Acht Jahre nach dem Urteil zu „Lebenslänglich“ bekommt der wegen Mordes verurteilte Stefan E. eine zweite Chance, seine Unschuld zu beweisen. Im Astmord-Fall prüfte die Justiz neue Fakten, die seine Würzburger Verteidiger zusammengetragen hatten. Nun ist klar: „Die Wiederaufnahme ist zulässig.“ Das bestätigte auf Nachfrage Britta Wankerl, Sprecherin des Gerichts.
Von Ast getroffen
Dass ein bereits rechtskräftig abgeschlossener Fall noch einmal überprüft wird, ist extrem selten. Die Aufgabe hat das Landgericht Regensburg übernommen. Verurteilt wurde der 25-jährige Stefan E. aus Mittelfranken 2010 am Landgericht Nürnberg-Fürth. Bei Baumfäll-Arbeiten in der Nähe von Uffenheim war seine Bäuerin im Januar 2009 von einem dicken Ast am Kopf getroffen worden. Sie starb an dieser Verletzung.
Gefälschte Unterschrift
Hinterher versuchte der Knecht, sich den Hof mit einer gefälschten Unterschrift zu sichern, dem ihm die Bäuerin versprochen hatte, ehe sie es sich kurz vor ihrem Tod anders überlegte. Dies nährte den Verdacht, er habe die Frau aus Enttäuschung und Habgier ermordet. Er gab die Fälschung zu, blieb aber dabei: Die Frau sei bei Baumfällarbeiten vermutlich von einem herabfallenden dicken Ast getroffen worden.
Das Gericht verurteilte ihn wegen Mordes. Doch sein Anwalt Norman Jacob war noch Jahre nach dem Urteil überzeugt: „Der Mann sitzt zu Unrecht hinter Gittern.“ Auch eine gescheiterte Revision nach dem Urteil konnte seine Meinung nicht ändern. Jacob genießt dank jahrzehntelanger Berufserfahrung mit Gewaltdelikten unter Kollegen den Ruf, sich nicht leichtfertig für einen aussichtslosen Fall zu engagieren.
Gericht beginnt mit neuer Beweiserhebung
Er setzte zusammen mit seinem Sohn und seinem Kollegen Jan Paulsen eigene jahrelange Nachforschungen in Gang. Dies und zwei Gutachten förderten Fakten zutage, die den Fall in neuem Licht erscheinen lassen. Sie werden jetzt vom Gericht auf den Prüfstand gestellt: Am 12. Januar fasste das Landgericht Regensburg den Beweis-Beschluss, nun offiziell selbst „ein rechtsmedizinisches Gutachten zum Tathergang“ in Auftrag zu geben. Dies bestätigte Gerichtssprecherin Britta Wankerl auf Anfrage dieser Redaktion.
Bestätigt es das Gutachten im Auftrag der Verteidiger, wäre das Urteil gegen Stefan E. wohl nicht haltbar. Ein Experte hatte sich eindeutig festgelegt, dass „eine Abscherung der Kopfhaut, wie sie bei der Obduktion festgestellt wurde, durch einen Schlag von hinten mit einem Ast nicht erfolgen kann“.
Anwälte machten Schlagprobe
Die Anwälte hatten sich am Tatort im Wald selbst ein Bild gemacht. Dabei reiften ihre Zweifel daran, dass ihr Mandant die Frau mit einem schweren Holzstück so erschlagen hatte, wie das Gericht in Nürnberg angenommen hatte. Filmaufnahmen von dem Test zeigen: Einen schweren Holzklotz wie die angebliche Tatwaffe konnte selbst Anwalt Norman Jacob junior – der deutlich größer und kräftiger als der Verurteilte ist – kaum heben, geschweige denn gezielt gegen den Kopf eines Opfers einsetzen.
Ein weiteres Gutachten der Verteidigung nährt den Verdacht, dass die Kripo 2009 bei ihrer damaligen Spurensuche gar nicht den richtigen Tatort untersuchte und dadurch zu falschen Rückschlüssen über den Tathergang gekommen sein könnte. Ein Experte wies 2014, also fünf Jahre nach dem Vorfall, im Waldboden massive Blutspuren nach – aber an einer anderen Stelle als das Gericht glaubte.
Bis das neue Gutachten vorliegt, dürften noch Monate vergehen – in denen der verurteilte Stefan E. weiter bangend und hoffend in seiner Zelle sitzt.
Ich hatte das nicht für möglich gehalten.
In Bayern sitzen nach meiner Einschätzung sehr viele Unschuldige in Haft.
Erinnert sei nur an den sog. Badewannen-Mord. Manfred Genditzki sitzt auch NACH einer Wiederaufnahme - nach menschlichen Maßsstäben unschuldig - in Haft - die bayerische Justiz verurteilte ihn einfach ein zweites Mal, fehlerresistent, absurd.
Dies liegt vor allem an der Strafwut und dem Jagdeifer, der hier herrscht und mit dem Widersprüche und Lücken einfach übergangen werden. Ein übriges tut die Obrigkeitshörigkeit der Bürger, die sich immer noch vorgaukeln lässt, die Justiz mache keine Fehler.