Volksverhetzende Inhalte in sozialen Medien rücken immer mehr in die öffentliche Wahrnehmung. Aber auf Plattformen wie Facebook sind sie nach wie vor zu lesen. Das Unternehmen gerät deswegen zunehmend unter Druck. Dass solche Beiträge bei Facebook nicht folgenlos bleiben, musste ein 31-Jähriger aus dem Landkreis Kitzingen erfahren, der deswegen zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Doch die Verteidigung geht in Berufung.
Der Mann kam vor das Schöffengericht in Kitzingen, weil er auf Facebook mit Nazisprüchen gegen Flüchtlinge, Ausländer und die Bundesregierung hetzte und zu Gewalt aufrief. Der Richter verurteilte ihn nun zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.
Im Jahr 2014 schrieb der Angeklagte innerhalb eines halben Jahres zehn Beiträge in dem sozialen Netzwerk, wo er nationalsozialistische Polemik abließ („Alle ins KZ“) und zu Mord an Fremden aufrief: „Schlachten wir das ganze Pack ab.“ Auch gegen die Regierung hetzte er: „Bringt das Pack in Berlin um.“
Der Mann auf der Anklagebank war bei der Verhandlung geständig und kleinlaut. „Das bin eigentlich nicht ich. Ich schäme mich dafür“, sagte er. Er sei damals finanziell am Ende gewesen und habe sich von Nazi-Parolen in Facebook „mitreißen“ lassen. Schon früher ist der 31-Jährige mit dem Gesetz in Konflikt geraten: Mit 18 Jahren trieben ihn Lebenskrisen in Alkohol und Depressionen, ein Jobverlust trieb ihn zu einem Selbstmordversuch.
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Seit 2003 sammelte der Mann zehn Vorstrafen: vom Fahren unter Alkohol, unerlaubten Waffenbesitz, Sachbeschädigung bis einmal auch zum Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Nach unzähligen Therapien und häufigem Scheitern scheint der Angeklagte sich seit 2013 etwas gefangen zu haben. Er ist seitdem trocken, hat seit kurzem deswegen wieder einen Führerschein, eine Ehefrau und auch Arbeit. Warum er aber genau in dieser Zeit in Facebook dermaßen extrem ausrastete, ist dem Gericht unverständlich – der Angeklagte konnte es auch selbst nicht erklären.
Der Staatsanwalt forderte in Hinblick auf die massiven Hasstiraden, und die Vorstrafen – dabei zweimal auf Bewährung – zwei Jahre und sechs Monate Haft. Der Verteidiger beantragte eineinhalb Jahre auf Bewährung und hob das „offene, ehrliche und umfassende Geständnis“ des 31-Jährigen heraus. Der Angeklagte habe sich einfach den „Frust von der Seele geschrieben“.
Doch das Urteil des Schöffengerichts verhängte eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Dass die ohne das Geständnis noch deutlich länger hätte werden können, macht Amtsrichter Bernhard Böhm deutlich. Eine derart massive Volksverhetzung und die Vielzahl von Vorstrafen machten eine Bewährungsstrafe unmöglich.
Verteidiger Stephan Wegner hält einen Tag nach der Verhandlung das Urteil „für nicht angemessen“. Er hat Berufung eingelegt und fragt: „Sind zehn Posts bei Facebook wirklich mehr als zwei Jahre Haft wert?“ Der Anwalt aus Ochsenfurt vermutet, dass das Urteil vor zwei Jahren noch milder ausgefallen wäre. „Die Justiz tendiert in Zeiten von Pegida dazu, Zeichen zu setzen“, so Wegner. Der Anwalt will die Tat seines Mandanten nicht beschönigen. Aber für ihn stehen die Vergehen und die Strafe in keinem Verhältnis.
