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Fussball: Sportpolitik
Würzburger Professor: DFB zwischen Sanierungsfall und "Realsatire"
Sportwissenschaftler Harald Lange fordert für den größten Sport-Fachverband der Welt grundlegende Reformen - und kompetente Frauen. Was der Stein des Anstoßes ist.
'Es bedarf einer Grundsanierung', sagt Harald Lange über den Deutschen Fußball-Bund. Auch eine Frauenquote hält der Lehrstuhlinhaber für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg für sinnvoll.
Foto: Lilli Lange | "Es bedarf einer Grundsanierung", sagt Harald Lange über den Deutschen Fußball-Bund. Auch eine Frauenquote hält der Lehrstuhlinhaber für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg für sinnvoll.
Felix Mock
Felix Mock
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:54 Uhr

Dass ein Verbandsausschuss für Frauenfußball autonom, sprich ohne die Zustimmung der männlichen Vertreter Entscheidungen fällen darf, sollte im Jahr 2021 außer Frage stehen. Tatsächlich müssen sich die Frauen im Hessischen Fußball-Verband (HFV) jedes Votum absegnen lassen. Ändern sollte das beim in Frankfurt abgehaltenen Verbandstag Antrag Nummer 18 - doch der wurde abgelehnt. Was diese Entscheidung mit Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands, und dem Deutschen Fußball-Bund, den Koch zusammen mit Peter Peters interimsmäßig führt, zu tun hat, erklärt der Würzburger Sportwissenschaftler Harald Lange. Der Experte für die gesellschaftlichen Zusammenhänge rund um den Fußball spricht im Interview über die Probleme des DFB, die Rolle der Frauen im Verband und mögliche Lösungsansätze. 

Herr Lange, wie ordnen Sie die Ereignisse beim Verbandstag in Frankfurt ein - und welche Bedeutung hat das überhaupt außerhalb Hessens?

Harald Lange: Man könnte auf den ersten Blick sagen, dass das ein regionales Problem ist. Aber es ist ein ernstzunehmendes Beispiel, das auf ein Strukturproblem hindeutet. Wenn dann noch Rainer Koch auf genau diesem Verbandstag eine kämpferische Rede hält und propagiert, der DFB sei kein Sanierungsfall, dann ist das Realsatire.

Wie meinen Sie das?

Lange: Der DFB muss sich dringend sanieren. Aktuell deutet alles darauf hin, dass es weiter so laufen wird wie bisher. Die Probleme, die die letzten vier Präsidenten hatten, werden wir nicht los. Denn die Ursachen sind struktureller Art, und die Strukturen bleiben bestehen. Es bedarf einer Grundsanierung.

Welche Reformen braucht der DFB?

Lange: Mittelfristig braucht es ein neues Verwaltungssystem. Selbstverständlich muss sich der Verband divers aufstellen, und zwar nicht mit irgendwelchen Vasallen, sondern mit kompetenten Frauen – die es ganz offensichtlich auf Landesebene überall gibt.

Genau das fordern prominente Initiatorinnen wie die Ex-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb und Ex-Nationalspielerin Katja Kraus in einem Positionspapier. War der Beschluss in Frankfurt eine gezielte Antwort auf diese Bestrebungen?

Lange: Der in Frankfurt gestellte Antrag war ja nicht nur zeitgemäß, sondern überfällig. Dass er abgelehnt wurde, kann man durchaus als Retourkutsche werten. Dass dann auch noch der Interimspräsident vor Ort ist und so eine Rede hält, ist absolut unverständlich. In der Funktionärsebene steckt der Wurm drin, das versteht an der Basis niemand. Die sind alle entsetzt, niemand kann die Entscheidung nachvollziehen. Denn in den allermeisten Vereinen ist man divers aufgestellt, die sind schon viel weiter. Frauen sind vor Ort fest integriert und quasi Teil des Systems. Ein solcher Beschluss ist wie eine Backpfeife.

Katja Kraus, Mitbegründerin der Initiative 'Fußball kann mehr'
Foto: David Inderlied | Katja Kraus, Mitbegründerin der Initiative "Fußball kann mehr"
Gibt es schlicht nicht genug Frauen, die höhere Funktionen im Verband übernehmen könnten?

Lange: Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir enorm kompetente Frauen im Fußball haben. Sei es Almuth Schult, sei es Bibiana Steinhaus-Webb (Steinhaus-Webb hat sich nach einem Konflikt mit Rainer Koch vom DFB abgewandt, wechselt zur englischen Schiedsrichtervereinigung und wird sich aus Zeitgründen aus der Initiative zurückziehen, Anm. d. Red.) oder Katja Kraus. Diese Frauen sind vielleicht nicht seit 20 Jahren in einem Amt. Aber sie sind kompetent und könnten Verantwortung übernehmen. Aber das System lässt es einfach nicht zu.

Woran liegt das?

