Wessen Herz voller Nostalgie für Air Berlin ist, der ist in einer alten Tennishalle in Waldaschaff (Lkr. Aschaffenburg) gut aufgehoben. Dort, inmitten eines unscheinbaren Gewerbegebietes, lagert derzeit eines der ungewöhnlichsten Sammelsurien der Republik – 2,5 Millionen Gegenstände aus dem Inventar der Pleite-Fluglinie. An diesem Freitag startet eine Online-Auktion, über die all die Rollwägen, Lagerboxen, „Kotztüten“, Spielsachen, Kugelschreiber, Becher, Decken, Kaffeekannen oder Schlafbrillen aus den Kabinen von 150 Air-Berlin-Flugzeugen verkauft werden.
Wie es zu der Mega-Aktion gekommen ist
Verkäuferin ist Sabine Geis mit ihrem Unternehmen Private Wing in Bessenbach. Seit zwölf Jahren stellt die Firma edle Möbel aus Flugzeugteilen wie Flügel oder 'Türen her, der Verkauf von Rollwägen (Trolleys) und ähnlichem Inventar ist das zweite Standbein. Kurz vor Weihnachten erhielt Geis den Zuschlag des Hamburger Auktionshauses Dechow, das die Reste von Air Berlin unter die Leute bringen sollte. „Ich habe Air Berlin ersteigert“, titelte kurz darauf die Bild-Zeitung und zeigte ein Foto von Sabine Geis inmitten ihrer neuen Schätze.
Dass es Schätze sind, darauf hofft die quirlige, 49 Jahre alte Geschäftsfrau. Wie viel sie für die 7,4 Millionen Einzelteile hinblätterte, darüber hüllt sie sich in Schweigen. Auch darüber, wie viel ihr der Weiterverkauf wohl in die Kasse spülen wird. Nur so viel verrät sie: Die Startpreise bei der Online-Auktion liegen „alle unter 100 Euro“.
Nur ein Drittel wird jetzt versteigert
Ein Stück weit ist diese Aktion für Geis ein Test. Denn von den 7,4 Millionen Teilen ist zunächst erst ein Drittel zu haben – das, was in der Turnhalle von Waldaschaff fein säuberlich und komplett durchnummeriert lagert. Der Rest werde wahrscheinlich nach der Online-Auktion übers angestammte Geschäft von Private Wing angeboten, so Geis.
Doch wer kauft all die Sachen? Nun, bei Trolleys gebe es schon länger einen regen Markt, weil in den Rollschränken viel verstaut werden könne, antwortet Geis. Aber „Kotztüten“ und Spielzeug? Die Geschäftsfrau hat hier selbst nur eine Ahnung: Altenheime oder Kindergärten könnten dankbare Abnehmer werden. Unterm Strich sei Air Berlin ja auch irgendwie Kult geworden.
Die gebürtige Goldbacherin hat in Würzburg Betriebswirtschaftslehre studiert, war nach eigenen Worten lange in der edlen Frankfurter Immobilienbranche unterwegs und fühlt sich daher im Umgang mit Zahlen sicher. Weil bis zuletzt nicht klar war, wie die Sache mit den Riesenberg an Air-Berlin-Devotionalien finanziell ausgeht, muss man sich ihre Kalkulation aber eher a la Pi mal Daumen vorstellen. „Mischkalkulation“ nennt die zweifache Mutter das.
Erste Interessenten riefen gleich nach der Pleite an
Dass es am Ende hinhaut, daran lässt Geis keinen Zweifel. Bestärkt wurde sie kurz nach der Insolvenz von Air Berlin, als schon erste Interessenten bei ihr anriefen und nach Trolleys der Fluglinie fragten. Erst da sei sie auf das vermeintlich große Ding so richtig aufmerksam geworden, erinnert sich die Geschäftsfrau. Also nahm sie Kontakt mit dem Auktionshaus Dechow auf. Kurz vor Weihnachten bekam sie den Zuschlag für fast alles von Air Berlin.
Das löste einen logistischen Kraftakt für Geis und Private Wing aus. 120 Lastwagenladungen mit Air-Berlin-Sachen aus sieben Lagern in Deutschland waren ab Januar und über Wochen hinweg zu bändigen. „Zum Teil kamen fünf Lkws am Tag bei uns an“, erzählt Sabine Geis. Die beauftragten Speditionen stellten alles am Stammsitz von Private Wing ab – in einer an einen ehemaligen Bauernhof angebauten Halle, nicht mal halb so groß wie ein Fußballfeld. Dort wurde es aber schnell so eng, dass die fünf Mitarbeiter kaum noch durch die Gänge kamen.
Schnell musste mehr Lagerplatz her
Also musste Geis schnell neuen Platz beschaffen. „Wir sind hier in der Gegend gut vernetzt“, sagt sie – und schon war die ausrangierte Tennishalle im benachbarten Waldaschaff gefunden. Wenige Kilometer weiter in Hösbach-Bahnhof mietete die 49-Jährige eine zweite Halle an. Außerdem griff sie auf einen Stamm von etwa 20 nebenberuflichen Helfern zurück, die die angelieferten Air-Berlin-Sachen verräumten.
Dass sie ihre kleine Firma in den vergangenen Wochen an den Rand des Möglichen gebracht hat, daraus macht Geis keinen Hehl. Schlecht geschlafen habe sie in all der Zeit aber nicht, ihr Mann Alexander und die Belegschaft hätten ohne Murren mitgezogen. Ein zartes Klagen sei allenfalls mal von ihren beiden Kindern gekommen: „Mama, arbeite nicht so viel.“
Verkäuferin: „Man wächst mit seinen Aufgaben“
Wenn nun der Online-Verkauf läuft, kann sich Geis etwas zurücklehnen. Denn abgewickelt werden die Geschäfte über das niederländische Auktionshaus Troostwijk. Es hat sich auf Industriegüter spezialisiert. So kommen dort zum Beispiel Kaffeesahne-Maschinen, Generatoren, Traktoren, Hochregale und überhaupt halbe Fabriken unter den sprichwörtlichen Hammer. Oft handelt es sich um Insolvenzmasse – wie im Fall Air Berlin.
Weil sich bei Sabine Geis derart viele Gegenstände stapeln, hat Troostwijk die Online-Auktion in 5800 Lose gebündelt und zweigeteilt. Teil eins endet am 11. März, Teil zwei am Tag danach. Am 2. und 3. März können die Air-Berlin-Sachen in Waldaschaff besichtigt werden. Wer etwas ersteigert hat, kann es am 21. März dort abholen oder bekommt es von Private Wing geliefert. Mitunter müssen Geis und ihre Mitarbeiter dann schlagartig Tausende Pakete schnüren. Die Geschäftsfrau nimmt's gelassen: „Man wächst mit seinen Aufgaben.“