Amtsrichter Böhm sieht das anders. Die Höhe der Strafe habe vor allem etwas „mit der Latte an Vorstrafen des Angeklagten zu tun“. Vor zwei Jahren hätte er die gleiche Strafe verhängt. „Wenn jemand so etwas gemacht hat und dann eine Kehrtwendung in seinem Leben machen will, dann muss er erklären, wie das gehen soll“, sagt Böhm. Und diese Erklärung konnte der Angeklagte nicht geben. Das Strafmaß für Volksverhetzung geht von Freiheitsstrafen von drei Monaten bis fünf Jahren. „Da muss man aufpassen“, so Böhm, „zu hohe Strafen können das Umgekehrte bewirken und solche Leute sich als Märtyrer fühlen lassen.“
Stephan Wegner vertritt seinen 31-jährigen Mandanten, seit der vor zwölf Jahren zum ersten Mal straffällig wurde. „Er glaubte einfach, er müsse sich profilieren“, sagt Wegner. Auch müsse man die Größenordnung sehen. Der Angeklagte ist auf Facebook nur mit gut zehn Menschen befreundet. „Das ist eine andere Nummer, als wenn Akif Pirinçci in Dresden vor Tausenden Menschen eine Hassrede hält“, so der Verteidiger des 31-Jährigen.
„Der Gesetzgeber sieht Volksverhetzung über das Internet schlimmer an, als wenn die über Flugblätter verbreitet wird“, erklärt Chan-jo Jun, Anwalt für IT-Recht in Würzburg. Deswegen sei bei der Volksverhetzung im Strafrahmen keine Geldstrafe, sondern nur Haftstrafen vorgesehen. Darum wundere es ihn, wenn in der Vergangenheit oft Geldstrafen verhängt wurden. „Da haben die Richter sich Mühe geben müssen, nach Milderungsgründen zu suchen“, sagt Jun. Er sieht in dem Kitzinger Urteil den Normalfall mit einem durchschnittlichen Strafmaß.
„Die Leute halten Volksverhetzung für etwas Ähnliches wie Beleidigung, aber vor der Justiz ist es das nicht“, so Chan-jo Jun. Er kämpft gegen die Verbreitung von Fremdenhass in den sozialen Netzwerken an – und hat im September Strafanzeige gegen die Facebook Germany GmbH erstattet (wir berichteten). Sein Vorwurf: Wer volksverhetzende Inhalte an Facebook meldet, bekommt fast immer eine standardisierte Antwort, nach der die Einträge nicht die Gemeinschaftsstandards von Facebook verletzten. Gelöscht werden die Inhalte von dem Unternehmen nicht, selbst wenn sie gegen deutsches Recht verstoßen. „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass Facebook glaubt, dass die Facebook-Community-Standards über dem deutschen Recht und dem Grundgesetz stehen“, so Chan-jo Jun. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt nun gegen drei Manager des deutschen Facebook-Ablegers.
Facebook gerät immer mehr unter Druck. Wie „Spiegel Online“ meldet, ordnete das oberste Gericht in Irland – dem europäischen Sitz der Firma – an, dass Facebooks Datentransfer in die USA untersucht werden müsse. Hintergrund ist die Aussetzung der Safe-Harbor-Regelung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Bisher wurde damit ein Austausch von personenbezogenen Daten zwischen Europa und den USA gewährleistet. Doch der EuGH sah die Datenschutzrechte der Europäer durch die US-Geheimdienste als unverhältnismäßig stark gefährdet an. Facebook muss fürchten, so „Spiegel Online“ weiter, sich mit den Datenschutzbehörden der europäischen Staaten oder der deutschen Bundesländer auseinanderzusetzen.
„Facebook muss anerkennen, dass deutsches Recht in Deutschland gilt. Und dazu muss es volksverhetzende Gewaltaufrufe und Gewaltdarstellungen ab Kenntnisnahme entfernen“, sagt Chan-jo Jun. Ob damit die Anzahl der Hassinhalte im Internet abnehmen wird, bleibt abzuwarten. Ebenso, wie die Rechtsprechung mit den Straftaten umgehen wird – grundsätzlich hart durchgreifen oder von Fall zu Fall entscheiden. Der Verteidiger des 31-Jährigen vor dem Amtsgericht Kitzingen sieht das Urteil für seinen Mandanten kritisch. „So jemanden wegzusperren, das schafft nur neue Probleme und löst nichts“, sagt Stephan Wegner.
Mitarbeit: mey