Lange: Andreas Rettig (Ex-DFL-Geschäftsführer und ehemaliger Manager verschiedener Bundesligaklubs, Anm. d. Red.) hat korrekt gesagt, dass Funktionäre eine Ochsentour über 20, 30 Jahre von unten nach oben auf sich nehmen müssen, um irgendwann auf der Bundesebene ein Amt zu bekommen. Das sind diejenigen, die jetzt vorne anstehen, wenn es um die Neuausrichtung des DFB geht. Von diesen Leuten kann man nicht erwarten, dass sie auf den Profit dieser Strapazen so kurz vor dem Ziel verzichten. Das ist ein strukturelles Problem.

Wer soll dieses Problem dann angehen?

Lange: Es braucht eine zeitlich befristete Zwischenlösung: Externe Experten, die gar nicht aus dem Fußball kommen, müssen, an strukturellen und ethischen Normen orientiert, ein neues Verbandssystem entwickeln und alte Zöpfe abschneiden. Es braucht Druck von außen, damit sich etwas bewegt.

In ihrem Positionspapier fordern Kraus & Co. eine Frauenquote in Präsidium, Vorstand und Geschäftsführung von Verbänden. Ist das der richtige Weg?

Lange: Das kann man sicherlich kontrovers diskutieren, in Wirtschaft und Politik gibt es solche Quoten bereits. Die Gruppe um Katja Kraus hat eine Quote von 30 Prozent in allen Führungsgremien gefordert. Spätestens mit der Entscheidung in Hessen war ich auch überzeugt: Eine Quote macht Sinn. Denn das System ist aufgrund der gegebenen Machtstrukturen nicht in der Lage, selbst derlei Leitplanken zu setzen.

Wo sehen Sie die größten Probleme beim DFB?

Lange: Was wir im letzten Jahr erlebt haben, ist kaum in Worte zu fassen. Das war ein Führungschaos sondergleichen. Und das in einer Zeit, in der der Fußball Führung braucht. Nicht nur aufgrund der Pandemie. Bei all den Entwicklungen auf internationaler Ebene, braucht der mitgliederstärkste Sportverband der Welt mit sieben Millionen Mitgliedern Leitplanken und Personen an der Spitze, die diese Mitglieder vertreten. Wenn die Fifa alle zwei Jahre eine WM veranstalten will und die Uefa die Champions League aufbläht, dann sehen wir eine ganz starke Opposition bei den Fans und an der Vereinsbasis. Diese Stimmung in sportpolitische Positionen zu verarbeiten, gelingt nicht. Wir sind sportpolitisch auf internationaler Ebene stumm. Es erwartet schon niemand mehr, dass der DFB gegenüber Fifa richtungsweisende Vorschläge macht. Da sind wir auf dem Abstellgleis. Aktuell, wo der Fußball von so vielen Erwartungen und Machtinteressen zerrissen wird, wäre das aber wichtiger denn je.

Erachten Sie es als realistisch, dass sich daran etwas ändern wird?

Lange: Aktuell ist es sehr unwahrscheinlich. Auf dem hessischen Verbandstag wurde deutlich, dass ein Zünden von Nebelkerzen stattfinden wird. Nach dem Motto: Alles ist gut. Es ist versäumt worden, unangenehme Schnitte vorzunehmen. Dinge wie eine Begrenzung der Amtszeit oder einer Basiswahl des Präsidenten, um nur ein paar Ideen zu nennen. Dass das System aus sich heraus derlei Schritte vornimmt, ist jedoch undenkbar. Das spricht gegen die Logik dieser Ochsentour.

Es gibt auch Personen außerhalb des Systems, die sich für eine Kandidatur als Präsident ins Spiel bringen. Jimmy Hartwig ist ein Beispiel. Hat er realistische Chancen - und würde einer wie er etwas entscheidend bewegen können?

Lange: Nein und nein. Egal, wer sich da selbst ins Spiel bringt oder ins Spiel gebracht wird. Um gewählt zu werden, ist eine gute Kenntnis der Strukturen innerhalb des Verbands unabdingbar. Deswegen hat jeder, der aus diesem System kommt, einen entscheidenden Vorteil. Ich glaube, dass ohne strukturelle Reform niemand von außen reinkommt.

Jimmy Hartwig (links, zusammen mit Manuel Baum) möchte  DFB-Präsident werden.
Foto: Witters/Pool | Jimmy Hartwig (links, zusammen mit Manuel Baum) möchte  DFB-Präsident werden.
Auch innerhalb des Systems muss es doch geeignete Kandidaten geben.

Lange: Es gibt endlos viele Talente mit sehr guten Ideen. Das Problem ist die Durchlässigkeit. Es gibt ganz viele, letztlich gescheiterte Funktionäre auf Kreis- und Bezirksebene, die nicht durch dieses Machtsystem kommen. Diese Leute brauchen die theoretische Chance, an die Spitze zu gelangen.

Es ist ein düsteres Bild, dass Sie zeichnen. Was macht da noch Mut?

Lange: Die Ideen sind ja da. Die Vereinsbasis ist da. Und natürlich die Fanbasis, die immer wieder Protest üben wird. Das ist die große Stärke des DFB. Die entscheidende Frage ist: Wie gelingt es, die Basis abzubilden, wie legitimiert sich die Spitze des DFB? Das ist das entscheidende Kriterium.

 
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