bezahlt oder versprochen würde. Wenn ein Abgeordneter „lediglich die Autorität seines Mandates oder seine Kontakte nutzt“, um Entscheidungen zum Beispiel von Behörden und Ministerien zu beeinflussen, mache er sich durch die Annahme von Vermögensvorteilen nicht strafbar im Sinne der Abgeordnetenbestechung. Dies sei bei Sauter und Nüßlein der Fall. Ob der Bundesgerichtshof das genauso sieht, wird sich voraussichtlich in einigen Wochen zeigen.