Feiner Staub wirbelt durch die Luft. Das schrille Geräusch der Schleifmaschine hallt durch den Raum. Polieraufsatz trifft auf Metall. Immer wieder setzt Dominik Hugo das Gerät neu an. Die Hitze, der Staub, der Lärm – all das stört den jungen Mann in diesem Moment nicht. Er hat ein Ziel. Er will einen Tisch bauen. Und zwar nicht irgendeinen. Dominik Hugo baut das Möbelstück aus einem alten Flugzeugflügel.
Der 23-Jährige ist einer von rund 20 Mitarbeitern der Firma Private Wing in Bessenbach (Lkr. Aschaffenburg). Vor beinahe zehn Jahren gründeten Alexander und Sabine Geis das Unternehmen. Sie Betriebswirtschaftlerin, er Vorstandsvorsitzender eines Automobilzulieferers – noch immer sein Hauptberuf – und Vielflieger. „Mein Mann ist damals von Neuseeland zurückgeflogen. Als er aus dem Fenster geschaut hat, kam ihm die Idee“, erzählt Sabine Geis die Geschichte, die sie schon so oft erzählt hat. Man könnte aus dem Flügel doch einen Schreibtisch bauen . . . Gesagt, getan. In Eigenarbeit bastelte ihr Mann sich einen neuen Schreibtisch für sein Büro. Der erste von vielen.
Denn was als spontane Bastelidee begann, ist zu einem international erfolgreichen Unternehmen geworden. Die beiden Tüftler haben immer neue Ideen, um den Flugzeugschrott zu inszenieren. Sogar einen Gartenzaun haben sie aus Propellerblättern gebaut. „Die Idee ergibt sich, wenn man vor dem Teil steht. Man muss es mal anfassen, mal bewegen, mal hin und her drehen, dann kommen sie von alleine“, erzählt die 47-Jährige in der Küche ihres Hauses, das – wie sollte es anders sein – mit Flugzeugmöbeln eingerichtet ist.
Das eigene Heim als Showroom, so scheint es. Die Garderobe besteht aus Propellerblättern. In einer Ecke steht eine Bar aus der Triebwerksabdeckung eines alten DC-6-Flugzeugs. Auf dem Esstisch, gebaut aus dem Flügel einer Beachcraft-Maschine aus dem Jahr 1937, liegt ein Kindermalbuch. An der Decke hängt eine Lampe – ebenfalls ein eigenes Design aus einem Flügelteil. Ein Einzelstück. „So etwas verkaufen wir nicht, wir sind ja keine Elektriker“, erzählt Sabine Geis, während sie – ganz Verkaufsprofi – schon das nächste Teil zeigt. Ein Couchtisch aus einer Motorabdeckung einer B52, dem sogenannten Rosinenbomber. „Wir bauen alle Möbel aus historischen Maschinen, sie haben einen ganz eigenen Charme“, erzählt sie.
Die ältesten Flugzeuge stammen aus den 30er Jahren, die neuesten aus den 70ern. Könnten diese Maschinen sprechen, sie hätten einiges zu berichten. So manche Ecke oder Schramme gibt einen Hinweis auf ihre Vergangenheit. Statt nun auf einem Schrottplatz zu enden, wird sie um ein Kapitel erweitert. Recycling der besonderen Art und Weise.
Gebaut werden die Möbelunikate in einer Halle in Bessenbach – wenige Meter vom Wohnhaus der Familie entfernt. Das Gelände ist ein Spiegel der Entwicklung von Private Wing – von der individuellen Bastelstube zur international tätigen Firma.
In einem alten, aus Sandstein gemauerten Pferdestall fing alles an. Vor der Tür stapeln sich Flugzeugtanks, auf den ersten Blick wirken sie wie Fliegerbomben. Drinnen lagern Propellerschrauben und reihenweise Flügel. Einige von ihnen sind mehrere Meter hoch. „So einer wiegt 200 Kilo“, erklärt Mitarbeiter Dominik Hugo und zeigt auf rund fünf meterhohe Exemplare, die in einer Ecke an die Wand gelehnt sind. „Aber zu fünft kann man den schon tragen.“
Inzwischen reicht der Pferdestall längst nicht mehr aus, um die Tonnen an Flugzeugschrott aufzubewahren, die Sabine Geis und ihr Mann weltweit kaufen und zu neuen Möbeln verarbeiten. Unter den niedrigen Decken eines angrenzenden Schweinestalls reihen sich die Propellerblätter aneinander. Wie viele Tonnen, das weiß Sabine Geis nicht. Hinweisschilder in Klarsichthüllen zeigen, zu welcher Maschine die jeweiligen Propeller gehören – und was sie kosten. Ein DC-3-Propeller etwa kostet 875 Euro – im Rohzustand. Verarbeitet als Skulptur kostet er schon einmal das Doppelte. Es sind keine Produkte für den kleinen Geldbeutel, die hier gefertigt werden.
