Als Cameron Wells und seine Kollegen am Donnerstagmorgen nach einer kurzen Nacht um Viertel nach Sieben zum Bus schlurften, wie Basketballer das so gerne tun, wenn sie nicht gerade übers Parkett wieseln, also beim Gehen kaum die Sohlen von der Erde kriegen, um ja nicht zu viel Energie zu verschwenden, wirkten sie allesamt zwar ein wenig müde. Aber auch nicht unzufrieden. Weil ihnen am Morgen danach vielleicht noch ein wenig bewusster geworden war als ein paar Stunden zuvor, dass sie einen richtig guten Job abgeliefert hatten am Mittwochabend. Und deshalb war die Stimmung im Bus dann auch entsprechend gelöst und locker – trotz Niederlage und Müdigkeit wurde gelacht und geschäkert, und auf der gut einstündigen Fahrt zum Flughafen dauerte es ein Weilchen, bis die meisten dann doch einnickten.
Kärrnerarbeit hatte Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg am Abend zuvor im ersten Europe-Cup-Finale auf Sardinien geleistet. Zwar unterlagen die Baskets Dinamo Sassari mit 84:89 (45:45) - aber vor allem die letzten 71 Sekunden dieser über weite Strecken hochklassigen, teilweise sogar spektakulären Partie nährten die Hoffnungen der Baskets, im Rückspiel nächsten Mittwoch (1.Mai, 17 Uhr, s.Oliver Arena) die Chance zu nutzen und mit dem ersten Europapokalsieg der Vereinshistorie auch Geschichte zu schreiben. In jener guten Minute verkürzten die Würzburger einen Elf-Punkte-Rückstand auf fünf. Und der Dreier von Wells 39,6 Sekunden vor Ultimo mit anschließend verwandeltem Bonusfreiwurf könnte noch Gold wert werden.
Wenn der Trainer stolz ist
Das weiß natürlich auch Baskets-Trainer Denis Wucherer, der froh ist darüber, dass sein Kapitän auch in dieser so enorm wichtigen Phase erneut Verantwortung übernommen hatte, wie in manch heiklem Moment in den 39 Minuten zuvor auch. Und wenn man Wucherer dann auf dem Weg zum Flughafen bittet, doch mal kurz zurückzublicken und auch ein wenig nach vorne zu schauen, dann spricht er "von einer Partie auf hohem Niveau, einem Finale würdig, von zwei Mannschaften mit hoher Qualität, die völlig zu Recht im Endspiel stehen". Dann sagt er etwas, dass ihm üblicherweise nur sehr schwer und äußerst selten über die Lippen kommt: "Ich bin stolz, wie wir uns geschlagen haben, in dieser ganz besonderen Atmosphäre."
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Auch die Stimmung im "Sportpalat Roberta Serradimigni" vor 4984 italienischen Fans und den 16 aus Würzburg angereisten Baskets-Anhängern war finalwürdig. Schon vor den Mannschaftsvorstellungen begannen die Zuschauer zu italienischen Volkswaisen zu singen, und das taten sie – von der kurzen Unterbrechung in der Halbzeit abgesehen – bis zum Ertönen der Schlusssirene ununterbrochen. Und manchmal ohrenbetäubend. „Es war ein wirklich hartes Spiel, aber es war auch eine großartige Stimmung, deshalb hat es sehr viel Spaß gemacht, hier zu spielen“, sagte Skyler Bowlin. "Wir können mit der Ausgangsposition für das Rückspiel zufrieden sein. Denn wir wissen jetzt auch, dass wir sie schlagen können."
Was die Baskets besser machen wollen
Auch Wells lobte die außergewöhnliche Stimmung. Wobei er auch davon überzeugt ist, "dass wir am Mittwoch in unserer Halle auch eine großartige Atmosphäre haben werden." Und er weiß auch, was dann besser gemacht werden soll: "Wir hatten immer wieder, auch gegen Ende, Chancen, um in Führung zu gehen, die wir nicht genutzt haben. Da müssen wir uns steigern. Aber wir werden einen großen Kampf liefern."
Spricht man mit vielen der Beteiligten nach diesem außergewöhnlichen Spiel, könnte einem der große Lyriker Paul Celan einfallen, und man könnte versucht sein, den Baskets dessen große Worte ans Herz zu legen: "Ein Stern hat wohl noch Licht. Nichts / Nichts ist verloren."
Fünf Punkte sind es also, und Wucherer sagt: "Die Jungs haben alles gegeben, was sie haben, Sassari war heute diese fünf Punkte besser. Ich rechne mir mit diesem Ergebnis aber Chancen im Rückspiel aus.“ Auch, wenn "unsere Rotation für so ein intensives Spiel eigentlich zu kurz ist." Der verletzte Johannes Richter wird schmerzlich vermisst in diesen Tagen, weil er mit "seiner Physis unterm Brett uns helfen könnte", so Wucherer, der auch Joshua Obiesie keine Einsatzzeit gab. Weil der 18-Jährige nach seinem eher missratenen Ausflug zum Hope Summit in Portland – der Begegnung zwischen den besten US-Nachwuchsspielern und einer Weltauswahl –, wo Obiesie nur wenig Einsatzzeit bekam und sich sicher viel mehr vorgenommen hatte, mental nicht so ganz auf der Höhe sei. "Man darf nicht vergessen: Auf den Jungen ist in den letzten Monaten sehr viel eingeprasselt. Damit umzugehen, ist nicht einfach", sagt Wucherer, der noch auf dem Rückweg aus Sassari länger mit dem Hoffnungsträger der Baskets sprach.
Auch wenn Wucherer aus dem ersten Finale und dessen Intensität abermals Rückschlüsse für die kommende Runde gezogen hat, vor allem, was noch fehlt, was die Tiefe des Kaders angeht, auch die Besetzung der deutschen Positionen und des Centers – die Herausforderungen werden in den nächsten Tagen und Wochen nicht weniger für die Baskets: Vechta, Sassari, Berlin, Bayreuth, Bonn, Bamberg stehen bis zum 12. Mai auf dem Programm – davon die letzten vier Partien innerhalb von acht Tagen. "Final-Charakter" attestiert Wucherer jedem der fünf restlichen Ligaspielen. Und er weiß: Soll der Play-off-Einzug noch gelingen, müssen die Baskets aller Voraussicht nach mindestens drei der letzten vier Bs bezwingen. "Klar, zwischen zwei Endspielen willst du nicht unbedingt gegen Vechta spielen. Aber ist jetzt halt so", sagt der Trainer über die nächste Heimaufgabe am Samstag (20.30 Uhr).
Am Donnerstag schlurften Wells und Co. direkt nach der Rückkehr am Nachmittag erstmal die Stahltreppe des Trainingszentrums hoch. "Ausrollen, ausdehnen" war angesagt. Am Freitag wird locker ein bisschen geübt. Eine "Beschäftigungsmaßnahme", so Wucherer: "Das letzte Mal haben wir vor drei Wochen richtig trainiert." Geht ja auch nicht anders, wenn du andauernd spielst. Und unterwegs bist.
Dinamo Sassari - s.Oliver Würzburg 89:84 (45:45)