Wenige Meter weiter, in einer neu gebauten Halle, stapeln sich Flügelabdeckungen, Trolleys und ausrangierte Flugzeuggarderoben. Vor der Tür warten Triebwerkabdeckungen auf ihre Weiterverarbeitung. „Für einen Kunden haben wir einen Whirlpool in ein solches Teil gebaut“, erzählt Sabine Geis. Das war einer ihrer skurrilsten Aufträge. Und vermutlich auch einer der aufwendigsten. Denn trotz allen technischen Fortschritts, die Möbel werden immer noch in Handarbeit gebaut – und das in erster Linie von den Mitarbeitern direkt vor Ort. Nur für Schweißarbeiten wird ein externer Schlosser mit ins Boot geholt.
Doch bevor ein Flugzeugflügel zum Tisch wird, muss richtig malocht werden. „Die Flügel sind mit Leinen überzogen, das herausgeschnitten werden muss. Eine riesige Fitzelarbeit“, sagt Sabine Geis. Die Teile müssen in Form geschnitten, aufbereitet und poliert werden. Es dauert rund sechs bis acht Wochen, bis so ein Tisch fertig ist.
Zeit, die sich Dominik Hugo gerne nimmt. „Es ist faszinierend zu wissen, wie ein Gegenstand früher aussah und was man alles daraus machen kann“, sagt er. Feiner Staub wirbelt auf und das schrille, maschinelle Kreischen erfüllt erneut den Raum. Der junge Mann setzt die Poliermaschine noch einmal an. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Bis der Flügel zum Tisch wird, muss er noch einige Stunden werkeln.
Upcycling: Aus alt mach neu
Mit ihrer Idee, aus alten Flugzeugteilen neue Möbel zu bauen, befinden sich Sabine und Alexander Geis von Private Wing in guter Gesellschaft. Seit einigen Jahren wächst bei vielen der Wunsch, Abfallprodukte oder auf den ersten Blick nutzloses Gegenstände neu zu verarbeiten.
Upcycling funktioniert mit vielen Materialien und Gegenständen. Ideen gibt es en masse. Wie wäre es beispielsweise mit einem neuen Regal aus alten Weinkisten? Oder einer Etagere aus alten Tellern und Tassen? Oder einer Garderobe aus überflüssigen Schraubenschlüsseln? Möglichkeiten gibt es viele.
Anleitungen zum Selbermachen und kreative Ideen, unnütze Gegenstände in nützliche umzuwandeln, bietet unter anderem das Internet. Websites wie www.roomido.com oder www.weupcycle.com liefern nur einige Bei-spiele. Auch zahlreiche Bücher wie etwa „Aus alt mach Schön“ von Sabine Bohlmann oder „Upcycling“ von Julia Romeiß erklären Schritt für Schritt, wie man aus Geschirr, Plastikflaschen oder Kleiderbügeln neue Wohnaccessoires basteln kann.
Kreative Designer können mit ihren selbst gebastelten Dingen sogar Geld verdienen. Der Verkauf über Internetplattformen wie dawanda.com ist hierbei nur eine Möglichkeit. Auch Einzelhändler wie beispielsweise der Würzburger Laden „Zeychen und Wunder“ verkaufen Artikel aus recycelten Produkten. Laptoptaschen aus Zementsäcken, Lampen aus Kaffeetasse oder Ohrringe aus Kronkorken gibt es hier. Eigentümer Thilo Wolf ist immer wieder auf der Suche nach Designern mit neuen Ideen und nachhaltig produzierten Artikeln. „Wenn jemand tolle Ideen hat, ist Eigeninitiative toll“, sagt er. Allerdings: Der Platz in seinem Laden ist begrenzt. Text: sas